Dr. Günther Bergmann zu TOP 5 "30 Jahre Mauerfall - Der firedlichen Wende ein würdiges und angemessenes Andenken bewahren!"

09.10.2019

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen, meine Herren!
Herr Tritschler, ich mache Ihnen nicht zum Vorwurf, dass Sie die Dinge, über die Sie gerade gesprochen haben, nicht erlebt haben. Sie können ja nichts dafür, dass Sie damals noch ein kleiner Junge waren. Dass Sie hier so tun, als hätten Sie die Wahrheit mit dem Löffel gefressen, mache ich Ihnen aber zum Vorwurf. Das geht überhaupt nicht.
Angelesenes Wissen kommt nicht authentisch herüber. Das hat man bei Ihnen gerade wunderbar erlebt. Ich weiß nicht, ob ich Ihren Vorstellungen entspreche. Aber ich werde Ihnen noch einige Dinge mit auf den Weg geben.
Vorweg sage ich: Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat; denn man konnte sie nicht ohne Stasi, ohne Mauer und ohne Schießbefehl haben. Es war nicht alles schlecht in der DDR; aber man konnte sie nicht ohne das Schlechte haben.
Das hat für mich immer zur Konsequenz gehabt, zu sagen, dass die Mauer kein Bauwerk, sondern eine gebaute Menschenrechtsverletzung war.
Grenze und Mauer durch mein Vaterland waren für mich nie normal und immer inakzeptable Trennung eines Volkes. Es gab für mich nie zwei deutsche Staaten, sondern es gab leider temporär zwei Staaten in Deutschland.
In Ihren Anträgen wird immer nur eine Beschreibung geliefert. Das kennen wir schon. Ich habe fast schon ein Déjà-vu. Das haben Sie irgendwo abgeschrieben. Teilweise muss ich über Ihre Wortwahl schmunzeln. Es kam mir so vor, als hätten Sie einen Restspreißel des deutschen Bildungsbürgertums mal eben mit einbauen wollen, als Sie in Ihrem Antrag – ich zitiere – „das äußere Antlitz des Landes“ schrieben. Ich kenne das nur aus wunderbarer Prosa des 19. Jahrhunderts, aber mit Blick auf Frauen und nicht auf Länder.
Es mag sein, dass Sie diese Einstellung haben. Das sei Ihnen auch gelassen, Herr Tritschler; das ist mir völlig egal. Durch Ihren Antrag wird deutlich: Es ist eine Westbrille, die Sie aufhaben, und reine Retrospektive.
Wir Wessis müssen akzeptieren, dass viele Menschen in der DDR das ganz anders empfanden, weil sie dort ihr normales Leben lebten. Das war aus der rein subjektiven Wahrnehmung nicht immer schlecht.
Lassen Sie mich noch einen Satz hinterherschieben: Die Brüche, die die Menschen nach 1990 in ihrem ganz persönlichen Leben schultern mussten, hätten Sie von der AfD nicht bewältigen können; denn Sie haben noch nicht einmal die normale Entwicklung eines Landes in den letzten 20 Jahren hinbekommen. Das ist der große Unterschied.
Sie behaupten nun in Ihrem Antrag, dass das kein Thema gewesen sei – das haben Sie gerade auch noch einmal vorgetragen – und nur noch in Sonntagsreden thematisiert wurde. Das ist – bei allem Respekt vor Ihrem jungen Alter damals – schlichtweg eine Unverschämtheit. Es gab nämlich nicht nur die Leute, die die berühmten Pakete geschickt haben. Ich bin in Ihrem Geburtsjahr über den Kurfürstendamm in Berlin mit der Deutschlandfahne in der Hand gefahren, als Breschnew in Ostberlin war, und habe für die deutsche Einheit demonstriert. Und Sie machen jetzt einen auf dicke Hose, wenn ich das einmal salopp formulieren darf, Herr Präsident. Das ist unglaublich!
Zu Ihrer Freude darf ich aber auch sagen, dass ich 1986 vor dem Umweltministerium in Wiesbaden gestanden habe und dem damaligen Umweltminister von Hessen, Joschka Fischer, eine weiße Ytong-Mauer vor die Tür gestellt habe, weil er damals sagte, es dürfe nicht mehr sein, dass Auslandsdeutsche nach Deutschland zurückkommen, obwohl er selber ein Ungarn-Deutscher war. Da haben wir eine Mauer vor die Wand gestellt und haben demonstriert. Und Sie sagen nun, das wären nur Sonntagsreden gewesen? Nein, Herr Tritschler, so nicht!
In Ihrem Antrag werden Polen und die Rolle der Solidarność überhaupt nicht erwähnt.
Ein Satz steht dort drin. – Auch die Rolle des Papstes erwähnen Sie nicht. Da können Sie jetzt lange mit Ihrem Antrag wedeln. Den werden Sie dort nicht finden. Das waren die Türöffner zur Erlangung unserer Deutschen Einheit. Diese Rolle wird in Ihrem Antrag nicht richtig deutlich.
Sie beschreiben viele Dinge und vergessen zum Beispiel einen Punkt, der das ganze gemeinschaftliche … Josef Neumann würde das mit großem Nicken bestätigen. Am Abend des Mauerfalls, am 9. November 1989, saßen Helmut Kohl und Horst Teltschik, mit dem ich letzte Woche noch einmal darüber gesprochen habe, in Warschau mit dem ersten frei gewählten Ministerpräsidenten Mazowiecki zusammen.
Dann fällt die Mauer, und Mazowiecki sagt, weil Helmut Kohl zögert, nach Berlin zu fahren: Herr Kohl, Sie müssen doch jetzt nach Hause; da ist in Berlin doch etwas… – Das sagt er als Pole mit der gesamten Vergangenheit im Rucksack.
Das wird hier bei Ihnen überhaupt nicht erwähnt. Ich stimme Ihnen auch dezidiert nicht zu, dass die Kommunalwahl vom Mai die Initialzündung für eine oppositionelle Bewegung der DDR gewesen sei. Das stimmt schlichtweg nicht. Denn es gab in den Kirchenkreisen schon viel früher genau diese oppositionellen Kreise. Das kam nicht erst mit der Kommunalwahl. Das ist schlichtweg nicht richtig. Aber auf den Punkt wollen Sie gar nicht eingehen. Auch solche Dinge wie zum Beispiel, dass viele Akteure in der DDR nicht primär die Einheit wollten, finden bei Ihnen überhaupt nicht statt. Diese Menschen wollten den berühmten Dritten Weg.
Sie wollten Verbesserungen der Lebensverhältnisse politisch und wirtschaftlich, aber in einer weiterhin unabhängigen DDR. Das findet bei Ihnen überhaupt nicht einmal Erwähnung. Auch die dramatischen Wendungen und Prozesse vielleicht in dem entscheidenden halben Jahr 1989, wo wir ein ganz kleines Zeitfenster hatten, das Helmut Kohl hervorragend ausgenutzt hat, werden Sie sich nicht einverleiben und für sich auf Ihre Seite ziehen können. Da stehen wir Christdemokraten vor. Machen Sie gar nicht erst den Versuch, Herr Tritschler.
In diesem halben Jahr, das man das vielleicht mit dem Spruch „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr!“ wunderbar zusammenfassen kann, zeigt doch den ganzen Prozess, was da gerade passiert war. Das sind doch Dinge, die waren erdrutschartig.
Ich kann nur sagen, ich habe für die Allianz für Deutschland in Thüringen, in Erfurt, gearbeitet. Bei diesen Volkskammerwahlen im März 1990 kam eine Frau zu mir und sagte: Junger Mann, Sie müssen mir helfen, wie ich wählen muss. – Ich sagte: Nee, das müssen Sie schon alleine machen, gnädige Frau. Das sagte sie: Wissen Sie, ich wähle das erste Mal seit 57 Jahren wieder frei; ich weiß nicht, wie das geht.
Das symbolisiert das, was in der DDR passiert ist. Sie können nichts dafür, dass Sie nicht da waren; da waren Sie zu jung.
Das haben wir aber erlebt. Dann lesen wir es nicht gern, dass wir angeblich nur in Sonntagsreden immer wieder darauf hinweisen.
Sie sprechen heute – das will ich auch noch erwähnen; es ist ein Zitat aus Ihrem Antrag – von „wechselseitigem Unverständnis“ und „Spannungen im innerdeutschen Verhältnis“. Das finde ich ausgesprochen pikant. Denn der Begriff ist aus der Zweistaatlichkeit, und den benutzen Sie, obwohl Sie sich gerade so hingestellt haben, wie Sie sich hier hingestellt haben. Keine Stringenz in der Argumentation!
Ich frage mal die Antragsteller: Wer trägt denn einen erheblichen Teil dazu bei, dass es diese Spannungen in unserem Land gibt? Wer tut das denn? Es sind doch Sie.
Sie gehen hierhin … - Sie brauchen jetzt auch nicht mit dem Finger auf mich zu zeigen, Herr Wagner. In Ihrer Wohnzimmersesselhaltung mit dem Finger zeigen! „Man zeigt nicht mit nackten Fingern auf angezogene Leute“, hat man früher gesagt.
Es sind doch Sie, die etwa mit der Nähe zur Pegida-Bewegung nicht nur deutsche Symbole missbrauchen und andere Dinge zeigen, zum Beispiel am Elbufer in Dresden, sondern auch die Menschen schlichtweg in eine Polarisierung treiben, um danach politisch zu profitieren, unter anderem hier. Dass drei AfD-Vorsitzende eigentlich Wessis sind, die jetzt in den Osten gegangen sind, um die Menschen dort in ihrem Interesse aufzupeitschen, macht die Sache nur noch pikanter. Das sind auf jeden Fall keine Interessenvertreter für die Menschen in den neuen Bundesländern.
Der 3. Oktober ist ein Feiertag, der all das, was Sie fordern, bundesweit in unzähligen Veranstaltungen… Vermutlich war jeder von uns um und an dem 3. Oktober bei mehreren solcher Veranstaltungen, auch wieder dieses Jahr. Wir dürfen natürlich nicht aufhören, in den Schulen und gegenüber den nachwachsenden Generationen immer wieder die Dinge zu erklären, damit alle nachvollziehen können, was da passiert ist, was Sie ja anscheinend nicht können oder zumindest bis heute nicht können. Wir müssen das in Schulen und bei Veranstaltungen immer mit dem bewussten Respekt vor dem tun, was die Menschen in den heute ja gar nicht mehr so neuen Bundesländern geleistet haben.
Es passt also überhaupt nicht, wenn Sie sich hier heute als Interessenvertreter der Brandenburger, der Sachsen, der Sachsen-Anhaltiner, der Thüringer sowie der Mecklenburger und Vorpommern hinstellen und gerieren und auf der anderen Seite ganz perfide Keile in unsere Gesellschaft treiben, die Ihnen dann nachher in die Hände spielen sollen. Das finde ich nicht in Ordnung.
Ich muss noch eines sagen. Wenn Sie im letzten Satz Ihres Antrags als vom NRW-Parlament zu beschließendem Ziel schreiben, der Landtag möge dafür werben – Zitat –, „die auch noch heute bestehenden Narben der deutschen Einigung durch gemeinsame Kraftanstrengungen verheilen zu lassen“, so kann ich das nur strikt ablehnen.
Wir dürfen nicht verheilen lassen, wir müssen aktiv heilen. Das wäre ein Ziel. Aber da sieht man auch wieder, worum es Ihnen eigentlich geht. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und werben für unseren Entschließungsantrag.

Schönen Dank.