Oliver Krauß zur Aktuelle Stunde "Hü und Hott bei der Verkehrspolitik: Wofür steht eigentlich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen?"

01.12.2023

Anrede

Die Tatsache, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Überschrift für die heutige Aktuelle Stunde sowohl „Hü“ als auch „Hott“ falsch geschrieben haben, zeigt, wie wichtig sorgfältiges Arbeiten ist.
Grüne und CDU arbeiten sorgfältig an gemeinsamen Lösungen und ergänzen sich nicht nur bei der Reform des Straßenverkehrsrechts hervorragend.
Bei der Bundesregierung ist das anders. Jeweils nur ein einziger Satz zu den Änderungsvorschlägen zu den Nummern 2, 3 und 4 zum „Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes“: „Der Vorschlag wird abgelehnt.“ Das ist am 06. Oktober 2023 die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates.
Am 11. Oktober bezieht die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Position: Der Vorschlag der Bundesregierung „wurde [.] mit Ländern und [..] Spitzenverbänden nicht ausreichend [.] diskutiert.“ Die „Stellungnahmefrist“ betrug „kaum mehr als einen Tag“.

Werden kommunale Entscheidungsmöglichkeiten gestärkt? „Wir sehen das in dem Gesetzentwurf [.] nicht gewährleistet.“ – so Dr. Markus Brohm für den Deutschen Landkreistag. Am selben Tag – es ist der 16. Oktober, Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestags. Dort reklamiert Angela Kohls für den ADFC: Widerspruch hatten wir schon „im Juni [.]. [Aber] Änderungen sind am Gesetz nicht erfolgt, es wurde nahezu unverändert“ überwiesen.

Am 20. Oktober nimmt die Regierungsmehrheit im Bundestag den Gesetzentwurf an – völlig unbeeindruckt von dem parlamentarischen Verfahren.
Aus den kommunalen Spitzenverbänden kommt das Votum, das Straßenverkehrsrecht stärker an der „Vision Zero“ zu orientieren. Darauf drängt ebenso unser Verkehrsminister Oliver Krischer: „Es sind gute Schritte in den [.] Vorschlägen enthalten.“ Aber die „Umsetzung der Vision Zero“ muss selbstverständlich dazugehören. 2.700 Opfer im Verkehr pro Jahr, so „dass es unser Ziel ist, hier wirklich auf null zu kommen“. Die „Vision Zero“ steht so auch in unserem Koalitionsvertrag in NRW.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt am 18. Oktober einen Entschließungsantrag vor mit den wesentlichen Punkten aus dem parlamentarischen Verfahren:
• mehr Sicherheit der verletzlichen Verkehrsteilnehmer – für Fußgängerinnen und Fußgänger, Radfahrer;

• Parkraum für die sozialen Einrichtungen vor Ort – für das heimische Handwerk und das Gewerbe;

• oder die Einrichtung von Lieferzonen – um mit Waren und Dienstleistungen effektiv zu versorgen.

Nichts davon greift die Regierungsmehrheit im Bund auf. Ebenfalls zurückgewiesen – weil der heutige Antrag das sogar zitiert – wird die Forderung, für neue Mobilitätsformen Sonderfahrspuren zu erproben, ohne dadurch den ÖPNV zu beeinträchtigen.
Meine Damen und Herren, DAS ist wirklicher Stillstand.

Der Entwurf der Novelle bedeutet in der Konsequenz, ich zitiere: dass die Ziele „Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimaschutzes), Schutz der Gesundheit und Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung für sich allein genommen ausreichen, um […] eine verkehrsregelnde Bestimmung zu erlassen“. Zwecke „zur Verbesserung der Verkehrssicherheit oder der Leichtigkeit des Verkehrs“ können „außer Acht bleiben“. 
Doch es geht zunächst um Straßenverkehrsrecht, so Professor Michael Brenner (Universität Jena) bei der Anhörung im Bundestag. Ein gerechter Ausgleich beinhaltet „in keinem Fall den Vorrang vor den Belangen der Sicherheit und der Leichtigkeit im Verkehr“ – vor der „Ordnung des Verkehrs“. Sicherheit ist mehr als „gleichberechtigt“. Sie ist nicht irgendwie zu „berücksichtigen“ – sie ist maßgeblich.

Auch in meinem Wahlkreis gibt es sowohl innerorts als auch außerorts Initiativen für Tempo 30. Doch es fehlt der Spielraum. Diesen – so steht es im Zukunftsvertrag – wollen wir, damit unsere Städte und Gemeinden mehr Handlungsfreiheit erhalten, um die „Verkehrssicherheit und die Aufenthaltsqualität“ zu steigern.
Die Novelle hier, die die Regierungsmehrheit im Bund durchdrücken möchte – komme, was wolle –, birgt jedoch die Gefahr, das Gegenteil zu erreichen.

Denn Straßen des überörtlichen Verkehrs haben eine besondere Funktion: Sie bündeln Verkehre, sie entlasten. Sie sorgen für die Leichtigkeit des Verkehrs – zum Arzt, zur Arbeit oder in der Freizeit – mit Pkw, Bus oder Shuttle. Takte im ÖPNV sind darauf bezogen. Ebenso Alarmierungszeiten von Polizei und Rettungskräften.

Die Leistungsfähigkeit dieser Straßen ist entscheidend, ob eine für Menschen gefährlichere Abkürzung durch Wohngebiete genommen wird oder nicht. Das sind wesentliche Aspekte, die zusammenbleiben müssen: Verkehrssicherheit, Gefahrenabwehr, Aufenthaltsqualität, Prävention.

Im parlamentarischen Verfahren sind diese Gesichtspunkte eingebracht, doch nicht aufgegriffen worden. So verpassen die Initiatoren, die Novelle schlüssig zu machen für menschliche Vorsorge – für Umwelt und Wirtschaft.

Meine Damen und Herren,
eine schnellere Umsetzung der Novelle wäre wünschenswert gewesen, doch dafür hätten die Aspekte der Sicherheit berücksichtigt werden müssen.
Nun geht es in das Vermittlungsverfahren, um einen Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat zu erzielen.
Für die besten Verkehrsregelungen in den Kommunen wird sich diese Landesregierung im Vermittlungsausschuss einbringen.
Aber mit der entsprechenden Sorgfalt, die ihrem Antrag nicht nur bei der Schreibweise von  „Hüh“ und „Hott“ fehlt.

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