Daniel Scheen zu TOP 2 „Fachkräftemangel bei den Öffentlichen Verkehren wirkungsvoll begegnen“

24.08.2023

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin/sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der DGB war am 31.03. diesen Jahres im Landtag und hat seine Kampagne „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ vorgestellt. Im Rahmen dieser Veranstaltung hatten wir Abgeordneten die Gelegenheit, mit Mitarbeitern des ÖPNV persönlich ins Gespräch zu kommen.
„Es ist schlimm geworden“,  das sagte mir die Bielefelder Zugbegleiterin Simone Schäfer. Sie habe irgendwann aufgehört zu zählen – zu oft sei sie in ihrem Beruf beleidigt, bedroht und attackiert worden. Es seien hunderte Vorfälle: Wildfremde Menschen würden bei einer normalen Fahrkartenkontrolle ausrasten oder herumpöbeln, weil sie z.B. ihre Füße nicht vom Sitz oder einen reservierten Platz räumen wollten. Die Anfeindungen in Ihrem Beruf seien in den letzten Jahren noch schlimmer geworden. Viele Kollegen von ihr seien bereits an ihre Grenzen gestoßen.

Worte von Betroffenen wie diese sind alarmierend. Dazu kommen Busse, die ausfallen, Straßenbahnen, die zu spät kommen: Jedes zweite Verkehrsunternehmen in Deutschland hat im vergangenen Jahr den Fahrbetrieb einschränken müssen. Der Grund: Personalmangel.
Die Verkehrsunternehmen stehen vor einer Herkulesaufgabe, denn der Auftrag lautet: Mehr Verkehr mit weniger Personal.
Fehlendes Personal - aber auch das Ansehen der Branche, das durch die gerade beschriebenen Übergriffe, hohe Arbeitsbelastung, Schichtdienst und begrenzte Karrieremöglichkeiten oft als unattraktiv von potentiellen Interessenten wahrgenommen wird - lassen die Personaldecke zunehmend schrumpfen.

Dabei ist der Ruf der Branche schlechter als die Realität. Sie bietet zukunftssichere Arbeitsplätze – trotz technischer Fortschritte. Schon damals konnte ich feststellen, dass die zunehmende Digitalisierung der Verkehrsbranche auch Veränderungen bei den Arbeitsplatzprofilen schafft und neues Potential für die berufliche Weiterentwicklung der Beschäftigten eröffnet. Dies macht den Beruf attraktiv. Qualifizierte Fahrerinnen und Fahrer sowie Servicemitarbeiter werden auch in Zukunft unersetzlich bleiben.

Die NRW-Landesregierung ist sich dieser Herausforderung sehr bewusst und hat bereits 2019 mit dem Programm „Fokus Bahn“ eine Gegeninitiative eingesetzt, um sie zu stärken. In diesem Programm haben sich alle teilnehmenden Partner das Ziel gesetzt, den Herausforderungen des nordrhein-westfälischen SPNV gemeinsam zu begegnen.

Auch Minister Karl-Josef Laumann geht das Problem des Fachkräftemangels effektiv an, indem er die Fachkräfteoffensive gegründet hat. Diese ressortübergreifende Maßnahme hat das Ziel, das vorhandene inländische Potenzial durch Ausbildung und Qualifizierung bestmöglich zu mobilisieren und einzusetzen.

Auch ausländische Fachkräfte müssen schnell und unbürokratisch zu uns kommen und durchstarten können. Durch beschleunigte Berufsanerkennungsverfahren sowie die Weiterentwicklung der Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung wird die Landesregierung den Weg für ausländische Fachkräfte verbessern. In diesem Prozess können auch Anregungen der NRW-Außenrepräsentanzen aufgenommen werden.  Dies geschieht in Kooperation mit den Kammern, Gewerkschaften, Sozialverbänden und der Wirtschaft.

Die NRW-Landesregierung erarbeitet aktuell darüber hinaus verschiedene Ansätze, um den Zugang zu Berufen im ÖPNV vereinfachen sollen.
So wird gezielt bei jungen Menschen, die gerade die Schule oder ein Berufskollegs abschließen, Werbung für eine Ausbildung bei einem Verkehrsunternehmen gemacht. Auch Seiten- oder Quereinsteiger werden gezielt umworben.

Nicht nur landesintern, sondern auch bundesweit müssen wir neue Wege gehen: Der Bund muss sich ebenfalls für einfachere Bedingungen bei der Gewinnung von ausländischen Fachkräften erleichtern. Ausländische Bildungs- und Berufsabschlüsse müssen – natürlich bei Einhaltung von Sicherheitsstandards - leichter anerkannt werden. In Bereichen - ohne Erfordernis einer hohen Sprachkompetenz - müssen Sprachbarrieren durch die Anwendung von leichter Sprache abgebaut  werden.

Die gesamte Branche muss in der öffentlichen Wahrnehmung wieder mehr Wertschätzung erfahren. Doch das schaffen wir nicht, wenn wir immer wieder von dem  zunehmend aggressiven Verhalten von Fahrgästen gegenüber den Mitarbeitern im Fahrdienst oder beim Servicepersonal hören wie eingangs beschrieben. Hier setzt das vor einem Jahr erfolgreich gestartete landesweite und ressortübergreifende Präventionsnetzwerk „Sicher im Dienst“ von Innenminister Herbert Reul an.
Unser Ziel ist es, mit erhöhter Sicherheit der Mitarbeiter die  Berufe im öffentlichen Verkehr wieder attraktiver für potentielle Bewerber zu machen. Mit mehr Personal wird auch der ÖPNV wieder für mehr Bewegung sorgen.
Ein zuverlässiger ÖPNV in Stadt und Land ist unabdingbare Grundvoraussetzung, um die Verkehrs- und Mobilitätswende wirklich zu erreichen. Ohne Gegenmaßnahmen wird der Personalmangel im ÖPNV noch weiter voranschreiten.
Wir müssen jetzt an entscheidenden Stellen für Bewegung sorgen, denn nur Beweglichkeit sorgt auch wirklich für Bewegung.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!


Anlage
Fokus Bahn: Fünf Teilprojekte
1. Fokus Fahrgast: Gemeinsame Disposition und Fahrgastinformation
2. Fokus Attraktive Arbeitgeber: Überbetriebliche Ausbildung und Kommunikation
3. Fokus Sicherheit: Prävention für ein gutes Miteinander
4. Fokus Klima: Akzeptanz für klimafreundliche Mobilitätsalternativen entwickeln
5. Fokus Zukunft Wettbewerb: Fairer Wettbewerb für mehr Qualität im SPNV

Themen