100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – Würdigung der Errungenschaft und zugleich Selbstverpflichtung zur Stärkung der Rechte der Frauen

17.01.2018
Rede
Heike Troles zu TOP 4

Sehr geehrte(r) Frau/Herr Präsident(in),
Verehrte Kollegen Abgeordnete,

„Auch Frauenrechte sind Menschenrechte. Ist es nicht eine Schande der Menschheit, wenn wir das immer noch betonen müssen?“

– Dieses Zitat von Angela Merkel ist auch im Jahr 2018, wenn wir stolz und dankbar die einhundertjährige Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland feiern, aktuell.

Bedauerlich, nicht wahr ? Umso mehr sind wir den Kämpferinnen von 1918 und den vorhergehenden Jahren für ihren unermüdlichen Kampf gegen das Unrecht, das den Frauen die Wahlen verwehrte, dankbar.

Stolz sind wir auf die Errungenschaften, die sich als Konsequenz der Einführung des Frauenwahlrechts feststellen lassen. Bemerkenswert ist hier in der Folge des Frauenwahlrechts die Wahl von FRAU Angela Merkel zur Bundeskanzlerin im Jahr 2005. Auf diesen Erfolgen ruhen wir uns jedoch NICHT aus. Niemand stellt heute die Tatsache in Frage, dass Frauen in allen Berufen und Lebensbereichen eine bedeutende Rolle spielen. Diese Rolle spiegelt sich jedoch nicht in der Hierarchie aller Lebensbereiche wider. Daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dass uns die Bedeutung der Errungenschaft des Frauenwahlrechts bewusst ist. Und dass wir das sich daraus ergebende Erbe annehmen.

Die Bedeutung liegt in der Selbstverständlichkeit, dass Frauen wählen dürfen, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind. Sie liegt in der Einsicht, dass die Verwehrung des Wahlrechts für Frauen eine Ungerechtigkeit war. Sie liegt in der Einsicht, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen ein angeborenes Recht für alle ist. Schlicht und einfach.

Die Frauen, die vor 100 Jahren dieses Wahlrecht erkämpft haben, würden heute sagen: wir sind noch nicht am Ziel !!! Dieses Erbe gilt es daher weiterhin zu erfüllen! Hier ist die Feststellung, dass Frauen in politischen Ämtern sowie in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur nach wie vor unterrepräsentiert sind, zutreffend. Es geht um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung – das Frauenwahlrecht war der öffentlichkeitswirksame Anfang der tatsächlichen Gleichstellung. Zurückblickend sehen wir, dass jeder Aspekt der Gleichstellung Schritt für Schritt erkämpft werden musste.

So wurde zum Beispiel das Alleinentscheidungsrecht des Mannes in Ehe- und Familienangelegenheiten mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau erst 1958 aufgehoben. Das war ein nennenswerter Fortschritt. Hier wurden neue Wege beschritten. Für uns heute selbstverständlich, war es damals eine bahnbrechende Innovation. Heute sind die Ungerechtigkeiten oft nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar. Daher haben viele Frauen das falsche Gefühl, für nichts mehr kämpfen zu müssen. Diese damals gesellschaftlich tief verwurzelte Diskriminierung der Frau, insbesondere vor 1918, war der nachvollziehbare Antrieb um für Gleichheitsrechte für Frauen zu kämpfen.

Die einst errungenen Rechte sind uns sicher. Wir müssen sie aber auch in ihrer Bedeutungstiefe zu schätzen wissen. Allerdings stellt sich beim vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion die Frage, ob die gestellten Forderungen gerade im Zusammenhang mit dem 100jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts eingefordert werden müssen… Meiner Ansicht nach offenbart der vorliegende Antrag vielmehr die versäumten Anstrengungen der Vorgängerregierung unter Frau Kraft. Denn dieser Antrag wäre eigentlich nicht notwendig gewesen, wenn wir unserer Fantasie freien Lauf gewähren und uns einmal vorstellen, dass Rot-Grün in der Zeit 2012-2017 die Landesregierung gebildet hätte. In diesem Fall hätte sie alle Forderungen selber erfüllen können.

Ach ja (!) – sie hatten die Regierung gebildet! Warum also, frage ich mich, ist das alles, was die SPD-Fraktion für die Gleichstellung jetzt fordert, noch nicht umgesetzt??? Richtig ist, dass die Arbeit an der tatsächlich gelebten Gleichstellung nicht beendet ist. Niemand (!) hat behauptet, dass die gewünschte und grundgesetzlich verankerte Gleichstellung in Vollkommenheit erreicht ist.

Wir arbeiten weiterhin daran. Richtig ist, dass Frauen in politischen Ämtern – trotz aller Erfolge - unterrepräsentiert sind. Richtig ist, dass Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur unterrepräsentiert sind. Nicht zielführend dagegen sind die geforderten Ansätze der SPD-Fraktion, um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Den Gemeinden vorschreiben zu wollen, wie sie die Sitzungszeiten ihrer kommunalen Vertretungen organisieren sollen, ist aufgrund entgegenstehender Vorschriften der Landesverfassung und des Grundgesetzes nicht möglich – und daher der falsche Weg.

Die von der neuen Landesregierung gerade initiierten Maßnahmen, wie z.B. Expertenworkshops, die Website vaeter.nrw oder auch die Förderung der Fachstelle und der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit NRW um den Anteil der Väter in der Elternzeit zu erhöhen, neu zu fordern, ist logischerweise obsolet. Die Forderung nach einer Verbesserung der Kinderbetreuung geht ebenfalls ins Leere, DENN: das von Schwarz-Gelb beschlossene Kita-Träger-Rettungspaket im ersten Schritt und die folgende Neustrukturierung des Finanzsystems, um eine auskömmliche Finanzierung der Kita-Träger zu gewährleisten im zweiten Schritt führen gerade zielgerichtet genau zu der geforderten verbesserten Kinderbetreuung.

Abschließend bleibt festzustellen, dass Frauen in den vergangenen Jahrzehnten in der Politik beachtlich aufgeholt haben. Ihr Anteil ist in Parteien und Parlamenten stets gewachsen, ihre Position hier verfestigt sich zunehmend. Dieser Umstand ist einem Bewusstseinwandel, einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken zu verdanken, welches bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Dieses Bewusstsein zu stärken und dessen vorhandenes Fundament auszubauen, ist der richtige und konsequente Weg, um das Vermächtnis des Frauenwahlrechts anzunehmen. Die zielführende und bahnbrechend innovative Forderung der SPD fehlt hier noch... Dahingehend fehlt dem Antrag der SPD der fortschrittliche Antrieb.

Aber keine Sorge: dieser ist bei der CDU-Fraktion reichlich vorhanden. Deswegen werden wir der Verweisung in die Ausschüsse gerne zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.