Dr. Günther Bergmann zu TOP 13 "Nordrhein-Westfalen und Polen: Gemeinsam erinnern und an der Zukunft Europas bauen"

17.06.2021

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren!

Wir hatten schon öfters die Gelegenheit, hier über die Bedeutung und über die Besonderheiten des deutsch-polnischen Verhältnisses sowie über die Wichtigkeit guter Beziehungen zwischen Polen und Nordrhein-Westfalen zu sprechen. Mein Eindruck ist, dass das aber gar nicht oft genug geschehen kann, denn in gute Beziehungen müssen wir immer wieder aufs Neue investieren, und das gerade und besonders auch mit Polen.
Dies geschieht quasi getreu dem Motto: Eine schwierige Vergangenheit ist der Motor für eine gute nachbarschaftliche Zukunft in einem vereinten Europa. Dabei dürfen wir uns nicht nur mit temporären politischen Verwerfungen beschäftigen, sondern wir müssen über die wahren Grundlagen einer guten Freundschaft sprechen.
Für zu viele ist es eigentlich schon eine Art Selbstverständlichkeit, dass wir nun auch bei unseren östlichen Nachbarn über ein gutes Verhältnis sprechen können. Das ist, wenn man nach Westen schaut, bei Frankreich ebenfalls ein wenig der Fall, wo wir ein ähnliches Phänomen feststellen. Bei beiden ist das aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit, und deswegen müssen wir daran arbeiten.
Ich denke in diesem Zusammenhang ganz oft an Kazimierz Majdański, der von 1979 bis 1992 Bischof von Stettin war. Ich hatte die Ehre, ihn 1987 in seiner bischöflichen Residenz in der Oderstadt besuchen zu können, und erinnere mich noch sehr gut an diese aufgewühlten Zeiten. Polen stand unter Kriegsrecht, und der polnische Papst entwickelte gerade eine Zentrifugalkraft des Wandels in diesem Land, die zwei Jahre später dazu führte, dass bei uns die Berliner Mauer eingerissen werden konnte.
Majdański hat mit einer Weitsicht und einer Weisheit die Dinge auf den Punkt gebracht. Natürlich stand er in der Tradition der 1965 von den polnischen Bischöfen an die deutschen Bischöfe am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils geschriebenen Briefe, mit deren Kernsatz sie, ich würde fast einmal sagen, für ein politisches Erdbeben in Polen sorgten, als sie sagten: Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. – Von deutscher Seite kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, was damals geschrieben wurde.
Bischof Majdański, der im KZ Dachau inhaftiert war und dort Opfer abscheulicher Menschenversuche wurde, sagte mit Blick auf das deutsch-polnische Verhältnis in hervorragendem Deutsch sinngemäß: Seine Generation müsse damit anfangen, das zu reparieren, was seine Generation und vorhergehenden Generationen kaputtgemacht hätten. Die nachfolgenden Generationen müssten hingegen viel in die Sicherung und in den Ausbau der deutsch-polnischen Beziehungen investieren.
Wo stehen wir heute? – Wir haben kein leichtes Verhältnis zueinander. Auf beiden Seiten bestehen weiterhin Klischees, und gerne werden negative Stereotypen eingesetzt. Leider müssen wir oft über mangelndes Einfühlungsvermögen und zuweilen über mangelnde Kenntnisse gegenüber den jeweiligen Nachbarn reden. In Deutschland ist zum Beispiel immer noch zu unbekannt, dass es vier Teilungen Polens bis hin zum Verschwinden des Staates von der Landkarte gab, oder dass es einen Gettoaufstand und einen Warschauer Aufstand gab; den einen 1943 und den anderen 1944. Das sind Wissensdefizite auf deutscher Seite, die einen polnischen Gesprächspartner sofort zumindest sehr schmerzen.
Immer noch können zu einfach Reflexe ausgelöst werden, die auf Vorurteilen beruhen und nicht zur Intensivierung der Beziehungen beitragen oder gar Vertrauen ausbauen. Aus meiner Sicht darf kein Problem mehr daraus konstruiert werden können, wenn etwa bei der Renovierung eines Gebäudes in den alten deutschen Ostgebieten – das ist die deutsche Sicht – bzw. in den wiedergewonnenen Gebieten – das wäre die polnische Sicht – ein alter deutscher Schriftzug gefunden wird, wie das am Busbahnhof in Danzig geschehen ist.
Dort tauchte bei Renovierungsarbeiten am Giebel plötzlich wieder das Wort „Post“ auf und führte zu einem regionalen Politikum: erhalten oder sofort ausmerzen, da deutsch? – Wir haben das bei der Reise als Parlamentariergruppe 2019 mitbekommen und wussten nicht so recht, wie wir damit 74 Jahre nach Kriegsende umzugehen hatten.
Der Titel des Antrags „Nordrhein-Westfalen und Polen: Gemeinsam erinnern und an der Zukunft Europas bauen“ greift all diese hier nur angerissenen Aspekte auf. Wir müssen allerdings die Basis verbreitern, damit noch mehr Vertrauen entsteht und die engen Beziehungen kontinuierlich ausgebaut werden.
Nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts müssen gerade wir in Nordrhein-Westfalen vorangehen; denn hier wohnten und wohnen Hunderttausende Polinnen und Polen oder Menschen mit polnischen Wurzeln und die Polen bilden hier die zweitstärkste Einwanderungsgruppe. In Emmerich am Rhein machen Polen heute mehr als 5 % der Bevölkerung aus, und über 5.000 Kinder in Nordrhein-Westfalen lernen polnisch als Herkunftssprache.
Die Polonia mit ihren Verbänden, kulturellen Institutionen und natürlich den kirchlichen Gemeinschaften trägt sehr zum guten Miteinander bei. Die Regionalpartnerschaft mit der Woiwodschaft Schlesien, die heute auch noch einmal optisch für uns alle wahrnehmbar war, und die 100 Städtepartnerschaften sind weitere Belege dafür.
Natürlich spielen im deutsch-polnischen Verhältnis auch die Erinnerungskultur und besonders die Gedenkstättenarbeit wichtige Rollen. Gemeinsam zu erinnern und zu gedenken, trägt dazu bei, den anderen und seine Sicht der Dinge besser zu verstehen. Diesbezüglich leistet übrigens das deutsch-polnische Jugendwerk einen erheblichen Beitrag. Wir müssen in der Zivilgesellschaft den staatlich eingeschlagenen Verständnisschritten noch mehr normale Beziehungen auf allen Gebieten folgen lassen.
Kurzum: Wir möchten das Jubiläumsjahr des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages dazu nutzen, noch mehr Schwung in diese Beziehungen zu bringen, damit es eben nicht so kommt, wie es leider erst neulich in der „Rheinischen Post“ hieß: erkaltete Freundschaft. – Lassen Sie uns weiter aufwärmen, um beim Bild der Zeitung zu bleiben. Aus diesem Grund bitten wir um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.