Andrea Stullich zu TOP 5 „Jan Böhmermann und das Leben der Anderen - Das Recht auf Anonymität muss auch für Künstler, Journalisten, Kritiker und alle anderen Menschen strikt bewahrt und verteidigt werden.“

21.05.2025

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Sendung „ZDF Magazin Royale“ vom 9. Mai hat eine intensive Debatte in den Medien und in sozialen Netzwerken ausgelöst. Im Mittelpunkt steht die Enthüllung der Identität eines YouTubers, der bis dahin den Kanal „Clownswelt“ anonym betrieben hatte. Ihn verortet die Sendung im Umfeld rechtsextremer Narrative.
ZDF-Moderator Jan Böhmermann wird in diesem Zusammenhang mit dem Vorwurf des „Doxing“ konfrontiert – also der Veröffentlichung personenbezogener Daten ohne Zustimmung des Betroffenen.
Einige Medienvertreter und Zuschauer loben die Recherche als wichtigen Beitrag zur Aufklärung über rechtspopulistische Netzwerke.
Andere sehen in der Veröffentlichung der Identität einen fragwürdigen Präzedenzfall, der die Grenzen zwischen investigativem Journalismus und Persönlichkeits-Verletzung verschwimmen lässt.
Und natürlich dauerte es nicht lang, bis sich die AfD ihrer üblichen Mär  von der Einschränkung der Meinungsfreiheit bediente. Der vorliegende Antrag will vordergründig das Recht auf Anonymität verteidigen.
Tatsächlich geht es aber um Stimmungsmache – und wie so oft um den Versuch, kritischen Journalismus unter Generalverdacht zu stellen.
In dem Antrag wird so getan, als sei YouTuber „Clownie“ eine Art Dissident, als müsse er sich vor einer übergriffigen Medienmacht verstecken.
Die Behauptung im Antrag, er müsse sich anonymisieren, um sich vor der – Zitat – „Tyrannei der Mehrheit“ zu schützen, ist eine absurde Verzerrung der Realität.
Und der Vergleich mit großen Namen wie Tucholsky oder Kästner, deren Bücher verbrannt wurden, ist nicht nur geschichtsvergessen – hier werden Verbrechen der NS-Zeit für billige Empörung schamlos instrumentalisiert. Wer so in einem politischen Antrag argumentiert, verhöhnt die tatsächlichen Opfer von Verrat, Verfolgung und Tyrannei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
beide Protagonisten – Böhmermann wie Clownswelt – bezeichnen sich als Satiriker. Und Satire darf schonungslos, ketzerisch und sogar geschmacklos und populistisch sein.
Satire ist eine Kunstform, und die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind grundlegend für unsere Demokratie.
Beißende Satire und lautstarke Kritik an der eigenen Meinung auszuhalten, ist manchmal eine Herausforderung – denn dazu gehört auch das Recht auf Provokation, auf Vorurteile und sogar das Recht auf Dummheit, solange dadurch keine Gesetze verletzt werden.

Das bedeutet für alle Beteiligten:
Wer Öffentlichkeit sucht, muss sich der Öffentlichkeit auch stellen. Wer Meinung macht, muss auch Widerspruch aushalten. Wer andere provoziert, muss mit Reaktionen rechnen. Das ist keine Einschränkung von Meinungsfreiheit – das ist ihr Wesen.
Meinungsfreiheit und Satire finden ihre Grenzen im Grundgesetz und in den allgemeinen Gesetzen. Äußerungen, die die Menschenwürde verletzen, zu Gewalt aufrufen oder gegen bestimmte Gruppen hetzen, sind keine Meinung, sondern Straftaten.
Deshalb trägt jeder, der seine Meinung veröffentlicht, Verantwortung für seine Wortwahl, für den Inhalt und für die Folgen seiner Veröffentlichung.
Das gilt für einen Facebook-Post oder eine Insta-Story genauso wie für ein Video auf einer Plattform oder einen Beitrag in einem TV-Magazin.
Die Verantwortung wächst mit der Reichweite. Und auch Satiriker tragen Verantwortung – für die Wirkung ihrer Worte, für die Menschen, über die sie sprechen, und für die Debatten, die sie auslösen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir leben in einer Zeit, in der die Räume des demokratischen Diskurses unter Druck stehen – durch Desinformation, durch Polarisierung, durch digitale Lautstärke. Unsere Aufgabe ist es, die Regeln des öffentlichen Diskurses in alle Richtungen zu schützen.

Dafür braucht der Diskurs überprüfbare Fakten, Vielfalt, Respekt, Argumente, Offenheit – und er braucht Klarheit.
Und Satire und Ironie sind meiner Meinung nach eben selten eindeutig. Satire und Ironie sind Stilmittel künstlerischer Kommunikation und keine politischen Argumente.
Aber sie sind zum Glück vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Das Gleiche gilt für Meinungen, die nur von einzelnen vertreten werden oder überhaupt nicht ins eigene Weltbild passen. Man muss sie nicht mögen, man muss sie nicht teilen – man muss nur akzeptieren, dass es sie gibt und ein Verständnis für unterschiedliche Positionen entwickeln.
Wer die Meinungsfreiheit verteidigen und die Menschenwürde schützen will, der muss im Netz genauso wie im analogen Leben, auf einer online-Plattform genauso wie im linearen Fernsehen ein paar Regeln einhalten, damit wir uns alle angstfrei bewegen können, online wie offline.
Deshalb braucht es Regelungen gegen manipulative Technologien im Netz, die Meinungsbildungsprozesse verzerren, und Regelungen für Maßnahmen, die vertrauenswürdige Inhalte und verlässliche Informationen besser auffindbar machen.
Dafür setzt der Digital Services Act gemeinsame europäische Mindeststandards und nimmt die digitalen Plattformen mehr in die Pflicht, strafbare Inhalte zu unterbinden.
Denn Meinungsfreiheit ist unverzichtbar für eine lebendige Demokratie – gleichzeitig dürfen wir nicht zulassen, dass sie als Deckmantel für Desinformations-Kampagnen, Beleidigungen oder gar Volksverhetzung missbraucht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Anonymität ist kein Schutzschild, hinter dem man ungestört auf die Demokratie zielen darf. Der vorliegende Antrag tut so, als sei die mediale Aufklärung über einen meinungsstarken Akteur ein Tabubruch –
während die ausgrenzende, polemische und unversöhnliche Rhetorik dieses Akteurs als schützenswerter Ausdruck der Kunstfreiheit verklärt wird.
Wie so oft inszeniert sich die AfD als Verteidigerin kritischer Stimmen. Sie spielen sich mal wieder mit heuchlerischen Worten als Retter der freiheitlichen Demokratie auf.
Dabei sollten Sie doch besser dafür sorgen, dass die Hetzer aus Ihren eigenen Reihen verschwinden! Damit täten Sie wirklich was für die Demokratie!
Wir lehnen den Antrag entschieden ab – im Sinne der Presse- und Meinungsfreiheit und einer Demokratie, die sich weder einschüchtern noch instrumentalisieren lässt.
Vielen Dank.

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