
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Wildnis wagen“, „Strategischer Rückzug aus kleinen peripheren Ortsteilen“ – die vermeintliche Entleerung ländlicher Räume hat immer wieder einmal Konjunktur wie auch die berühmte, alle 20 Jahre vom BMEL durchgeführte Dorfstudie zeigt. Vor Jahren waren es Apologeten der Bertelsmanns-Stiftung, nach denen mein Heimatkreis heute bei 255.000 Einwohnern liegen sollte. Er hat aktuell 270.000 Einwohner, Tendenz steigend bei einer Wachstumsoffensive 300.000 +-
Nun gut, der Antrag gibt also vor, sich mit ländlichen Wohnungsleerständen als einem besonderen Verteilungsproblem von Wohnbedarfen zu beschäftigen. Macht er aber nicht.
Leerstände fänden sich vor allem im ländlichen Raum, wie in den Kreisen des Sauerlands und des Lipper Lands. Ja, dort gibt es bei Ein- und Zweifamilienhäusern Leerstandsquoten von 3 ½ Prozent. Die finden sich aber auch in Hagen, Remscheid, Solingen und Mönchengladbach. Münster hat nur 1 1/2 % - ähnlich wie Borken, Coesfeld, Wesel und Steinfurt. Bei Mehrfamilienhäusern ist die Leerstandsquote oft nahezu doppelt so hoch. Aber sind diese typisch für die ländlichen Bereiche? Kreise mit Bevölkerungsverlusten verteilen sich zu annähernd gleichen Teilen auf städtische und ländliche, auf zentrale wie periphere Räume. Schon die Situationsbeschreibung ist also verzerrt.
Man könnte sich mit den Ursachen von leerstehenden Wohnungen und Häusern beschäftigen: Neben mittelbaren Ursachen wie wirtschaftlichen, politischen und planerischen Rahmenbedingungen sind für den Einzelfall schwierige Eigentumsverhältnisse, Lage und Bausubstanz, Gebäude- und Grundstückswerte entscheidend. Häufig handelt es sich um alte Gebäude. Nur ein kleiner Teil ist ohne Mängel. Wohneinheiten mit geringer Fläche bis 80 m² stehen häufiger leer als solche mit größerer Wohnfläche. Ehemals landwirtschaftliche Bausubstanz findet nicht so leicht Nachnutzungen. Aber auch das macht die AfD nicht. Nicht einmal im Kommunal- und Bauausschuss.
Bei der Frage nach regionalen Disparitäten und Integrationspotentialen sind sich die Experten einig: Integrations- und Migrationsforschung ist zumeist auf urbane Räume fokussiert. Der sogenannte „Ländliche Raum“ wird eher klischeehaft dargestellt und in seiner Vielfalt schlicht ignoriert – wie auch hier. Das einfache, längst überholte uralte Stadt-Land-Dichotomiemodell – bei der AfD lebt es noch.
Für eine gelingende Integration sind der Zugang zu Bildung, Wohnen und Arbeiten, zu Gesundheitsdienstleistungen, zu Begegnungs- und Beratungseinrichtungen, zu Behörden essentiell. Auch schnelle Internetverbindungen sind wichtig für Flüchtlinge, um die neue Heimat kennen zu lernen und den Kontakt zur alten zu halten. Wichtige Indikatoren zur sozialräumlichen Verteilung leerstehenden Wohnraums, zum zivilgesellschaftlichen Engagement oder auch zum Umfang fremdenfeindlicher Aktivitäten fehlen jedoch – so die Experten des Thünen-Instituts zu den Integrationspotenzialen ländlicher Räume.
Die Autoren des empirica-papers 237 zur „Wohnungsmarktintegration von Flüchtlingen“ von 2016 warnen eindringlich – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: „Vor diesem Hintergrund sind Verallgemeinerungen und Vereinfachungen wenig hilfreich, wie auch die Polemik in der Debatte, ob und wie Zuwanderung räumlich gesteuert werden sollte“. Warum bewegt sich der AfD-Antrag inhaltlich auf diesem niedrigen Niveau?
Die Wohnsitzregelung des § 12 a Aufenthaltsgesetzes bedarf der Erfüllung von Voraussetzungen: angemessenem Wohnraum, Möglichkeit der Sprachförderung und eine Chance auf Ausbildung oder Beschäftigung. Entsprechend haben die kommunalen Spitzenverbände seinerzeit eine Reihe von Bedingungen formuliert für den Fall ihrer Einführung. Das findet sich auch in den Forderungen des angeführten, fast fünf Jahre alten CDU-Antrages. Auch den hätte man ordentlich aufgreifen können. Dann hätte er aber in einem anderen Ausschuss diskutiert werden müssen. Aber das wollte man nicht.
Wobei – wenn ohnehin keine inhaltliche Diskussion seitens der AfD erfolgt, dann ist es egal, in welchem Ausschuss das Schweigen stattfindet.
Statt Wohnungsleerstand im ländlicher Raum herrschte augenscheinlich geistige Leere in AfD-Fraktionsräumen. So ist der Antrag eine Enttäuschung, nein, ein Täuschung. Mehr ist nicht zu sagen.
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