Oliver Krauß zu TOP 10

11.10.2018
Einrichtung einer Enquete-Kommission zum bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union

Anrede

gerne hätte ich darauf verzichtet, über die Einrichtung ei-ner Enquete-Kommission zum bevorstehenden Austritt Großbritanniens und Nordirlands aus der Europäischen Union zu beraten.

Doch wir respektieren selbstverständlich das Ergebnis des britischen Referendums vom 23. Juni 2016, selbst wenn wir es nicht nachvollziehen können.
Denn gerade dem Staat Großbritannien ist die Europäi-sche Union in der Vergangenheit an vielen Stellen entge-gengekommen. Wir haben akzeptiert, dass das Vereinig-te Königreich weder der Euro-Zone noch dem Schenge-ner Abkommen beigetreten war. Großbritannien muss weniger an die EU bezahlen als seiner Wirtschaftskraft angemessen wäre und auch beim Fiskalpakt bekam London eine Sonderstellung.

Es hat nun wirklich nichts mit fehlendem Respekt zu tun, wenn deutlich wird, dass bei einem Austritt eine „Rosi-nenpickerei“ des United Kingdom nicht akzeptiert werde.
Dabei geht es nicht darum, ein abtrünniges Mitglied zu bestrafen. Der Austritt ist das gute Recht eines souverä-nen Mitgliedsstaates. Es ist aber doch zwangsläufig kon-sequent, dass man bei einem Austritt die mit der Mit-gliedschaft verbundenen Rechte zunächst einmal verliert.
Es muss deutlich bleiben, welchen Mehrwert eine Mit-gliedschaft im Kreis der EU hat. Denn nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern können wir gegen-über den Märkten der Welt bestehen, können wir die ak-tuellen politischen Herausforderungen lösen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich an den Besuch der irischen Ministerin für Europaangelegenheiten, Helen McEntee, die am 24. Juli 2018 im Landtag zu Gast war. Wir nehmen die Sorgen der irischen Partner ernst. So müssen die Verpflichtungen aus dem Karfreitagsabkom-men, welches Nordirland Frieden gebracht hat, weiterhin gelten. Zentral sind daher für uns die Frage der künftigen Grenze sowie die Frage, wie die künftigen Beziehungen zwischen beiden Ländern aussehen sollen.
Gestern gab es positive Anzeichen, dass sich hier vor dem EU-Gipfel kommende Woche etwas bewegen könn-te.

Sollte sich beim Gipfel aber herausstellen, dass es für ein Abkommen nicht reicht, werden wir uns auf ein Scheitern der Verhandlungen insgesamt einstellen müssen. Im Fal-le eines NO-DEAL-BREXIT müssen wir die nötigsten Fragen bis zum 29. März 2019 geregelt haben.

Meine Damen und Herren,

eine Enquete-Kommission des Landtages kann eine her-vorragende Unterstützung der bisherigen Anstrengungen der Landesregierung und der NRW-Koalition sein. Daher werden wir die Kommission nicht nur aufgrund der Ge-pflogenheiten dieses Hauses mittragen.

Meine Damen und Herren,
NRW hat besondere Beziehungen zu Großbritannien. Das Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen entstand mit der Einigung der damaligen britischen Besatzungsmacht, der „Operation Marriage“, dem Zusammengehen mit dem Land Lippe. Für die positive, freundschaftliche Verbun-denheit, die in dem geschichtlichen Boden nach 1945 liegt, haben wir allen Grund, dankbar zu sein.
Daher gilt es, die Partnerschaft im Falle des Brexit auf eine neue Basis zu stellen. Denn selbstverständlich brauchen wir unsere Nachbarn auf der Insel: Wir benöti-gen aber ebenso eine neue Balance von Rechten und Pflichten.

Dazu kann diese Enquete-Kommission trotz der vielen Unwägbarkeiten ihren Beitrag leisten.

So können wir in der Arbeitshypothese des heutigen An-trags lesen: das Weißbuch als „letztes Angebot“, „keine signifikanten Verhandlungsfortschritte“, die Forderung, ein „mögliches Scheitern“ noch vor Dezember mitzutei-len. Die Ausgangssituation greift der Antrag im Wesentli-chen auf. Die Rahmendaten sind vielfach ausgetauscht: zu den Verflechtungsgraden, zu der Enge unserer Bezie-hung. Von daher hätte ich mir mehr Gespür – und aus meiner Sicht auch mehr Realismus – bei der Beschrei-bung der „Problemlagen“ gewünscht. Und später auch bei der Präzisierung in den „Fragestellungen“.

Es ist nämlich wenig hilfreich, prinzipielle Zweifel an dem Zusammenhalt über den Ärmelkanal hinweg zu schüren. Schulpartnerschaften nach einem Brexit, die Berücksich-tigung kultureller Aspekte, Städtepartnerschaften, Rei-sen: Bei allem denkbaren Anpassungsbedarf im Einzel-nen hätte ich mir eine Note gewünscht, die das Vertrauen in unsere Freundschaft zu Großbritannien ausdrückt.
Der Antrag zitiert ferner „Meinungsunterschiede innerhalb der britischen Politik, eine zum Teil offen gezeigte anti-europäische Stimmung“. Richtig ist aber ebenso, dass in London Zehntausende gegen den Brexit mobil machen und zum Westminster ziehen. Andernorts vergleichbar. Davon lese ich leider nichts in dem heutigen Antrag. Das müssen wir aber auch würdigen.

Am Montag war in einer großen deutschen Tageszeitung ein Beitrag von Sir Sebastian Woods zu lesen mit der Überschrift: „Wir betreten Neuland“. Der Botschafter Großbritanniens in Berlin erinnert darin an die fortwäh-rende Gemeinsamkeit.
Wir begrüßen das geäußerte klare Bekenntnis, weiterhin bedingungslos für Europas Sicherheit einzustehen; beim globalen Handelssystem, beim Pariser Klimaabkommen, beim Atomabkommen mit dem Iran will sich Großbritan-nien Schulter an Schulter mit Deutschland engagieren.

Meine Damen und Herren,
die Landesregierung, unser Minister Dr. Stephan Holt-hoff-Pförtner mit dem jetzigen Vorsitz in der Europaminis-ter-Konferenz, hat die Bewältigung des Brexits zum Schwerpunktthema gemacht. Nordrhein-Westfalen berei-tet sich auf die denkbaren Szenarien vor. Das Brexit-Übergangsgesetz wird finalisiert. Für den Fall eines Aus-tritts ohne Abkommen wird Handlungsfähigkeit herge-stellt. Die Landesregierung agiert partnerschaftlich und proaktiv, im Bund und im Kollegium der Bundesländer, ebenfalls auf europäischer Ebene.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönliche Bemerkung: Bis heute habe ich nicht verstanden, warum das ehrenamtliche Engagement von Friedrich Merz für unser Land in den Reihen der heutigen Antragsteller so wenig Anerkennung findet.
Sie können zu Herrn Merz und seinen beruflichen Aufga-ben stehen, wie Sie mögen.
Er hat sich jedoch in dieser historisch-kritischen Situation an die Seite der Landesregierung und des Landes ge-stellt, extern, ohne Honorar. Die hervorragenden Kontak-te zu den wirtschaftlichen Akteuren in Großbritannien, zu den politischen Handelnden, zu den Instituten der Wis-senschaft, in die Zivilgesellschaft: Das ist in der aktuellen Situation unverzichtbar. Positive Wendungen des Brexits werden vorgedacht, die die hier vorgeschlagene Enque-te-Kommission differenzieren soll.
Der Brückenbau für die britischen Unternehmen in NRW und umgekehrt für die nordrhein-westfälischen Unter-nehmen im Vereinigten Königreich steht oben auf der Agenda: Wir sagen zu britischen Unternehmen nicht „Thank you – Good-bye“, sondern „Welcome“.

Entsprechend erwarten wir von der Enquete-Kommission, dass sie von haltlosen politischen Reflexen absieht. Gerade weil der Prozess des Brexits so volatil ist, ist der Erfolg auf unbedingte Sachdienlichkeit und Konzentration angewiesen.

Richtig sind aus unserer Sicht die flexiblen Momente, die der Antrag vorgibt. Die Betrachtung der denkbaren Aus-trittsszenarien, bis der Eintritt eines Szenarios auszu-schließen ist. Die Arbeit mit Zwischenberichten.

Das partnerschaftliche, sachdienliche Handeln ist Weg-weiser für gute Arbeit, wie wir sie in der Enquete-Kommission leisten können.
Wir wollen die bilateralen Beziehungen stärken, einen engen Austausch mit unseren Partnern in Großbritannien und Nordirland.
Wir wollen Werbung für unser Bundesland und seine Standortvorteile machen: Verkehr, Infrastruktur, duale Ausbildung, Hochschulen, Kultur, soziale Sicherheit, ge-sellschaftlicher Zusammenhalt.
Und schließlich wollen wir Hilfen bieten, wenn sich Vo-raussetzungen ändern: bei Kitas, Wohnungen, internatio-nalen Schulen, Universitäten oder Behördenangelegen-heiten.

Eine Enquete-Arbeit, die in ihren Arbeitsschritten und Analysen solchen konkreten Zielen folgt, kann in jedem Szenario, das zur Debatte steht, Mehrwert erarbeiten.

Meine Damen und Herren,

nichtsdestotrotz bleibt es dabei: Der beste BREXIT ist der, der überhaupt nicht stattfindet.

Dennoch freuen wir uns auf eine gute, konstruktive Arbeit in der Enquete-Kommission.
Bleibt am Ende die Hoffnung, dass wir bei der Arbeit in der Kommission nicht von den Entwicklungen rund um den Brexit eingeholt oder gar überholt werden.

Vielen Dank!

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