
Anrede
Spricht man mit Europaabgeordneten oder Vertretern aus anderen europäischen Institutionen über aktuelle politische Herausforderungen, so kommt das Gespräch regelmäßig auf den Mehrjährigen Finanzrahmen und die Zukunft der EU-Förderpolitik. Also behandelt Ihr vorliegender Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, zweifelsohne ein wichtiges Thema.
Nicht umsonst haben wir bereits im vergangenen Oktober als eine unserer ersten parlamentarischen Initiativen einen Antrag eingebracht zur Stärkung nordrhein-westfälischer Interessen in Brüssel. Die Brisanz und die großen Herausforderungen bei der Ausgestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens und der Kohäsionspolitik nach 2020 haben wir schon vor mehr als einem halben Jahr betont. Genauso wie die Notwendigkeit, auch wirtschaftlich stärker entwickelten Regionen, zu denen auch Nordrhein-Westfalen gehört, weiterhin zu unterstützen, um sie zu „Lokomotiven Europas“ zu machen. Anfang Mai wird die EU-Kommission einen ersten Vorschlag vorlegen, wie sie sich die Zukunft der EU-Finanzen ab 2021 vorstellen wird. Liebe Kollegen der SPD, natürlich ist es Konsens, dass wir uns dafür einsetzen, dass es auch zukünftig Strukturfördermittel geben wird. Natürlich ist es Konsens, dass wir die maximal-mögliche Förderhöhe für Nordrhein-Westfalen erreichen wollen. Aber und jetzt kommen wir zum Unterschied zwischen Ihnen und der Mehrheit in diesem Hause.
Wir fordern nichts Utopisches, sondern wir unterstützen die Landesregierung in ihrem Bestreben, der Kohäsionspolitik im Mehrjährigen Finanzrahmen auch nach 2020 die herausgehobene Rolle zuzuschreiben, die sie verdient hat. Zum 29. März 2019 soll der Brexit vollzogen werden. Mittlerweile ist eine Übergangsphase bis Ende 2020 verabredet. Im Jahr 2021, wenn die neue Förderperiode starten wird, werden wir wohl ohne Großbritannien als Mitglied der Europäischen Union auskommen müssen. So sehr wir die politische Entscheidung des Vereinigten Königreichs auch bedauern – wir müssen uns mit den Folgen des Brexit auseinandersetzen. Großbritannien ist aktuell der zweitgrößte Nettozahler in der Europäischen Union. Die Lücke, die der Brexit reißt, beläuft sich auf bis zu 14 Milliarden Euro.
Jetzt muss der neue Mehrjährige Finanzrahmen versuchen, diese enorme Lücke weitestgehend zu kompensieren sowie gleichzeitig die bestehenden Förderprogramme zu erhalten und darüber hinaus noch neue Aufgaben, wie die Sicherung der Außengrenzen zu übernehmen. Und das alles - ich wiederhole mich an dieser Stelle - ohne Großbritannien als Beitragszahler! Die EU-Finanzen stehen also ab 2021 vor mächtigen Herausforderungen. Lassen Sie mich dazu auf die in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen eingehen: Ihre Forderung 1a – die Bundesregierung soll ausreichend hohe Mittel bereitstellen, mehr als 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens – ist grundsätzlich Konsens. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien im Bund: „Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Wir wollen einen Haushalt, der klar auf die Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert ausgerichtet ist.“ Unter 1b fordern Sie dann mehr Unabhängigkeit von „nationalen Budgets“ und nennen dafür die Finanztransaktionssteuer. Auch sie ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Neben diesem Vorschlag und dem schwierigen Ausgleich zwischen Frankreich und der Bundesrepublik – im Ausschuss hat Herr Remmel auch die Plastiksteuer zitiert und die CO2-Steuer, um das Brexit-Manko auszugleichen – geht es uns in dieser dynamischen Zeit darum, seriös mitzuverhandeln und zu optimalen Ergebnissen für Nordrhein-Westfalen zu kommen. Unter Punkt 2 Ihres Antrages folgt auf Ihre Kernforderung – „mindestens so hohe Fördermittel wie in der aktuellen Förderperiode“ – nichts Substantielles mehr. Dass Fördergelder „bedarfsgerecht und zielgerichtet“ verwendet werden sollen, versteht sich von selber.
Dass bürokratische Hürden reduziert werden sollen, genauso. Das ist auf Basis unserer Initiative im Oktober-Plenum übrigens auch Beschlusslage: sich dafür einzusetzen, dass die Regelungen zur Verwaltung und Kontrolle der EU-Strukturfonds vereinfacht werden, damit die Regionen und Akteure die notwendige Handlungsfreiheit haben, um ihre Innovations- und Wachstumspotentiale vor Ort erschließen zu können. Meine Damen und Herren, man mag darüber streiten, ob es sinnvoll wäre, eigene europäische Einnahmequellen zu generieren, sei es jetzt eine Plastik- oder eine Digitalsteuer oder die im Antrag erwähnte Finanztransaktionssteuer. Es ist aber doch fernab der Realität, mal so eben eine solche Steuer zu erheben. Sie wissen selber, wie kompliziert es ist, eine Steuer einzuführen, die alle Mitgliedsländer in etwa gleichermaßen treffen würde und die in der technischen Umsetzung handhabbar bleiben muss. Wir müssen also, wenn wir realistisch bleiben, für den EU-Haushalt ab 2021 annehmen, dass die Einnahmen weiter aus den festen Abgaben des Bruttoinlandsprodukts der Nationalstaaten stammen. Diese Erkenntnis hat nichts mit fehlender Vision zu tun, sondern diese Erkenntnis ist realistische Politik! Was wir nicht vergessen dürfen, meine Damen und Herren: Selbstverständlich ist Deutschland in Summe Nettozahler in Brüssel. Warum also setzen wir uns so für die Ausgestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens ein? Weil wir besonders als Nordrhein-Westfalen, als Land im Herzen Europas, davon profitieren! 2,42 Milliarden Euro hat Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Förderhöhe aus Brüssel erhalten. Wenn Anfang Mai, also in einer Woche, der Vorschlag der Kommission auf dem Tisch liegt, gehen die Verhandlungen über den zukünftigen Mehrjährigen Finanzrahmen weiter bzw. erst so richtig los. Dabei sollte es unser aller Ziel sein, die Verhandlungen bis zur Europawahl 2019 abzuschließen. Dieses ambitionierte Ziel sollten wir aus zwei Gründen verfolgen.
Erstens ist die Planungssicherheit für alle Förderprojekte enorm wichtig. Planungssicherheit ist die Voraussetzung dafür, dass die Projekte rechtzeitig starten und eine nachhaltige Wirkung entfalten können. Zweitens sollte im Vorfeld der Europawahlen über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert werden. Es soll diskutiert werden über die Tiefe der Integration, die wir uns zukünftig von der Europäischen Union wünschen, aber wir sollten es vermeiden, einen Überbietungswettlauf zu starten, wer wieviel Geld in Aussicht stellt. Die grundsätzliche Intention des SPD-Antrages würdigen wir in angemessener Weise. Wie ich aber schon im Ausschuss gesagt habe: es macht keinen Sinn, einen Antrag zu stellen, der entfernt von der Realität ist und ausdrückt, was wir uns alle wünschen würden. Wir müssen jedoch die aktuellen Gegebenheiten sehen, erkennen und bestmöglich ausgestalten. Es ist verantwortungsvolle Politik, keine unrealistischen Forderungen zu erheben. Lassen Sie uns gemeinsam auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens bei der Ausgestaltung des zukünftigen Mehrjährigen Finanzrahmens maximal berücksichtigt werden. Lassen Sie uns davon Abstand nehmen, realitätsfremde Forderungen aufzustellen. Daher werden wir Ihren Antrag auch heute ablehnen.
Vielen Dank.
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