Über drei Monate später hält uns der furchtbare Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz immer noch in Atem – zu Recht. Größter islamistischer Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Opfer: 12 unschuldige Menschen, auch aus NRW. Der Täter: ein behördenbekannter Gefährder aus Nordrhein-Westfalen. Öffentlichkeit und Opfer-Angehörige verlangen zu Recht Aufklärung: Wie konnte es dazu kommen? Hätte man diesen Mann stoppen können? Hätte man diesen Anschlag verhindern können? Aufklärung müsste Chefsache sein. Diese Fragen stellt sich jeder Mensch, man muss sie sich als Regierung stellen. Was ist in dieser Situation die Rolle eines Regierungschefs? Eine klare Ansage nach innen machen: Ich erwarte volle Transparenz. Eine ehrliche Selbstkritik forcieren: Welche Fehler wurden gemacht? Wo sind Schwachstellen? Die Aufklärung zur Chefsache machen. Passiert ist das genaue Gegenteil: Am Montag der Anschlag. Am Mittwoch die PK Jäger (zum Zeitpunkt der verdeckten Fahndung) Wir erinnern uns alle an diese denkwürdige Pressekonferenz, die nur einen Sinn hatte: Nach Berlin zeigen, in jedem Fall weg aus NRW. Und wie wir seit Sonntag wissen: Die Vertuschung wurde von der Chefetage aus organisiert. Vertuschung statt Aufklärung – von Anfang an, von ganz oben. Das, Frau Kraft, hätte ich nicht für möglich gehalten. Es hat schon bei der Kölner Silvesternacht Millionen Menschen in NRW erschüttert, aber nun wissen wir: Die Methode Jäger hat endgültig auch in der Staatskanzlei Einzug gehalten: Verharmlosen, Verbergen, Vertuschen. Einen Tag, nachdem Sie der Öffentlichkeit Aufklärung versprochen haben, machen sich zwei Abteilungsleiter ihrer Staatskanzlei per Mail Gedanken zum Fall Amri – aber nicht solche, die man vermuten würde. Dort heißt es: Das Jäger-Ministerium darum bitten, die Chronologie zum Fall Amri zu „optimieren“, also die Verfahrensschritte außerhalb von Nordrhein-Westfalen besonders zu berücksichtigen. Müsste es nicht genau umgekehrt sein? Müsste sich die Staatskanzlei nicht gerade damit befassen, was in NRW falsch gelaufen ist? Der „MCdS“, also der Chef Ihrer Staatskanzlei, frage, ob man nicht streuen sollte, dass die von Amri aufgesuchten Moscheen überwiegend nicht salafistisch geprägt seien. Das bei einem Mann, der mit allen islamistischen Terrorgrößen in Deutschland Kontakt hatte? Was muss in den Köpfen der Angehörigen vorgehen, wenn sie das lesen? Und die Enttäuschung erst: Noch zwei Tage vorher, am 11. Januar, sagten Sie: „Wir sind es den Opfern schuldig, dass wir alles daran setzen, die Vorgänge aufzuklären“. Der Widerspruch könnte größer kaum sein. Wir wollen wissen: Waren das Alleingänge in der Staatskanzlei oder reden Sie nach außen anders als Ihre Weisungen nach innen sind? Nächstes Täuschungsmanöver: Der Regierungsgutachter. Die Täuschungsmaschinerie in Ihrem Haus macht ja scheinbar noch nicht einmal vor Ihrem eigenen Regierungspartner Halt: Oder wie erklären Sie sich die Reaktion der Grünen auf die Enthüllungen rund um den von Ihnen bestellten Gutachter? Sie haben dem Land hier an diesem Pult, einen Gutachter versprochen, der, ich zitiere, „unabhängig ist“, „autark arbeitet“, „Zugang zu allen Akten und Dokumenten“ hat. Auch hier: In allen drei Punkten widerlegt, wie wir heute wissen. (1) Dieser Mann verhandelt seit Dezember über die Modalitäten seines Wechsels an eine NRW-Universität und damit in den Landesdienst. Ist das die Unabhängigkeit, die Sie versprochen haben? Wenn Sie selbst kein Problem darin sehen: Warum wurde das dann nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt? Warum verschwiegen Sie es hier an diesem Pult und danach? (2) Zentrale Dokumente lagen dem Gutachter gar nicht vor. Wir wissen heute: Der PUA hat mehr Akten als der Gutachter. Ist das der umfassende Zugang zu allen Akten, von dem Sie sprachen? (3) Vermerke wurden offenkundig eigens für den Gutachter aufbereitet und er übernimmt die Aussagen als Arbeitsgrundlage. Ist das das autarke Arbeiten, von dem Sie sprachen? Ihr Gutachter muss sich doch getäuscht, ja missbraucht fühlen! Selbst Ihrem eigenen Koalitionspartner ist das – ich zitiere – „peinlich“. Die Grünen fordern ein neues Gutachten. Untersuchungsausschuss ist der einzig richtige Ort der Aufklärung. Wir haben von Anfang an für einen Untersuchungsausschuss gekämpft. Ich habe mit Volker Kauder klar gemacht, dass ich einen solchen Untersuchungsausschuss auch im Bundestag für angemessen gehalten hätte – aber die SPD will ihn auch dort nicht. Seit gerade einmal 6 Wochen arbeitet der Ausschuss nun, 12 Sitzungen. Und mit Blick auf die zahlreichen neuen Erkenntnisse können wir heute mit Fug und Recht sagen: Es ist gut, dass es diesen Ausschuss gibt. Was die Landesregierung sagte – und was wir jetzt wissen. Denn in zentralen Punkten wissen wir heute mehr als nach so vielen Stunden Befragung Ihres Innenministers im Innenausschuss. Sie, Frau Ministerpräsidentin und Ihr Innenminister haben uns und der Öffentlichkeit nach dem Anschlag gesagt: zu Amri, da lagen uns keine Beweise vor, es gab nur „Hörensagen“. Jetzt wissen wir: Ihr eigenes LKA warnte aufgrund von „konkreten Anhaltspunkten“ und „belastbaren Erkenntnissen“ schon Anfang 2016 vor einem Selbstmordanschlag Amris. Daraufhin wollten Sie uns und der Öffentlichkeit weismachen, man habe den Abschieberlass nicht machen können, weil der Generalbundesanwalt die betreffenden gerichtsverwertbaren Beweise nicht freigegeben habe. Sie selbst, Frau Ministerpräsidentin, haben den Generalbundesanwalt in Ihrer PK gleich 6 Mal erwähnt und damit auf die Lichtung gestellt. Der Generalbundesanwalt aber sagt: Es hat gar keine Bitte um Freigabe aus NRW gegeben. Hätte es sie gegeben, hätte er eine wohlwollende Prüfung angeordnet. Selbst Ihr eigener Gutachter sagt: mit diesen Erkenntnissen und „gesammelten Verdachtsmomenten“ hätte eine Abschiebanordnung „durchaus erfolgreich“ sein können. Er konnte es wohl nicht besser wissen. Und noch etwas: Sie beide haben uns gesagt, dass alle wesentlichen Entscheidungen zu Amri im GTAZ getroffen wurden. Seit letzter Woche wissen wir: der vom LKA NRW angeregte Abschiebeerlass wurde von einem der engsten Mitarbeiter des Innenministers persönlich abgelehnt. Doch anstatt angesichts dieser erdrückenden Fakten Fehler einzuräumen, diskreditiert das Innenministerium die dramatische Warnung der LKA-Beamten als „Tischvorlage“ und verpasst dem LKA-Chef einen Maulkorb. So handelt nur jemand, der Angst vor der Wahrheit hat. Und die Wahrheit ist, wie wir spätestens seit letzter Woche wissen: Dieser Anschlag hätte in Nordrhein-Westfalen verhindert werden können! Und dieses Wissen, das hatten Teile dieser Landesregierung wahrscheinlich schon kurz nach Bekanntwerden der Täterschaft Amris. Deshalb gab es im Innenausschuss vom Innenminister auch nie Antworten auf die Frage, wer im Fall Amri wann was getan und geprüft hat. Deshalb hat sich die SPD-Fraktion mit Händen und Füßen gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gewehrt. Vier Mal haben wir in dieser Legislaturperiode einvernehmlich einen Untersuchungsausschuss eingerichtet – bei diesem Ausschuss waren SPD und Grüne nicht dabei. Die SPD hat die Hand für eine umfassende Aufklärung nicht gehoben – daran soll sich jeder erinnern, der die Aufklärung jetzt und in Zukunft verfolgt. Meine Damen und Herren: Die Behörden in Berlin und im Bund haben längst Fehler eingestanden. Sie arbeiten bereits an der Frage: was können wir in Zukunft besser machen? Nur in Nordrhein-Westfalen heißt es weiterhin: Bei uns, da gab es keine Fehler. Dieser Innenminister sieht bei sich keinerlei Verantwortung. Und die Ministerpräsidentin zweifelt nicht an seiner Erzählung. Frau Ministerpräsidentin: Sie haben Anfang Januar versprochen, sie wollten im Fall Amri „Defizite erkennen, analysieren und beseitigen“. Am Tag danach begann die „Operation Licht aus und Deckel drauf“. Sie dauert bis zum heutigen Tage an. Sie nennen das bei ihrem Wahlkampfauftakt „Kinkerlitzchen“. Ich nenne es hier im Parlament als das, was es ist: ein Skandal.
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