Gewässerschutz voranbringen – Mikroplastik reduzieren

25.04.2018
Dr. Ralf Nolten MdL zu TOP 4

Der Gran Canal von Mexico City vor 15 Jahren – eine große, breite Kloake, stinkend, kilometerlang, mit einer Müllschicht obenauf. Wie kam das Plastik hinein? Hineingekippt, geworfen, bei Starkregen hineingespült oder vom Wind hineingeweht von den wilden Ablagerungen der 20-Millionen-Metropole? Nun haben wir keine großen Abwasserkanäle, die ins Meer führen oder in großen Senken versickern. Die Frage aber bleibt: wie kommt das Plastik, wie kommen Mikroplastikpartikel in die Gewässer? Geschätzt etwa 6 Mio. t Kunststoffabfall werden in Deutschland erfaßt, verbrannt, im besten Fall recycelt. Etwa 1.400 t landen direkt oder über unsere Flüsse im Meer. Manchmal machen uns Einträge auch fassungslos wie jüngst, wo daumennagelgroße Schnipsel aus gehäckselten Lebensmittelverpackungen über die Bioabfallvergärung in die Schlei gelangten und kilometerweit Uferabschnitte verunreinigten. Die Erscheinungsformen von Mikroplastik sind vielfältig: - Industriell geformte Kunststoffformkörper, die sog. Mikrobeads, die häufig als Abrasiva in Kosmetik- und Reinigungsprodukten Verwendung finden, - resin pellets als Basis für die Kunststoffproduktion, - Sekundärpartikel aus dem Abbau oder der Zerkleinerung größerer Plastikteile durch UV-Bestrahlung oder mechanischer Einwirkung, - Mikrofasern aus synthetischen Textilien wie der Fleece-Kleidung. Ob, wie und in welchem Maße sie die menschliche Gesundheit beeinträchtigen – wir wissen noch sehr wenig darüber. Entsprechend besteht Einigkeit darüber, dass sie nicht in die Umweltmedien gelangen sollten. So verschieden die Stoffe und Strukturen, so unterschiedlich sind vermutlich auch die Eintragswege, zu denen immer noch ein hoher Forschungsbedarf besteht. Mikroplastikpartikel sind überall, im Boden, in der Luft, im biotischen Bereich und damit auch in unseren Nahrungsmitteln, in uns allen. Und auch im Wasser. Mikroplastik wurde in einer internationalen Studie in über 80 % der Leitungswasserproben weltweit nachgewiesen. Es findet sich auf allen Kontinenten, in urbanen wie ländlichen Bereichen. Auch in abwasserunbeeinflussten Gewässern sind Mikrofasern gemessen worden. Mikrofasern werden vom Wind über Grenzen und Regionen geweht, regnen auf uns, auf unsere Siedlungen und Natur herab. Tonnenweise. Sie vollständig in Abwasserströmen zu entfernen, ist heute noch nahezu unmöglich. Verschiedene Analysen von Kläranlagenabläufen zeigen dies. Ist das Mikroplastik erst einmal in den Flüssen oder im Meer werden wir es aus heutiger Sicht nicht mehr entfernen können. Bei der Persistenz vieler Materialien eine missliche Situation. Die naheliegende Konsequenz haben die Vorredner beschrieben: restriktives Inverkehrbringen von Plastik in jeder Form. Wie können wir technisch und ökonomisch sinnvoll die Eliminierung der Mikroplastikpartikel betreiben? Wo sollte die reguläre Überwachung konkret ansetzen? Wie werden Grenzwerte für Luft, Wasser und Boden definiert? Mit welchen Referenzanalysemethoden wird gemessen? Die wenigen vorhandenen Studien basieren auf unterschiedlichen Nachweisverfahren und sind in ihren Ergebnissen nicht direkt vergleichbar. Die Vielfalt der Eintragungswege wird eine Reihe von Maßnahmen zur Fassung der Mikroplastikpartikel am Entstehungsort erforderlich machen. So laufen Forschungsvorhaben zum Erfassen des Reifenabriebs über den Einbau von Mikrofiltern in Einlaufschächte der Straßenentwässerung. Es wird die Aufrüstung von Waschmaschinen diskutiert. Eine Waschmaschinenladung soll bis zu 700.000 Mikrofasern abgeben. Aber auch über die sachgerechte Behandlung der so gewonnenen Filterrückstände müssen wir nachdenken. Es bleibt die Frage: Was tun wir, damit aus dem Abwasser heraus keine oder nur möglichst geringe Einträge in das aquatische System erfolgen? Die Forderung nach der sogenannten 4. Reinigungsstufe erfolgt bei Ihnen von den Grünen schon fast mantrahaft. Nun soll die Landesregierung „einen Fahrplan für die notwendige 4. Reinigungsstufe von Kläranlagen vorlegen, der auch die Erprobung von Modellprojekten vorsieht“. Die Modellprojekte laufen – im Land, wie auch in anderen Bundesländern und im europäischen Ausland. Die Ministerin hat eben z. B. das Forschungsvorhaben MiKaMi zum Eintrag von Mikrokunststoffen aus abwassertechnischen Anlagen, Kläranlagen und Mischwasserbehandlungsanlagen erwähnt. Es existieren mehrere Pilotanlagen mit der Aktivkohle-Adsorption oder der Ozonung. Biologische Varianten sind z. Zt. nicht praxisreif. Inwieweit sich die von Forschern aus den USA und Großbritannien ermittelten Superphagen, die ein Plastik zersetzendes Enzym erzeugen, im großtechnischen Maßstab einsetzen lassen, muss sich erst noch erweisen. Bioreaktoren mit anschließender Mikrofiltration zeigen z. Zt. noch mäßige Erfolge, wohingegen erste Anlagen mit einer Schlussfiltration mittels Scheibentuchfilter gute Ergebnisse aufzeigen. Ansätze zur Lösungssuche sind also vorhanden. Vor zwei Wochen haben wir an der Kläranlage Aachener Soers die europaweit größte Ozonungsanlage in Betrieb genommen. Zugleich hat das Institut für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen dort sein neues Laborgebäude der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine permanente Begleitung der Pilotanlage ist so gewährleistet. Das ist der Ansatz, den die CDU verfolgt: keine Vorfestlegung zum Bau von Reinigungsstufen, wo häufig genug noch nicht einmal Eintragsvolumen und Struktur, das Strömungsverhalten und der Abscheidegrad von Mikroplastik feststehen. Wo offen ist, welche Keim- und Mikroschadstoffbelastungen lokal bestehen. Wir sind nicht in Mexiko City, wo in der Abgeschiedenheit eine mehrere Quadratkilometer große Kläranlage für die Abwässer von über 10 Mio. Menschen gebaut wurde, z. T. auch mit deutscher Technik. Hier kann ich ein jungfräuliches Konzept umsetzen. Hier habe ich nahezu unbegrenzte Flächen für Erweiterungen der Anlagen jeglicher Art. Die nordrhein-westfälische Realität ist eine andere. Wir haben bestehende, z. T. schon erweiterte Anlagen. Dort, wo sie in Nähe jüngst ausgewiesener Hochwassergefährdungsbereiche, wo sie in engen Bach- und Flußtälern oder zwischen heranrückender Wohnbebauung liegen, müssen Lage und Abfolge weiterer Reinigungsstufen sehr genau überlegt werden. Ergänzende Sandfänge, Vorklärungen vorab, Nachklärbecken, Retentionsbodenfilter, Sandfiltrationen, Schönungsteiche – sie benötigen z. T. mehrere Hektar Fläche. Die Entscheidung für den Bau einer bestimmten technischen Einheit, die Entscheidung über ihre Positionierung auf dem Gelände einer Kläranlage brauchen Sicherheit hinsichtlich der Prozessgestaltung und der Zielerreichung. Denn nur Aufbau und Technik werden entscheiden, wie hoch der Eliminierungsgrad jeder einzelnen Kläranlage ist. Angesichts der immensen Aufwendungen im Abwasserbereich müssen die wissenschaftlichen Begleitstudien zu Pilotanlagen mit Aussagen zur technischen Machbarkeit und zu den finanziellen Auswirkungen abgewartet werden. Nur so vermeiden wir kontraproduktive Ergebnisse wie die Entstehung von Metaboliten oder einen immens hohen Stromverbrauch auf den Anlagen. Nur so vermeiden wir unverhältnismäßige Gebührenbelastungen für die Bürger. Eine Vorabzusage zur flächendeckenden 4. Reinigungsstufe ist für die NRW-Koalition keine Option. NRW war in der Vergangenheit vielleicht nicht an der Speerspitze der Bewegung bei der Eliminierung von Mikroplastik. Mein Fazit aber lautet: es zeigt sich eine große Gemeinsamkeit hinsichtlich der Problemeinschätzung und des Willens zur Behebung des Problems. Über die konkreten Ansätze gerade in Bezug auf die Abwasserreinigung können und werden wir im Ausschuss trefflich diskutieren.