Dr. Günther Bergmann zu TOP 9 "60 Jahre Mauerbau: NRW soll der Opfer von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl gedenken"

01.07.2021

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Herr Seifen, Sie haben gerade wieder das Rednerpult dafür genutzt, eine Vorlesung zu halten, die allerdings mit dem Inhalt Ihres Antrages wenig zu tun hatte. 

Das ist mal wieder ein typischer AfD-Antrag. Er ist in Teilen abgeschrieben oder als konzertierte Aktion mit anderen AfD-Fraktionen erneut gestellt: in ähnlicher Form – ich kann Ihnen die Drucksachen und Großen Anfragen nennen, wenn Sie wollen – in Berlin, in Thüringen, in Rheinland-Pfalz und nun auch hier.
Es ist eigentlich nur ein schwacher Versuch, ein Thema, das man vermeintlich nicht ablehnen kann, dazu zu nutzen, eigenen parteipolitischen Vermarktern etwas zu liefern – und mehr auch nicht.
Ich will Ihnen direkt von Anfang an sagen: Seitdem ich in der Jungen Union von Nordrhein-Westfalen aktiv bin, gedenke ich den Opfern des Mauerbaus regelmäßig, angefangen bei der großen Demonstration 1981 auf dem Kurfürstendamm anlässlich des Besuchs von Breschnew auf der anderen Seite der Mauer, als wir an die Kreuze an der Mauer gegangen sind. Ich muss von Ihnen keine Nachhilfe bekommen.
Der AfD-Antrag ist frei nach dem Motto: Ein Problem ist nicht vorhanden, aber die AfD benennt es trotzdem.
Wir könnten ebenso auch hier im Landtag den Antrag stellen: Die Landesregierung oder der Landtagspräsident möge endlich die Kaffeeklappe wieder öffnen. – Das ist aber auch schon längst erfolgt. Solche Beschlussvorschläge haben Sie. Ich komme gleich zu den Inhalten.
Sie versuchen, die Dinge einfach umzudrehen. Ihre Beschlussvorschläge sind alle schon erledigt.
Auch selbst Ihre Einführung und Antragstellung sind schlichtweg falsch. Das erste Maueropfer war nicht – wie Sie schreiben – der erschossene Günter Litfin, den Sie vorhin zu Recht benannt haben, sondern Ida Siekmann, die in der Bernauer Straße beim Herausspringen, um sich zu retten, starb. Das alles sind Unsauberkeiten.
Ebenso irren Sie sich, wenn Sie davon reden, dass der Mauerbau 1961 – so schreiben Sie es wörtlich – der letzte Akt gewesen sei, die Bewegungsfreiheit der DDR-Bürger zu beschneiden. Das stimmt doch gar nicht. Sie haben es in Ihrer Rede auch selber ad absurdum geführt. Die schlussendlich 77.000 SM-70-Selbstschussanlagen – die Sie vorhin zwar mit einer anderen Zahl erwähnten; aber das ist auch egal – wurden erst zwischen 1971 und 1984 überhaupt installiert; einhergehend mit den furchtbaren Wirkungen, die sie hatten und die Sie auch zu Recht erwähnt haben. Auch die 302 Sicherungsbeobachtungstürme, die den Grenztruppen diese ekelhafte Superschussweite ermöglichten, sind erst viel später errichtet worden. Das waren alles letzte oder weitere Akte. Insofern ist Ihr Antrag auch an dieser Stelle nicht sauber.
Zum Antragsinhalt nur so viel: Niemand hier im Raum wird die 43 km innerstädtische Mauer, die 112 km um Westberlin herum, die man damals als Außenring bezeichnete, und natürlich auch die 1.400 km, von denen wahrscheinlich Frau Paul aus eigener Erfahrung berichten wird, weil sie nahe der Grenze geboren ist, schönreden wollen. Das ist in Beton und Stahl gegossene sozialistische Verachtung von Menschen und deren Rechten. Dies bleiben auch im Rückblick offensichtliche Auswüchse einer Diktatur und eines Unrechtsstaates. Da gibt es gar keinen Zweifel. Ich möchte erneut davor warnen, eine Gleichstellung oder eine Ähnlichkeit der NS-Diktatur und der DDR-Diktatur zu suggerieren. Das taten Sie mit dem Zitat, das Sie vorhin brachten. Die ekelhafte Einmaligkeit des NS-Regimes, nämlich die Vernichtung eines Teils des eigenen Volkes zur Staatsdoktrin zu machen, war leider erheblich schlimmer als das, was in der DDR passierte.
Dass gerade Sie im dritten Spiegelstrich Ihres Antrags von dem SED-Regime und dem eigenen Volk sprechen, finde ich schon ein dickes Ding. Für mich als Christdemokrat war es immer so, dass es nur ein deutsches Volk gab, das temporär in zwei deutschen Staaten auf deutschem Boden leben musste. Dass gerade Sie unser Volk verbal noch in der Retrospektive trennen, müsste Ihre Partei – zumindest den Flügel – eigentlich zum Platzen bringen.
Ihre vierte Feststellung schießt auch noch sachlich unsauber über das selbst gesetzte, jedoch nicht erreichte Ziel hinaus. Sie schreiben vorne im Antrag noch von Sozialismus. Hinten kommt dann Kommunismus. Sie haben das gerade auch so gemacht. Ja, was denn nun?
Lenin sprach auf Basis der Marx’schen Lehre von einer niederen und einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft. Erst kommt die Diktatur des Proletariats. Das ist der Sozialismus. Dann kommt die klassenlose Gesellschaft. Das ist der Kommunismus – quasi als Ziel. Die DDR hatte nach eigener Aussage Phase zwei noch nicht erreicht. Was machen Sie denn da?
Nun zu Ihrem Beschlussteil: Ist eigentlich der Internetanschluss bei der AfD kaputt, oder was ist los?
Die von Ihnen geforderten sichtbaren und öffentlichkeitswirksamen Formen – ich zitiere Ihren Antrag – des Gedenkens an die Maueropfer sind doch längst regelmäßig und sehr häufig vorgeführt worden. Das können Sie ganz leicht googeln. Dann bekommen Sie all diese Informationen.
Sowohl der Ministerpräsident als auch Herr Holthoff-Pförtner, um nur zwei Beispiele zu nennen, haben das öffentlich bereits ganz oft gemacht und müssen sich dazu nicht von Ihnen auffordern lassen. Armin Laschet hat übrigens schon der Maueropfer gedacht, als es die AfD noch gar nicht gab.
Und noch eines: Die Landeszentrale für politische Bildung hat allein zwölf Titel verschiedener Medien zum Thema „Berliner Mauer“. Das zeigt, dass es uns in Nordrhein-Westfalen wichtig ist, den Gedenkprozess zu verstetigen. Wir wollen nicht nur einmal im Jahr eine Veranstaltung, die Sie dann wahrscheinlich auch nicht mitbekommen werden.
Kurzum: Die CDU lehnt Ihren Antrag wegen der unsauberen Formulierungen ab. Zudem sind Ihre Feststellungen zu einem so wichtigen Thema nur teilweise korrekt. Die Vorschläge sind bereits umgesetzt und in dieser NRW-Koalition längst Realität.
 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.