
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Enquetekommission „Chancengleichheit in der Bildung“ hat über zwei Jahre hinweg intensiv gearbeitet – mit über 50 Sitzungen, umfangreichen Stellungnahmen, Anhörungen und vielen Stunden an Beratung. Das war keine akademische Fingerübung, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung für nichts Geringeres als die Zukunft unserer Kinder, unseres Landes.
Mein ausdrücklicher Dank gilt allen Eltern, Erziehern und Lehrkräften sowie allen, die tagtäglich engagiert und mit Herzblut daran arbeiten, unsere Kinder auf ihrem Bildungsweg zu begleiten. Viele haben wir im Rahmen unserer Kommissionsarbeit kennengelernt und wertvolle Anregungen von ihnen erhalten. Ebenso gilt mein Dank den Sachverständigen, Gutachtern, Mitarbeitern sowie den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen für die konstruktive und kollegiale Zusammenarbeit. Uns alle eint das Ziel, die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen nachhaltig zu verbessern. Der Abschlussbericht der Kommission atmet diesen Geist und bietet mit seinen fast 250 Handlungsempfehlungen dafür eine belastbare Grundlage.
Meine Damen und Herren,
wir geben uns mit den Ergebnissen von PISA und IQB nicht zufrieden. Wir akzeptieren nicht, dass bis zu einem Drittel der Viertklässler in NRW die Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreicht und die Auffälligkeiten beim Sozialverhalten zunehmen. Das ist ein unhaltbarer Zustand – für die betroffenen Kinder, aber auch für unsere Gesellschaft, dem wir uns gemeinsam mit unserem Abschlussbericht stellen.
Zentraler Bestandteil ist die Objektivierbarkeit von Bildung - datenbasiert, technologieoffen und fokussiert. Wir kleben nicht an ideologischen Wunschbildern. Wir setzen auf Klarheit, Struktur und einen messbaren Anspruch auf Bildungserfolg.
Und das beginnt mit einem realistischen Blick auf die Situation vor Ort. Wenn lediglich 76 Prozent der 3-6 Jährigen Kinder mit Migrationshintergrund eine Kita besuchen und zunehmend Kinder eingeschult werden, ohne richtig Deutsch zu sprechen, sind die Startchancen ins Schulleben mehr als ungleich verteilt. Das ist ein Wettbewerbsnachteil – für das Kind selbst, aber auch für die gesamte Lerngruppe.
Wir lassen weder die Kinder zurück, die kaum ein Wort Deutsch sprechen – noch bremsen wir die, die schon vor der Schule nach Wissen dürsten. Gute Bildung muss beides leisten: fördern und fordern. Nur wenn wir Leistung und die Lust auf Bildung ins Zentrum unseres Handelns rücken, werden wir die Talente unserer Kinder entfalten und die Anschlussfähigkeit unserer gesamten Volkswirtschaft sichern können. Begabung und Fleiß sind keine Gegensätze zur Förderung schwächerer Kinder, sondern selbstverständlicher Teil von Chancengleichheit. Und dafür braucht es klare Regeln, nicht falsch verstandene Rücksichtnahme.
Deshalb sagen wir klar: Bildung beginnt vor dem ersten Schultag. Wir fordern verpflichtende Sprachstandserhebungen mindestens ein Jahr vor der Einschulung – und darauf aufbauend gezielte, verbindliche Förderung. Nennen wir es Frühförderung, Sprachbrücke oder Chancenjahr – entscheidend ist: Wir fangen früh genug an, individuell, verbindlich und auf der Basis klarer Daten.
Der von Ministerin Dorothee Feller initiierte „Schulkompass 2030“ ist hier ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Er bringt ein einheitliches digitales Screeningverfahren zur Schulanmeldung auf den Weg – verbindlich, strukturiert und transparent. Damit erkennen wir frühzeitig, wo Kinder stehen – und wo gezielte Förderung notwendig ist. Auch die zusätzlichen Lernstandserhebungen, die im Rahmen des Schulkompasses zu den bestehenden VERA-Tests eingeführt werden, sind ein wichtiges Instrument, um Lernstände nicht mehr nur punktuell, sondern systematisch zu erfassen und die Förderung zielgerichtet anzupassen.
Doch diese Erhebungen sind nur dann sinnvoll, wenn wir auch die Kapazitäten und Strukturen haben, sie auszuwerten und zu nutzen. Deshalb setzen wir uns für ein umfassendes Daten-Dashboard ein, das Schulen, Schulaufsicht und Bildungsverwaltung in die Lage versetzt, auf der Grundlage von Evidenz zu steuern. Die Schulaufsicht muss sich dafür weiterentwickeln – von der Aufsicht zur evidenzbasierten Beratungsinstanz. Nur so können Maßnahmen zielgerichtet angepasst und der Bildungserfolg langfristig gesteigert werden.
Ein zentrales Element dafür ist die Einführung einer landesweiten Schüler-ID, die es erlaubt, Lernbiografien, Förderbedarfe und Stärken über die gesamte Bildungslaufbahn hinweg zu erfassen. Beginnend mit dem Schulkompass der Landeregierung leiten wir somit den erforderlichen strategischen Paradigmenwechsel ein. Diesen wollen wir entschlossen und überfraktionell weitergehen.
Wenn wir Bildung gerecht machen wollen, brauchen wir Präzision. Mit Schüler-ID und Datenintelligenz und orientiert am Sozialindex tauschen wir die Gießkanne gegen den Gartenschlauch. Wir fokussieren uns auch bei den Ressourcen auf den größtmöglichen Hebel, die größtmögliche Effizienz. Hinschauen, Analysieren, Handeln.
Damit sind wir beim Thema Künstliche Intelligenz, das der Abschlussbericht zu Recht mit einem eigenen Kapitel und durch ein eigens in Auftrag gegebenes Gutachten würdigt. Denn wir sind überzeugt: KI wird Bildung, wird Schule substanziell verändern. Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug – zur Individualisierung, zur besseren Förderung und zur spürbaren Entlastung der Lehrkräfte.
Mit dem bereits im Februar 2023 veröffentlichten Handlungsleitfaden zum Umgang mit textgenerierender KI oder Projekten wie „KIMADU“, hat Nordrhein-Westfalen bundesweit bereits eine Vorreiterrolle eingenommen. KIMADU zeigt konkret, wie KI bereits heute helfen kann, Unterricht anzupassen, Lernlücken zu identifizieren und Lehrkräfte im Alltag zu entlasten. Diese Potenziale müssen wir landesweit nutzbar machen – mit entsprechenden Fortbildungen, mit technischer Infrastruktur und mit Mut zur Veränderung. Gepaart mit der Schüler-ID und der Ausweitung der Lernstandserhebungen wollen wir den Bildungsturbo zünden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Weg zu mehr Chancengleichheit für unsere Kinder ist kein staatlicher Alleingang. Wir werden das Ruder nur rumreißen können, wenn wir Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen. Zahlreiche Handlungsempfehlungen richten sich daher auch an Kommunen und andere Akteure.
Und auch Eltern wollen wir wieder stärker in die Pflicht für die Erziehung und Bildung ihrer eigenen Kinder nehmen. Wenn Eltern mehr Zeit mit dem Smartphone als mit ihren Kindern verbringen oder Elternabende und Entwicklungsgespräche als nice to have angesehen werden – dann haben wir ein Problem, das Kita und Schule alleine nicht lösen können. Die in NRW geschaffenen Familienzentren leisten hier bereits eine ausgezeichnete Arbeit. Wir brauchen aber auch eine echte Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus mit klaren Pflichten und Aufgabenteilungen.
Wir weiten aber auch den Blick über das Elternhaus hinaus und wollen außerschulische Partner verstärkt einbinden: Mentoringprogramme und Ausbildungsinitiativen, wie die Meckenheimer Garantie für Ausbildung (MeGA), zeigen, wie es geht. Kinder brauchen frühzeitig Kontakt zu Handwerk, Wissenschaft, Unternehmertum, auch und gerade um Perspektiven aufgezeigt zu bekommen und Chancen zu ergreifen.
Und lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Schulstruktur sagen: Die Frage der Chancengleichheit entscheidet sich nicht an der Schulform. Entscheidend ist nicht, ob ein Kind auf die Förderschule, die Haupt-, Real- oder Gesamtschule oder auf ein Gymnasium geht – entscheidend ist, welche Haltung, welche Qualität, welche Standards dort vermittelt werden. Wir brauchen eine schulformunabhängige Änderung des Mindsets mit klaren Bildungszielen, top ausgebildeten und motivierten Lehrkräften und einer Didaktik und Methodik, die für Bildung und Leistung begeistert.
Meine Damen und Herren,
die Bildung unserer Kinder entscheidet über nichts Geringeres als über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Über unseren Wohlstand, über unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, über unsere Fähigkeit, unsere Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einer multipolaren Welt zu verteidigen, in der ökonomische Marktanteile genauso wie Wertesysteme zur Disposition stehen.
Gelingen wird uns dies, wenn wir alle Kinder, ob hier geboren oder zugewandert, in ihrer Einzigartigkeit annehmen und sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bestmöglich auf ein selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben vorbereiten. Es sind alles UNSERE Kinder und wir haben den gemeinsamen Auftrag, entschlossen zu handeln – der Abschlussbericht der Enquetekommission Chancengleichheit in der Bildung des Landtags von Nordrhein-Westfalen gibt dazu mehr als nur Anregungen.
Vielen Dank für die gemeinsame Arbeit – das war gut und wichtig!
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