Oliver Krauß zu TOP 8 "Fit für Europas Zukunt sozialer Zusammenarbeit"

15.11.2018

Der SPD-Antrag „Fit für Europas Zukunft sozialer Zusammenarbeit“ steht in einer Reihe mit dem SPD-Antrag, der hier am 17. Mai auf der Tagesordnung stand, seinerzeit mit dem Titel „Soziale Säule der Europäischen Union stärken“. Vor einem Jahr haben wir den Antrag beraten: „Entsenderichtlinie reformieren – Beim Aufbau einer sozialeren Europäischen Union helfen“.

Diese Anträge haben gemeinsam, dass sie dringende Anliegen und Daseinsfragen in unserer Europäischen Gemeinschaft überprüfen: auf die Impulse, die unser Bundesland dazu gibt – auf die Erfahrungen und Erwartungen, die wir dazu haben. Diese liniengleiche Vorgehensweise „von oben nach unten“, Topp Down, ist legitim. Sie verliert in den Forderungen aber an Kraft, je weniger der europäische Diskurs, den zumindest 27 Mitgliedsstaaten führen, mit der Lebenswirklichkeit zusammenfindet, die wir landespolitisch verantworten.

Dann entsteht der Verdacht, dass es ideologisch gedacht ist – vielleicht als Hilfe für den Bundesfinanzminister in Sachen europäische Arbeitslosenversicherung, oder in puncto Entsenderichtlinie als Rückhalt für Frau Nahles.

Ihnen als SPD ist doch bekannt, dass der Koalitionsvertrag auf Bundesebene – von Ihrer Partei und von der Union geschlossen – zentrale Bezüge der Europäischen Säule verarbeitet: Rahmen für Mindestlohnregelungen, für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten, Vergleichbarkeit von Bildungsstandards, soziale Grundrechte, Sozialpaket, bessere Koordinierung der Arbeitsmarktpolitik.

Ich darf an die Beschlusslagen in diesem Hause erinnern mit dem Ziel, die grenzüberschreitende Mobilität für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konkret zu erleichtern. Auch für unsere Anträge zur Förderung des europäischen Zusammenhalts sowie zur grenzüberschreitenden Kooperation und Vernetzung mit den Niederlanden und Belgien, insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Hochschulen, gab es hier im Haus großen Rückhalt.
Drei Mal gab es aber ein „Nein“, - und zwar von der SPD.

Die Artikel 9 und 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU sind geltendes Primärrecht. Da brauchen wir hier kein Lippenbekenntnis.

Die Forderung nach dem maximalen Finanzierungsanteil für stärker entwickelte Regionen ist bekanntermaßen Verhandlungslinie der Landesregierung. Das wurde zuletzt bei der Diskussion um den Mehrjährigen Finanzrahmen klargestellt.
Logik der Sozialpolitik ist, nah an den Aufgaben zu handeln. Die Nachbarschaft – das Visasvis zu den Mitmenschen – die Angemessenheit ist Voraussetzung für Akzeptanz. Entgegen der Überregulierung, der Anonymität, der kleinteiligen europäischen Einmischung.

Aktuelle Alternativen des Weißbuchs nimmt Ihr Antrag nicht mit, nicht einmal aus dem Reflexionspapier der Kommission „zur sozialen Dimension Europas“. Den Aspekt der Subsidiarität erwähnen Sie erst gar nicht.

Stattdessen wollen Sie die Umsetzung einer europäischen Arbeitsbehörde vorantreiben – ohne Ausmessen des Mehrwertes, der Kosten, des Nutzens und möglicher Doppelstrukturen - ohne Bewertung von Risiko und Haftung.
Meine Damen und Herren,
eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt die Position der italienischen Regierung zu dem Reflexionspapier der Kommission auf: Konkret fordert Italien eine Erhöhung der Mittel für soziale Ziele im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen, eine angemessene Finanzierung der Jugendbeschäftigungsinitiative, die Schaffung diverser Finanzinstrumente wie eine europäische Arbeitslosenversicherung.

In der ‚repräsentativen Acht-Länder-Studie‘ der Friedrich-Ebert-Stiftung steht demgegenüber die Erwartung in unserer Mitte: „Von der Zustimmung zu einer Ausweitung der Kompetenzen der EU bleiben ausgespart vor allem die Budgethoheit und die Gestaltung der Sozialsysteme“.

Das berücksichtigt der vorliegende Antrag überhaupt nicht. Denn die Debatte um sozialen Fortschritt der EU braucht Ambition, Offensive, aber auch Offenheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in den Zielen liegen wir doch nicht auseinander. Wir wollen die Abstände in der europäischen Konstruktion verkleinern: Eine Währungsunion ohne eine politische Union in der Haushalts-, Finanz- und Sozialpolitik. Diese sind national definiert. Das führt zu dem politischen Willen, die Distanz zwischen wirtschaftlicher Integration und einer politischen Integration zu schließen.
Eine von oben diktierte Annäherung wird den verschiedenen Arbeitsmarktstrukturen aber nicht gerecht, den einzelnen Traditionen des sozialen Zusammenhalts, den unterschiedlichen sozialpolitischen Präferenzen.

Zu dieser Einheit in der Vielheit, zu der lebendigen Subsidiarität – flankiert von der Kompetenzlage des Artikels 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU  – dazu gehört die Realität, dass bei einem 7-prozentigen Anteil der EU an der Weltbevölkerung knapp 50 Prozent der weltweiten Sozialausgaben in unserer europäischen Gemeinschaft aufgewendet werden. Die sozialen Dimensionen sind substanzieller Bestandteil der europäischen Integration. Stand letztes Jahr waren soziale Mindeststandards auf Basis von 57 EU-Richtlinien und vier EU-Verordnungen für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend festgelegt.

Wir können im Ausschuss beraten, wo mehr Vergemeinschaftung Vorteile bringt. Die von Ihnen geforderte Vergemeinschaftung der Sozialpolitik

o muss jedenfalls einen Mehrwert bringen,
o darf die Funktionalität des Binnenmarktes nicht unterlaufen;
o darf die Akzeptanz der Gemeinschaft nicht gefährden;
o darf nicht Transmissionsriemen sein, westeuropäisches Niveau in den Süden und Osten zu exportieren – auf Kosten von Überbeanspruchung und neuen Transfers.

So können wir jedenfalls nicht zustimmen. Vielen Dank.

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