
Die Missverständnisse zwischen landwirtschaftlicher und nicht-landwirtschaftlicher Bevölkerung nehmen zu. Sie betreffen
die Produktionsweise – Latzhose und Gummistiefel contra Melkroboter und Sensortechnik
die Umweltwirkungen – Gülle gleich Gift oder Teil der bedarfsgerechten Düngung und
die soziale Nachhaltigkeit – Selbstbestimmtes Arbeiten, Agrarromantik versus Regulierungswut, fehlender Work-Life-Balance und Hofnachfolge.
Die Bilder der Schlepperkonvois fordern die Agrarpolitik heraus. Deswegen kommt der Antrag zur rechten Zeit.
Die Agrarpolitik soll dem Konzept der multifunktionalen Landwirtschaft folgend mehrere Ziele erreichen, von denen der Titel nur einige heraushebt: die Sicherstellung der Versorgung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln, eine Erzeugung mit geringstmöglichen Einflüssen auf die natürlichen Ressourcen unter Förderung der Biodiversität sowie die Lösung des Problems der Einkommensdisparität. Landwirte brauchen attraktive Entgelte für ihre Produkte und Dienstleistungen, sonst fehlt morgen der qualifizierte Nachwuchs.
Die wichtigsten Sachgebiete der Agrarpolitik sind
- die Agrarmarkt- und Preispolitik
- die Agrarumweltpolitik
- die Agrarstrukturpolitik
- die Agrarsozialpolitik
- die Agrarkreditpolitik sowie
- die Agrarbildungs- und Wissenschaftspolitik.
Sie alle spricht der Antrag an. In entwickelten Volkswirtschaften wie der unsrigen mit einem Erwerbstätigenanteil von 1,4 % und einer Bruttowertschöpfung von 0,9 % erfolgt häufig eine mangelnde Rücksichtnahme der Politikverantwortlichen auf die Besonderheiten des landwirtschaftlichen Sektor. Das Mercosur-Abkommen ist ein aktuelles Beispiel hierfür. Darum ist Agrarpolitik so wichtig. Sie muss neben den thematischen auch zeitliche, räumliche und soziokulturelle Aspekte zu beachten. Ein Beispiel:
Während wir von „Schweinemästern“ oder „Milchbauern“ sprechen, gibt es individuell unterschiedliche Betriebsleitereigenschaften. Sie zu differenzieren dient dem betrieblichen Risikomanagement oder der besseren Zielgruppenbestimmung bei Dienstleistungen und Serviceangeboten.
Mit dem Trend zur Spezialisierung differenziert sich die Food Chain von den Vorleistungen, der landwirtschaftlichen Produktion über die Erfassung, die Verarbeitung in Ernährungshandwerk und -industrie, über den Lebensmitteleinzelhandel bis hin zu den unterschiedlichen Verbrauchergruppen immer weiter aus.
Mit der abnehmenden Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sinkt tendenziell der Einfluß der Produzenten in dieser Kette. Es sinkt auch die Zahl der Landwirte und ihrer Familienangehörigen, die als Kommunikatoren in der breiten Bevölkerung ein realistisches Bild einer zeitgemäßer Landwirtschaft vermitteln könnten. Auf der anderen Seite sind Nahrungsmittelerzeugung und -verarbeitung so effizient, so dass wir nur noch 14 % für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Damit verschiebt sich der Wahrnehmungsfokus von Verbrauchern immer weiter.
Wer weiß noch, warum und wie gepflügt wird, warum bei der Milchproduktion Kälber anfallen oder wie eine Flüssigfütterung funkioniert? Wer weiß noch, was PSE-Fleisch meint? Oder die Bezeichnung „schnittfester 4. Aggregatzustand von Wasser“ für niederländische Tomaten? Metzger klagen schon lange über den Verlust von Fertigkeiten in der Essenszubereitung in Zeiten von Erlebnis- statt Gemüsegärten, Allgemeinmediziner über zunehmende Adipositas. Was bedeutet dann die bekundete Zahlungsbereitschaft situativer Einzelesser á la „Kevin allein vor dem Kühlschrank“ , wenn er weder die Prozess-, noch die Produktqualität abschätzen kann?
Wenn die wenigen Alltagsgespräche über – nicht mit der - Landwirtschaft imagebildend sind: Werden wir vor diesem Hintergrund Akzeptanz finden, wenn demnächst KI, Roboter und Drohnen den menschlichen Arbeitseinsatz auf dem Acker und im Stall entbehrlich machen? Was können wir tun, um Konflikte zu versachlichen und die Akzeptanz zu befördern?
Der Erfolg agrarpolitischer Maßnahmen hängt nach NIEHAUS davon ab, dass sie
- den gesellschaftliche Normen entsprechen,
- der Wirtschaftsstruktur angepasst sind,
- mit übergeordneten Politikzielen verträglich sind und
- zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden.
Insofern ist die Einsetzung einer Enquetekommission das richtige Signal: wir hören zu, wir wollen gerade im Vorfeld der neuen GAP-Förderperiode die richtigen Maßnahmen definieren für unser Handeln in NRW. Wir werden nicht alle relevanten Aspekte beleuchten können. Aber unsere Landwirtschaft, unsere Landwirte haben es verdient, diese Wertschätzung zu erfahren.
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