
Sehr geehrte Frau Präsidentin / sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit der folgenden Beschreibung möchte ich Sie einmal mitnehmen zu einem Zeitpunkt x vor der Verabschiedung und Umsetzung des Landeskinderschutzgesetzes bei uns in Nordrhein-Westfalen:
„Marie“ nennt sich eine junge Frau im Netz, deren Geschichte sehr eindringlich das Problem beschreibt, dass Kinder und Jugendliche oft nicht wirklich wissen, dass ihnen Unrecht widerfährt und an wen sie sich wenden können, um Hilfe zu erhalten.
Die junge Frau beschreibt, wie sie in der sechsten Klasse den Übergriffen ihres damaligen Sportlehrers ausgesetzt war. Diese fanden während des Sportunterrichtes und der Umkleidezeiten statt.
Der Sportlehrer nutzte während des Sportunterrichts mehrfach die Gelegenheit, bei Hilfestellungen an intime Körperstellen zu fassen. Außerdem betrat er ungewollt die Sportumkleide der Mädchen während des Umziehens. Bei Aufforderung von Mitschülerinnen, die Intimsphäre zu wahren, z.B. mit der Aufforderung „Bleiben Sie draußen, wir ziehen uns um!“, diffamierte er die jungen Frauen als zickige Mädchen und blieb in der Mitte der Umkleide einfach stehen, während sie sich notdürftig bedeckten. Für die Mädchen bestand leider nicht die Möglichkeit, die Tür zu verschließen.
Marie sagt heute, dass es selbst unangenehm war, mit ihm allein in einer Ecke zu sprechen, während in der Sporthalle normale Übungen abgehalten wurden. In Gesprächen mit den Mitschülerinnen kristallisierte sich dieses allgemeine Unwohlsein sehr schnell heraus. Hinzu kamen seine stark rassistischen Äußerungen und Handlungen. Selbst nach den Einsprüchen der Schülerinnen wurde dieses Verhalten nicht unterlassen. Sie sagt, dass sie heute einfach nur Ekel und Unverständnis für dieses Verhalten und den Missbrauch seiner Autoritätsposition empfinde, während es sich in ihrer Kindheit vor allem sehr unangenehm angefühlt habe und ihr diese Grenzüberschreitungen nicht wirklich klar waren.
Sie hat darüber oft mit Mitschülerinnen und Freundinnen gesprochen, da sie alle davon betroffen waren. Mit ihren Eltern hat sie nicht geredet. Im Nachhinein kann sie ihre Beweggründe zur Verschwiegenheit nicht mehr genau nachfühlen. Marie war nicht klar, dass ihr Unrecht widerfuhr und an wen sie sich hätte wenden sollen.
In dem geschilderten Fall spielt eindeutig mit herein, dass die verschiedenen Formen sexualisierter Gewalt ein tabuisiertes Thema waren. Die junge Frau verband damals sexuelle Gewalt nur mit Vergewaltigung und schweren körperlichen Missbräuchen. Dass es unrecht war, was im Sportunterricht passierte und es definitiv zur Schulleitung hätte getragen werden müssen, hat sie erst viel später realisiert. Keiner von ihnen wusste, was der richtige Schritt gewesen wäre, das Thema anzusprechen. Sie haben es einfach hingenommen.
Leider war für Marie Aufklärung über sexualisierte Gewalt mit ihren verschiedenen Facetten nicht Teil ihrer schulischen Ausbildung. Heute formuliert sie ihren Wunsch nach mehr Aufklärung und der Bestärkung von Kindern, sich mit ihren Körpern und Grenzen der Intimität auseinanderzusetzen. Es sollte als Stärke und Normalität gelten, aussprechen zu können, was man fühlt und nicht als Schwäche angesehen werden oder zu einem Opferstigma führen.
Heute würde Marie andere Erfahrungen machen, denn diesbezüglich konnten wir in den vergangenen Jahren gemeinsam viel erreichen. Mit dem Landeskinderschutzgesetz haben wir gemeinsam einen echten Meilenstein für den Kinderschutz in unserem Land geschaffen. Die konkrete Umsetzung führt jeden Tag dazu, dass immer mehr Kinder und Jugendliche den Schutz erfahren, der nötig ist.
Schon der damalige UBSKM, Johannes-Wilhelm Rörig, bescheinigte Nordrhein-Westfalen mit dem Landeskinderschutzgesetz die Avantgarde im Minderschutz in der Bundesrepublik zu sein. Und schon er gab den Hinweis, dass eine Beauftragte oder ein Beauftragter für Kinderschutz ein ergänzender wichtiger Baustein wäre. Und so gehen wir hier in Nordrhein-Westfalen nun mit der Beauftragung für Kinderschutz und Kinderrechte den nächsten Schritt. Dieser Institution soll die Aufgabe obliegen, das Thema Kinderschutz flächendeckend voranzubringen, die Bedeutung des Kinderschutzes noch bekannter zu machen und diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch zu monieren.
In den Bereichen Prävention und Intervention sowie der Wahrung und Umsetzung der Kinderrechte, vor allem dem Prinzip des Kindeswohlvorrangs, dem Recht auf Schutz, auf Beteiligung und auf diskriminierungsfreies Aufwachsen aller Kinder in Nordrhein-Westfalen sollen Impulse zur Umsetzung und Weiterentwicklung gegeben werden.
Diese Position soll sich in das bereits bestehende System einfügen sowie dieses ergänzen und stärken.
Die oder der Beauftragte soll als Schnittstelle dienen: So kann der Austausch zusätzlich weiter gefördert und ausgebaut werden. Dabei müssen wir auch den länderübergreifenden Austausch im Blick behalten. Das Ziel muss sein, unsere Erfahrungswerte weiterzugeben und zu helfen, auch bundesweit strukturelle Lücken im Kinderschutz zu schließen.
Unsere guten und wegweisende Strukturen im Kinderschutz werden mit der Beauftragung weiter gestärkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist wichtig, dass auch die Beauftragung, wie die anderen Kinderschutzstrukturen in unserem Land, alle Formen von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, aber auch Vernachlässigung und Machtmissbrauch berücksichtigt.
Wir werden auch zukünftig leider nicht gänzlich verhindern können, dass diese Taten geschehen. Aber wir können das Sicherheitsnetz für unsere Kinder und Jugendlichen, das im Landeskinderschutzgesetz seine ursprüngliche Ausprägung hat, gemeinsam immer besser und enger knüpfen - der oder die Beauftragte für Kinderschutz und Kinderrechte ist ein weiterer wichtiger Baustein auf diesem Weg.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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