Dr. Christos Katzidis zu TOP 4 "Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen"

11.11.2020

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Wolf, wir haben in einigen Punkten 100 % Übereinstimmung.
Ich fange mal mit dem ersten Punkt an. Bezüglich dessen, was Sie gerade im Hinblick auf Art. 8 Grundgesetz – Versammlungsfreiheit – beschrieben haben – konstituierend; hohes Gut unserer Demokratie, unseres Rechtsstaats –, haben wir 100 % Übereinstimmung.
Ich bin froh, dass die Allgemeinverfügung der Stadt Köln, Versammlungen auf 100 Personen zu begrenzen, durch das OVG Münster für rechtswidrig erklärt worden ist. Das zeigt sehr deutlich, dass man so etwas nicht pauschal in einer Satzung regeln darf, kann und soll. Diesbezüglich haben wir eine völlige Übereinstimmung.
Wir haben zweitens eine völlige Übereinstimmung, was den Rechtsextremismus, die Verfolgung und die Diskriminierung angeht. Auch da teile ich alles, was Sie eben gesagt haben, zu 100 %.
Keine Übereinstimmungen haben wir bei dem, was Sie ansonsten zu Ihrem Gesetzentwurf gesagt haben. Darüber werden wir auch im Ausschuss sicherlich noch mal diskutieren müssen.
Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie als SPD-Fraktion im Landtag einen umfangreichen Gesetzentwurf vorgelegt hätten. Sie haben gesagt, dass das Versammlungsrecht klarer gefasst und vor allen Dingen auf einen modernen Stand gebracht werden müsse.
Darauf möchte ich gerne eingehen. Ich will aber insgesamt bei der Frage des Gesetzentwurfs Ihrer eigenen Fraktion anfangen. Sie haben eben – auch im Dialog mit dem Kollegen Lürbke – dargelegt, dass Sie einige Passagen aus anderen Bereichen übernommen hätten. – Ich würde ein bisschen weitergehen. Es ist gar nicht Ihr Gesetzentwurf. Sie haben den Entwurf für das Versammlungsfreiheitsgesetz in Schleswig-Holstein komplett übernommen. Sie haben eins zu eins abgeschrieben und nur an ein paar Stellen verändert, nicht umgekehrt. Es ist nicht Ihr Gesetzentwurf.
Sie haben den Gesetzentwurf an genau drei Stellen geändert: In § 9 haben Sie eine Begrifflichkeit geändert. In § 21 haben Sie das Hausrecht weggelassen. In § 29 – Ersetzung von Bundesrecht, Übergangsregelung – haben Sie einen Paragrafen hinzugefügt.
Es ist, anders als Sie es hier dargestellt haben, nicht Ihr Gesetzentwurf.
(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])
Vielmehr haben Sie ein anderes Gesetz eins zu eins übernommen, auch die Begründung, und nur an einigen Passagen etwas geändert. So viel sollte zur Wahrheit dazugehören.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Sven Wolf [SPD])
– Ja, das müssen Sie jetzt ertragen. Wir haben nicht abgeschrieben, Sie haben abgeschrieben.
(Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Gestatten Sie mir an der Stelle einen Hinweis: Sie haben wahrscheinlich die Not gehabt, recht schnell einen Gesetzentwurf ins parlamentarische Verfahren bringen zu wollen, weil Herr Minister Reul diesbezüglich schon eine Ankündigung gemacht hat.
Wenn Sie mal in unseren Koalitionsvertrag hineinschauen, werden Sie auf Seite 58 lesen – ich zitiere –:
„Wir werden die Gesetzgebungskompetenz des Landes zu Schaffung eines modernen Versammlungsgesetzes nutzen.“
(Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])
Das war immer unsere Absicht. Es hat bei uns bisher nur keine zeitliche Priorität genossen,
(Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])
weil wir in den vergangenen drei Jahren erst mal die größten Baustellen, die Sie uns 2017 hinterlassen haben, abräumen mussten.
(Christian Dahm [SPD]: Oh Gott, oh Gott! – Gegenruf von Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Das war die personelle Situation im sicherheitspolitischen Bereich, das war die technische Situation, und das war das veraltete Polizeigesetz.
(Beifall von der CDU und Marc Lürbke [FDP])
Deswegen haben wir es bisher nicht auf den Weg gebracht, aber wir werden uns im parlamentarischen Verfahren jetzt erfreulicherweise damit beschäftigen.
(Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])
– Sie hätten es früher machen können. Herr Wolf hat selbst die Föderalismusreform von 2006 angesprochen. In Ihrem Koalitionsvertrag steht im Übrigen kein einziges Wort zu einem Versammlungsfreiheitsgesetz. Sie hätten es schon früher machen können; das haben Sie nicht gemacht. Insofern: Zeit genug war da.
(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])
– Ja, wir halten noch etwas dagegen.
Aber ich würde jetzt gerne – weil Herr Wolf von einem umfangreichen Gesetzentwurf gesprochen hat – auf konkrete Inhalte eingehen. Er hat dargestellt, dass es klarer gefasst werden müsse.
Der Regelungsbereich ist sehr oberflächlich und nur beschränkt auf öffentliche und nichtöffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen.
Es gibt im Gesetzentwurf keine Aussagen zum Militanzverbot, keine gesetzliche Legaldefinition zum Begriff der Eilversammlung und keine gesetzliche Legaldefinition zum Begriff der Spontandemonstration. Die Rechtsproblematik der Kontrollstellen wird im Gesetzentwurf mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das zeigt, dass er nicht umfangreich ist und die Versammlungsrechtslage in Nordrhein-Westfalen klarer macht, sondern eher verschlimmert und für mehr Verwirrung sorgt.
§ 7 – Störungsverbot – enthält noch nicht mal Regelbeispiele.
Beim § 13 sind wir wirklich uneingeschränkt beieinander. Da könnte man aber noch weitergehen, und ich würde mir wünschen, dass wir in der Debatte schauen, wie weit man gehen kann, um gerade rechtsextremistische Demonstrationen und Versammlungen, vielleicht auch andere Dinge, zu verbieten.
§ 15 – Durchsuchung und Identitätsfeststellung – steht nach meinem Dafürhalten ein Stück weit im Widerspruch zum § 9. Aber das können wir sicherlich im Ausschuss noch im Detail diskutieren.
§ 18 – Öffentliche Verkehrsflächen im Privateigentum –: Das Eigentum ist in Art. 14 Grundgesetz geschützt. Wenn man so einen Eingriff vornehmen möchte, wie Sie ihn hier hineingeschrieben bzw. aus Schleswig-Holstein übernommen haben, ist der Gesetzestext an dieser Stelle zu dünn. Er hätte weitaus umfangreicher ausfallen müssen. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit enthält er an der Stelle keine einzige Aussage. Wenn man so weitreichend in das Eigentum eingreifen möchte, hätte man, damit das rechtssicher ist, ein bisschen mehr schreiben können und müssen, auch in der Begründung.
(Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Es findet sich kein Wort zu willkürlichen und rechtswidrigen Hausbesetzungen – auch das muss man sagen.
Um auf die Klarheit zu kommen: Sie schreiben hier auch neue Begriffe hinein bzw. haben sie übernommen; zum Beispiel den Begriff „zu besorgen“ in § 22.
(Zuruf von Ibrahim Yetim [SPD])
Das wird wahrscheinlich eher für Rechtsunsicherheit als für Rechtssicherheit sorgen, weil es, zumindest in Nordrhein-Westfalen, ein neuer Rechtsbegriff ist. Auch da zeigt sich sehr, sehr deutlich, dass es nicht ganz so ist, wie Sie es hier eben so schön dargestellt haben.
§ 23 – Straftaten –: Da würden wir uns wünschen, dass nicht nur alles im Zusammenhang mit Waffen und Gewalt unter Strafe gestellt wird, sondern vielleicht noch ein bisschen weitergegangen wird. Das gilt gerade mit Blick auf das, was Sie, Herr Kollege Wolf, gesagt haben.
Auch im Zusammenhang mit Militanz gibt es keine Strafbarkeit – ich hatte es eben angesprochen.
(Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Es gibt keine Strafbarkeit, wenn jemand vorsätzlich verbotene Versammlungen durchführt. Bezüglich Ordnungswidrigkeiten haben Sie das eine oder andere drin, aber die sind als Ordnungswidrigkeiten nur bußgeldbewehrt.
(Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Es gibt keine Strafbarkeit, wenn jemand vorsätzlich von Auflagen oder Beschränkungen abweicht. Das zeigt, dass es sehr liberal ist. Aber gerade, wenn man Rechtsextreme, die bestimmte Dinge ausnutzen, auch das Rechtssystem für sich ausnutzen, besser und härter verfolgen will, sollte man über das eine oder andere noch mal nachdenken.
Es gibt auch keine Strafbarkeit, wenn jemand gegen das Vermummungsverbot verstößt, keine Strafbarkeit, wenn jemand gegen das Uniformverbot verstößt, keine Strafbarkeit, wenn jemand gegen das Schutzausrüstungsverbot verstößt.
Das ist doch bei Weitem nicht umfangreich und sollte nach unserer Meinung ganz anders aussehen, abgesehen davon, dass der Gesetzentwurf auch keine Regelung zur Entschädigung und zum Schadensersatz enthält.
Quintessenz, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das ist kein umfangreicher Gesetzentwurf, der die Lage in Nordrhein-Westfalen klarer macht, der ein modernes Versammlungsfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen implementiert, sondern es ist ein handwerklich eher schlecht gemachter Gesetzentwurf, der an vielen Stellen – ich habe es gerade dargestellt; wir können im Ausschuss darüber diskutieren – erhebliche Schwachstellen enthält.
(Zurufe: Oho!)
Wir würden uns freuen, wenn wir mit Blick auf das, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Wolf, hier in Nordrhein-Westfalen ein qualitativ hochwertiges, zukunftsorientiertes und klares Gesetz haben. Dazu sind Sie herzlich eingeladen. – Herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der CDU, der FDP und Roger Beckamp [AfD])
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Katzidis. – Jetzt spricht Herr Lürbke für die FDP-Fraktion.

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