Dr. Stefan Nacke zu TOP 3 "Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes"

11.07.2019

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulgesetzes hält die NRW-Koalition Wort und gestaltet mit einem weiteren Baustein ihres Koalitionsvertrages die Wirklichkeit
neu. Wir wollen die Kraft der Hochschulen für die Erneuerung  unseres Landes nutzen. Hochschulen sollen in ihrer Rolle als Katalysatoren für Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt
gestärkt werden. Damit wir als Land partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit ihnen über die richtigen Ideen und Maßnahmen zu Weiterentwicklung unserer Hochschullandschaft verhandeln
können, verschaffen wir den Hochschulen die ihnen zustehende und die für sie notwendige Freiheit. Im Gesetz wird es nunmehr schlicht lauten: „Die Hochschulen nehmen die ihnen obliegenden
Aufgaben als Selbstverwaltungsangelegenheiten wahr“ (§2 Absatz 2 Satz 1). 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
diese Neufassung des Hochschulgesetzes ist logische Konsequenz unseres Politik- und Staatsverständnisses, unseres Verständnisses vom Umgang mit den gesellschaftlichen Institutionen, das in
besonderer Weise das Subsidiaritätsprinzip ernst nimmt. Dem Subsidiaritätsprinzip zufolge verstößt es gegen die Gerechtigkeit, dem Einzelmenschen das zu entziehen, was er aus eigener
Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, um es dann der Gesellschaftstätigkeit zuzuweisen. Der klassischen Definition von Subsidiarität, die in der Sozialenzyklika Quadragesimo anno
formulierten ist, folgend, ist es ungerecht, das, was die kleineren, untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in
Anspruch zu nehmen. Diese, auf den Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning – der als katholischer Soziallehre-Professor auch Berater des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt war – zurückgehende
Definition schließt mit dem eindrücklichen Satz: „Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär, sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber
niemals zerschlagen oder Aufsaugen (QA 70). Subsidiarität beschreibt also eine Ebenenunterscheidung und ist zugleich ein Freiheits- und ein Hilfeprinzip.
Wenn wir heute die Autonomie und eigenverantwortliche Gestaltungskraft der nordrhein-westfälischen Hochschulen durch ein überarbeitetes Hochschulgesetzes wiederherstellen, wird
Verantwortung nicht einfach auf eine untere Ebene abgeschoben. Vielmehr werden die Hochschulen in ihrer Fähigkeit, die eigenen Dinge selbst zu regeln, wieder ernst genommen. Einerseits
bedeutet Freiheit den Abbau von Hindernissen, andererseits die Möglichkeit der Selbstbestimmung und der freien Wahl. Wir trauen den Verantwortlichen in unseren Hochschulen viel zu. Freiheit zeigt
sich in der Enttäuschbarkeit von Erwartungen. Wir aber haben Vertrauen in die Wissenschaft und die Bereitschaft und die Kompetenzen der Menschen, die sich der Wissenschaft
verschrieben haben. Zugleich nehmen wir unsere eigene politische Steuerungsverantwortung ernst. Nur denken wir weniger hierarchisch als vielmehr partnerschaftlich. Deswegen schaffen wir
das Instrument der Rahmenvorgaben und das Durchgriffsrecht des Ministeriums auf das Hochschulmanagement ab und werden gemeinsam mit den Hochschulen vor Ort strategische
Entwicklungsziele und konkrete Leistungsziele mithilfe von Hochschulverträgen aushandeln. Mitgeregelt werden dabei selbstverständlich auch die Verfahren zur Feststellung des
Umsetzungsstands des Hochschulvertrags und die Folgen bei Nichterreichen hochschulvertraglicher Vereinbarungen. Entsprechend der doppelten Bedeutung von Subsidiarität als
Freiheits- und als Hilfeprinzip eröffnen wir beispielsweise einerseits die Möglichkeit für die Hochschulen, auf Antrag die Bauherreneigenschaft und Eigentümerverantwortung für ihre
Liegenschaften übertragen zu bekommen. Andererseits schaffen wir mit dem Stichwort „Studienverlaufspläne“ die Option eines Hilfeinstruments zur Beratung, Förderung und Sicherung des individuellen Studienerfolgs (§ 58a). Wir nehmen die Hochschulautonomie ernst, wenn wir die Zivilklausel als generelle Vorschrift aus dem Gesetz nehmen. Keineswegs aber verbietet es
der heute zu beratende Gesetzentwurf den Hochschulen, bestehende Zivilklauseln weiterhin als Teil ihrer Grundordnung zu behalten. Wissenschaftler operieren selbstverständlich auf dem
Boden des Grundgesetzes und darüber hinaus können die Hochschulen weitere Selbstverpflichtungen in ihren Ordnungen selbst festlegen. Gleiches gilt für die Anwesenheitspflichten (§64).
Seit Monaten bemüht die rot-grüne Opposition bei jeder Veranstaltung zum Thema Hochschule die unzutreffende Behauptung, dass Anwesenheitspflichten bisher verboten seien und
– so die Extremvariante – unsere Hochschulgesetz-Novellierung generelle Anwesenheitspflichten vorschreiben würde.
Beide Behauptungen sind nicht richtig. Bereits jetzt können Hochschulen auf Basis des rot-grünen Hochschulgesetzes im Rahmen der festgelegten Kriterien
entscheiden, ob sie Anwesenheitspflichten für einzelne Veranstaltungsformate erlassen – und zwar spezifisch auf  Fakultäten, Studiengänge, Fächer und einzelne Veranstaltungen angepasst.
Die NRW-Koalition ermöglicht den Hochschulen mehr Freiheit und gibt die Regelung der Anwesenheit in die Autonomie der Hochschulen. Gerade für Seminare kann die aktive Teilnahme aller
Studierenden elementar für den Studienerfolg sein. Es geht doch um die Einübung des wissenschaftlichen Diskurses. Vor Ort und auf den Einzelfall bezogen ist doch viel besser zu regeln, in welcher
Weise Anwesenheit für eine erfolgreiche Durchführung von Seminaren, Vorlesungen, Kolloquien, Tutorien etc. notwendig ist.
Darüber hinaus fördern wir den wissenschaftlichen Nachwuchs, indem wir die Tenure-Track-Regeln und damit die Berechenbarkeit für wissenschaftliche Karrieren verbessern – dies machen wir nicht
zuletzt mit dem Ziel, dass vermehrt Frauen ihren Weg auf die Lehrstühle finden. Das große Innovationspotenzial der Hochschulen wird mit dem Urlaubssemester für Gründerinnen und Gründer in den
Blick genommen. So stärken wir die Gründerszene und machen neben dem Wissenschaftsstandort auch den Wirtschaftsstandort NRW noch attraktiver.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
angesichts der aktuellen Debatten über Belästigungen, Nötigungen und Gewalt in unserer Gesellschaft und den sozialen Medien und auf vielfältigen Hinweis von Lehrenden, Studierenden und
Hochschulleitungen haben wir eine Regelung zum Thema Ordnungsverstöße und Ordnungsmaßnahmen aufgenommen (§ 51a). Zum einen gab es ein solches Ordnungsrecht schon einmal
und viele andere Bundesländer kennen Entsprechendes. Zum anderen wollen wir durch eine differenzierte Sichtweise eine gewisse Flexibilität bei den Sanktionen erreichen, das „Alles-oder-
Nichts-Prinzip“ der Exmatrikulation vermeiden und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sichern. Betonen möchte ich aber:
Eindeutig nicht unter diese Regelung fällt die lange Hochschultradition der Demonstration als legitimes Mittel des demokratischen Diskurses an Hochschulen. Lassen Sie mich abschließend meiner Freude Ausdruck verleihen,
dass es im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, ein weiteres Ziel unseres Koalitionsvertrages umzusetzen, nachdem wir die Wege zur Promotion für Studierende an Fachhochschulen
verbessern wollten. Mit der Schaffung des gemeinsamen „Promotionskolleg für angewandte Forschung an Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen“ etablieren wir eine hochschulübergreifende
wissenschaftliche Einrichtung. Aufgrund einer Begutachtung durch den Wissenschaftsrat, der die wissenschaftliche Gleichwertigkeit feststellen muss, räumen wir dieser hochschulübergreifenden Stelle
oder einzelnen dort zu bildenden Fachbereichen ein konditioniertes Promotionsrecht ein. Dabei beziehen wir uns auf die derzeit bereits im Hochschulgesetz vorgesehene Möglichkeit, nichtstaatlichen
Hochschulen Promotionsrechte zu verleihen. Mit unserer neuen Regelung verorten wir weiterhin das Promotionsgeschehen im Kontext von Hochschule und Lehre. Von einem Dammbruch einer
generellen Freigabe des Promotionsrechts für Fachhochschulen allgemein oder für Forschungsinstitute im Besonderen kann also keine Rede sein. Vielmehr greifen wir eine Handlungsnotwendigkeit
auf, die im bisherigen Graduiertenkolleg der Fachhochschulen dadurch entstanden ist, dass in vielen Fällen sogenannte „kooperative Promotionen“ leider nicht zustande gekommen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das novellierte Hochschulgesetz ist partnerschaftlich und subsidiär. Es ermöglicht Freiheit und Verantwortungsübernahme vor Ort, es garantiert politische Steuerung. Es greift die Bedürfnisse der
Hochschulangehörigen auf und wird durch die Menschen belebt. Im Namen meiner Fraktion danke ich herzlich allen bei der Novellierung Beteiligten: der Ministerin, den Fachexperten aus dem
Ministerium und den Anhörungen, den Kollegen und Referenten in den Fraktionen. Heute ist ein guter Tag für die Wissenschaft in NRW! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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