Christina Schulze Föcking zu TOP 13: "Gesetz über den interkollegialen Ärzteaustausch bei Kindeswohlgefährdung – Änderung des Heilberufsgesetzes (HeilBerG)"

23.03.2022

Sehr verehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
heute setzten wir um, wofür wir schon lange kämpfen. Endlich können wir eine gute und vor allem sichere Rechtsgrundlage für die Ärztinnen und Ärzte zum Interkollegialen Austausch schaffen.

Wir sind das erste Bundesland, dass sofort und entschlossen den interkollegialen Austausch auf Landesebene möglich macht, um die Kleinsten in unserem Land noch besser zu schützen.

Doch warum ist der Austausch nötig und warum brauchen wir dafür dringend diese neue Rechtsgrundlage?

Versetzen wir uns in die Lage derer, die es betrifft – zum Beispiel in den Alltag einer Kinderärztin in der örtlichen Praxis.

Ein Kind wird bei Ihnen vorstellig, das blaue Flecke hat und seit kurzem wieder einnässt oder auch einkotet.

Solche Fälle sind häufig im Alltag, wie uns von den Experten in der Anhörung berichtet wurde.
Das sind die schwierigen, die enorm aufwendigen Fälle. Man kann nichts beweisen, hat aber ein komisches Bauchgefühl.

Sie wissen, dass diese kleinen Verhaltensauffälligkeiten auf Gewalterfahrungen des Kindes hinweisen könnten.

Zur genauen Beurteilung benötigen Sie die eventuellen Befunde der vorherigen behandelnden Ärzte. Sind dort ebenfalls Verletzungen und Auffälligkeiten beim Kind präsent gewesen?

Diese wichtigen Informationen dürfen Sie aber erstens nur mit dem Einverständnis der Eltern einholen.

Bei Missbrauchsfällen im familiären Umfeld sind aber am häufigsten ausgerechnet die Eltern auch die Täter. Fast jeder zweite Täter (48 Prozent) ist der leibliche Vater, Stief- oder Pflegevater.

Hinzu kommt: Drei von vier Kindern, die durch ihre Erziehungsberechtigten misshandelt werden, sind laut Uno zwischen zwei und vier Jahre alt – das heißt sie besuchen keine Schule und oft auch keine Kita, wo ihr Leid auffallen könnte.

Es gehört zur Strategie von Tätern bei der Misshandlung und beim Missbrauch von Kindern durch gezieltes häufiges Wechseln des behandelnden Arztes Symptome von Misshandlungen bei den Opfern zu verschleiern (“Doktor-hopping”).

Das darf nicht sein! Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen die wehrlosen Kinder zu schützen.

Zweitens dürfen derzeit auch nur dann Informationen eingeholt werden, wenn eine „gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für das Kind besteht“.

So lautet der entsprechende Passus im Strafgesetzbuch, der es Ihnen erlauben würde die Schweigepflicht zu brechen, ohne strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Es dreht sich also alles um die Frage, ob akute Gefahr besteht. Können Sie diese Frage sicher mit Ja oder Nein beantworten?

Würden Sie sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen, indem Sie die Schweigepflicht einfach brechen oder würden Sie sich mit einem schlechten Bauchgefühl selbst versichern, dass schon alles gut sein wird? Sie verstehen, wo das Problem liegt.

An dieser Stelle fallen Kinder durch unser Kinderschutznetz. Es sind nicht die „roten Fälle“ das Problem im „Kinderschutzalltag“, wie es die Leiterin der Kinderschutzambulanz des St.-Clemens-Hospital Geldern, Frau Dr. Ketteler, in der Anhörung ausgedrückt hat.

Sondern es sind Fälle, die einen stutzig machen, bei denen man Widerstand bei den Eltern spürt, ja bei denen man ein schlechtes Gefühl hat.

Die extrem große Dunkelziffer, die wir im Bereich von Gewalt gegen Kinder haben, resultiert gerade aus solchen scheinbar kleinen Lücken im Gesetz, die einen großen Unterschied machen. 

Damit Kinderärzte engagierte Kinderschützer sein können, müssen wir Ihnen   Rechtssicherheit geben. Sie müssen rechtssicher in der Lage sein, aus der geschilderten Momentaufnahme gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen ein Gesamtbild zusammenzusetzen.

Anschließend können sie auf dieser Grundlage handeln. Das heißt im Optimalfall vor die Lage zu kommen.

Kinderschutzfälle entwickeln sich. Gewalt verläuft in Spiralen der Eskalation. Es ist Eile geboten, damit sich das Ausmaß der Gewalt nicht steigert.

Frau Dr. Ketteler hat es treffend ausgedrückt: „Wir können es nicht Jahre vor sich hindümpeln lassen bis aus dem gelben Fall ein roter geworden ist.“

Die Ärztinnen und Ärzte müssen handeln dürfen, bevor es zu spät ist!


Und wir müssen die Eltern unterstützen, es erst gar nicht zur Eskalation kommen lassen und die Kinder gut im Auge behalten.

Aus diesem Grund ist das Gesetz für den Kinderschutz so wichtig. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass wir an dem Thema
weiterarbeiten und auch die anderen Bundesländer hier nachziehen.

Ich danke allen Beteiligten, die diese Veränderung  möglich gemacht haben – allen voran Peter Preuss, Angela Frankenhauser und  Minister Karl-Josef Laumann und seinem Haus.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir damit einen wichtigen Schritt gehen, auf unserem Weg für die Sicherheit unserer Kleinsten.
Dankeschön!