Christina Schulze Föcking zu TOP 10 "Kinderschutz in Theorie und Praxis stärken. Eine Professur für Kinderschutz und Kinderrechte in Nordrhein-Westfalen einrichten"

21.09.2023

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Es hört doch jeder nur, was er versteht.“, so hat es Johann Wolfgang von Goethe gefasst.

Was hat das mit dem Kinderschutz und unserem Antrag zu tun?
Unsere engagierten Fachkräfte lernen in ihrer Ausbildung viel, aber in der Regel wenig explizit zum Kinderschutz.

Als ich mich tief in den Bereich eingearbeitet habe, konnte ich das gar nicht glauben. Es fühlte sich intuitiv schon falsch an.

Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich:

„In der Ausbildung kommt das Thema ja nicht vor, und wenn dann theoretisch. Es ist schon sehr weit weg von der Realität. Ich bemerke schon, dass eigentlich junge Kollegen auch immer sehr mit dem Thema überfordert sind.“

Das sagte eine Fachkraft in einem Interview für eine Studie des Kompetenzzentrums Kinderschutz (2018).

Wissen über Prävention, Früherkennung, Unterstützung und Hilfe, rechtliche Rahmenbedingungen, medizinische Grundlagen zur Einschätzung, all das wäre nötig.

Wir werden es nicht von heute auf morgen schaffen, die dafür notwendigen Kompetenzen direkt flächendeckend an den Hochschulen zu verankern.

Es ist aber notwendig und wichtig, dass wir damit starten. Ein Lehrstuhl kann einen großen Unterschied machen. Das sehen wir, wenn wir nach Hessen schauen:

Zu Frau Professorin Maud Nordstern von der University of applied Sciences.

Für das von ihr entwickelte Frankfurter Modell in der Lehre hat sie zu Recht Auszeichnungen erhalten.
Ein Fall aus Wetzlar hat sie und die Fachhochschule Frankfurt erschüttert. Ein acht Monate altes Baby starb an einem Schädelhirntrauma.

Eine junge Fachkraft kümmerte sich um den Fall. Vorherige Verletzungen erklärten die Eltern ihr mit einem Unfall beim Spielen. Die Fachkraft glaubte den Eltern.

Nach dem Tod des Kindes wurde sie angeklagt wegen unterlassener Hilfe. Die Entscheidung des Gerichts: Zurecht ein Freispruch, weil sie im Studium nicht die nötige Ausbildung erhalten hat.

Die hätte sie aber gebraucht!
Die hätte sie gebraucht, um das Kind besser zu schützen.

Frau Professorin Nordstern hat erreicht, dass es inzwischen einen verpflichtenden Kinderschutzfachtag gibt und auch eine 12-stündige interdisziplinäre Kinderschutzvorlesung.
Deshalb genau richtig, dass wir mit einem Haushaltsantrag dafür gesorgt haben, dass sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Professorin Berneiser einen interdisziplinären E-Learning-Kurs für die Fachkräfte in NRW entwickelt hat.

Dieser wird zur Ausbildung und Fortbildung eingesetzt und ist seit Juni letzten Jahres auf der Homepage der Fachstelle zugänglich.

Die achtjährige Mia steht im Zentrum. Sie erzählt ihrer Lehrerin in der Schule von Gewalt durch ihren Vater.
Die angehenden Fachkräfte können alle Perspektiven durchspielen:

Was erlebt ein Kind wie Mia? Welche Bedürfnisse hat ein misshandeltes Kind? Welche Aufgaben und welches Selbstverständnis haben Fachkräfte, die für den Schutz von Kindern eintreten? Wie gestaltet sich ihre Kooperation?

Sie sehen, ein Lehrstuhl kann einen großen Unterschied machen.

Mit der Einrichtung einer solchen Professur hier in NRW – die sich wirklich nur mit dem Schutz unserer Kleinsten und ihren Rechten beschäftigt – wollen wir dafür sorgen, dass sich der Blick auf unsere Kleinsten weitet.

Das Wissen über psychische, physische und sexualisierte Gewalt an Kindern müssen wir im gesamten Land verbreiten und das wissenschaftlich fundiert. In Theorie und Praxis!
So erreichen wir, dass am Ende unsere Fachkräfte - aber auch wir alle - besser reagieren können bei Anzeichen auf Gewalt.

Wir wollen, dass sich Kinder nicht mehr 7 bis 8 Mal an einen Erwachsenen wenden müssen, um gehört zu werden und Hilfe zu bekommen.

Denn „Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ Heißt auch für Verständnis sorgen, damit gehört werden kann.

Eine eigene Professur hierfür ist ein guter weiterer Schritt dahin. Ich freue mich, dass wir diesen heute gehen.