Dr. Christian Untrieser zu TOP 10 „Rede zu Zweites Gesetz zur Änderung des Mittelstandsförderungsgesetz“

04.11.2021

Herr Präsident / Frau Präsidentin,

wir diskutieren heute zum ersten Mal die Novelle des Mittelstandsförderungsgesetzes.

 

Es gibt rund 710.000 Unternehmen in NRW, die wir dem Mittelstand zurechnen – dies sind mehr als 99 % aller Unternehmen.

55 % aller Sozialversicherungspflichtigen arbeiten in mittelständischen Unternehmen. Und rund 80 % der Auszubildenden sind in KMUs beschäftigt

Der Mittelstand in NRW ist Quelle von Innovationen, steht für verantwortungsvolles Unternehmertum und ist wesentlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft.

Und deswegen: „Die Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe und die freien Berufe sind zu fördern.“ Art. 28 Landesverfassung NRW

Der Mittelstand steht vor besonderen Herausforderungen: Dekarbonisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel. Wie vielleicht nie zuvor mussten sich Unternehmerinnen und Unternehmer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb eines Berufslebens immer wieder neu aufstellen, neu lernen, neu erfinden.

Beispiel Digitalisierung: es reichte vor ein paar Jahren vielleicht noch, sich eine Homepage statt eines Telefonbucheintrags zuzulegen. Heute reden wir über Virtual Reality, Internet of Things, Cloud-Computing, digitale Zwillinge, Plattform-Ökonomie, Industrie 4.0 und vieles mehr.

Beispiel Dekarbonisierung: im Jahr 2045 wollen wir klimaneutral sein. Das sind gerade einmal 25 Jahre, also vielleicht etwas mehr als die Hälfte eines Berufslebens. Hier müssen Mittelständler eine Antwort finden, wie sie möglicherweise ihre Heizung modernisieren, mit welchem Energieträger sie zukünftig z.B. Prozesswärme gewinnen, woher genug grüner Strom kommt – vielleicht mittels Eigenerzeugung - , ob man auf Wasserstoff umstellen kann, welche Fahrzeuge klimaneutral fahren werden.

Beispiel demographischer Wandel: vielleicht war es früher so, dass der Meister zum Lehrling sagte: um die Uhrzeit bist du da, dann kannst du gehen, du arbeitest so, wie ich es sage.
Das ist längst nicht mehr die Realität der Arbeitswelt. Gerade Berufseinsteiger fordern Flexibilität in der täglichen, wöchentlichen oder Jahresarbeitszeit, genug Zeit für Familie und Ehrenamt, vielleicht ein sabbatical, Mitbestimmung. Viele wollen nicht einfach nur in Lohn und Brot stehen, sondern suchen einen Sinn in der Beschäftigung.

Und ich glaube, meine Damen und Herren, das sind gute Entwicklungen, dass sich der Mittelstand den drei großen Ds – Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie stellen.


Angesichts dieser Herausforderungen sollten wir uns als Politiker fragen, wir stärken wir unsere Mittelständler, wie machen wir sie fit für die Zukunft?

Und wir glauben: es ist besser, wenn die Unternehmerin oder der Arbeitnehmer den Kopf für eine Stunde frei hat, um sich diesen zu zerbrechen, als dieselbe Stunde komplizierte Formulare auszufüllen. Denn das ist das, was mir Unternehmen immer wieder berichten, egal ob in der Landwirtschaft, im Handwerk, im produzierenden Gewerbe oder wo auch immer. Immer mehr Bürokratie und immer mehr Zettelwirtschaft, immer weniger Zeit und Ressourcen, sich um die Zukunftsthemen zu kümmern.

Und daher ist das unser Kompass seit viereinhalb Jahren in der NRW-Koalition: weniger Bürokratie, weniger Gesetze, weniger Fesseln!
Stattdessen: Mehr Freiheit, mehr Raum für Innovation, mehr Potential.

In 8 Entfesselungspaketen haben wir ca. 100 Vorgaben auf Landesebene vereinfacht. Und mit der Novellierung des Mittelstandsförderungsgesetzes gehen wir diesen Weg konsequent weiter.

Wir stärken den Mittelstand, indem wir ihn noch stärker in unsere gesetzgeberische Arbeit einbinden. Indem wir noch mehr fragen, ob eine neue Regelung sinnvoll ist? Ob sie unverhältnismäßigen Aufwand produziert? Ob sie von wichtigen anderen Dingen ablenkt? Denn – so ehrlich müssen wir sein – was wir uns manchmal im Plenarsaal ausdenken, hat Konsequenzen in den Betrieben in Siegen, in Stolberg oder in Bad Driburg, die wir oft gar nicht bedacht haben, gar bedenken konnten.

Dazu wird die Clearingstelle Mittelstand weiterentwickelt. Sie soll künftig nicht nur bei zu verabschiedenden Gesetzen und Verordnungen, sondern auch bei bestehenden aktiv werden können.

Es sollen dann Rechtsnormen des Europa- oder Bundes- oder Landesrechts geprüft werden können oder weitere Maßnahmen und Vorhaben der Landesregierung, die einer Beschlussfassung durch den Landtag bedürfen.
    

Die Clearingstelle ist ein Erfolgsmodell: so lesen wir im heute erschienenen Jahresbericht:

Seit 2013 gab es mittlerweile 100 Clearingverfahren.

„Für viele andere Bundesländer ist die Clearingstelle Mittelstand Vorbild. Das Land Niedersachsen hat – orientiert an der nordrhein-westfälischen Clearingstelle Mittelstand – im Jahr 2020 eine vergleichbare Institution eingerichtet.“