Dr. Ralf Nolten zu TOP 16 „Vermüllung der öffentlichen Räumen stoppen –Landesregierung muss Vermeidungskonzept entwickeln“

13.12.2018

Ein Feiertag im Frühsommer, ein sonniges Wochenende im Sommer - Cliquen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Großfamilien ziehen in die öffentlichen Anlagen. In diesen „öffentlichen Esszimmern“ – so der Stadtsoziologe Klaus Schmals schon vor über 10 Jahren – wird über den ganzen Tag hinweg gelagert, nach eigenen Regeln gelebt. Es werden z. T. ganze Schafe und Ziegen gegrillt, in extremer Lautstärke Musik gehört - auch eine Art von Vermüllung. Am nächsten Tag beseitigen die Abfallwirtschaftsbetriebe und Stadtreinigungen Unmengen an Müll. In Köln alleine 20 Tonnen an einem Wochenende in diesem Frühjahr.

„Es geht leider nach oben – und das trotz aller Mühen“, so werden die Stadtbetriebe zitiert. Ein Phänomen, das wir in vielen Grünanlagen, Parks, auf Wiesen an Kanälen, Flüssen und Seen beobachten können. Insofern hat der Antragsteller recht. Doch was genau ist das Problem?
Sind die Deutschen, die Weltmeister der Müllsortierung, zu Umweltferkeln mutiert? Dann wäre in der Tat Bildung und Aufklärung nötig.

Doch das Phänomen ist nicht ubiquitär, sondern konzentriert sich vor allem auf die großen Städte. Die Menge an Haus- und Sperrmüll sinkt NRW-weit in den letzten 10 Jahren von 230 auf 212 kg pro Kopf und Jahr, Auch die von den Antragstellern zitierte VKU-Studie berichtet von einer zunehmenden Sensibilität bezüglich Müll, der herumliegt. Zudem: eine individuelle Kenntnis der Verhaltensregeln garantiert keine Verinnerlichung dieser Normen und folglich auch nicht das entsprechende Verhalten.

Gerade im ländlichen Bereich und in den kleineren Städten ziehen im Frühjahr Vereine und Gruppen zum Großreinemachen entlang der Straßen und Wege in die Landschaft hinein. Freiwilligentrupps und „Rentnerbands“ wie die „12 Apostel“ in meinem Nachbarort kümmern sich einmal die Woche oder einmal im Monat um das öffentliche Grün. Sie unterstützen die Kommune, die wegen klammer Kassen ihre Reinigungskräfte abgebaut haben.

Ist die Zusammensetzung des Mülls problematischer geworden? Es gibt mehr Rücknahmesysteme, optimierte Abholsystem, gerade was den früher vielzitierten Kühlschrank in der Feldflur oder die Couch am Glascontainer angeht. In der Tat aber haben wir ein Problem mit Einweg-Verpackungen. Pappteller, Styroporverpackungen, Plastikflaschen, Einweggrills – großvolumiger Müll, der schnell die Mülleimer füllt. Der daneben abgelegte Müll wird dann von Fuchs, Krähe und Co. oder vom Wind in der Fläche verteilt.

Wer es ernst meint mit dem Ressourcenschutz, wird hier ansetzen müssen mit langlebigeren, wiederverwendbaren Produkten – ganz gleich, ob der Müll ordnungsgemäß entsorgt wird oder nicht. Diese Themenverquickung der Antragsteller geht am Problem „Vermüllung“ vorbei.


Warum haben wir nun vermüllte Grünanlagen v. a. in den Städten? Die VKU-Studie gibt Hinweise: sie verweist auf unterschiedliche Kulturen, die ein anderes Umwelt- und Sauberkeitsbewusstsein aufweisen. Andere Studien erwähnen die Gruppe der unter 30-Jährigen als weitere Problemgruppe.

Wenn in den seltensten Fällen das Wegwerfen des Mülls auf fehlende Mülleimer zurückzuführen ist, wenn in der Hälfte der Fälle der Mülleimer keine 10 Meter entfernt steht, dann hat das Verhalten andere Gründe. Dann helfen die größeren, bunteren, nach der Nudging-Theorie aufgepeppten Mülleimer nicht, die die Städte in den letzten Jahren zu Hunderten und Tausenden aufgestellt haben. Dann helfen auch die vielen Reinigungskräfte, Serviceteams und „Waste watchers“ nach Wiener Vorbild nicht. Hamburg alleine hat über 440 neue Mitarbeiter eingestellt hat. Die Trendwende bei den personellen und maschinellen Ressourcen für die Müllbeseitigung scheint in vielen Städten eingeleitet.

Das wird im Sinne der Broken Windows-Theorie erfolgreich sein: nicht beseitigter Müll erfährt rasche Vermehrung. Feldversuche zeigen, dass die räumliche Umgebung tatsächlich das Verhalten der Menschen beeinflussen kann. So wird versucht, möglichst zeitnah Straßen, Wege und Grünanlagen abzufahren, zu reinigen und den Müll zu beseitigen. Manchmal fragen sich die Bürger, wer hier über Nacht und von jetzt auf gleich den Müll beseitigt hat. Zum Teil gibt es einen 24-Stunden-Service. Die schwäbische Kehrwoche, das Kehren des Trottoirs am Samstag – das war gestern. Das reicht heute nicht mehr.

Neben flexiblen, bedarfsgerechteren Reinigungsaktivitäten braucht es situationsbezogen sensibilisierende und erzieherische Maßnahmen. Da mag die eine oder andere Plakatwand helfen. Im Kern geht es aber um die direkte Ansprache des Vermüllers beim Wegwerfen der Kippe, beim Hinterlassen des Hundehaufens. Direkt Ansprache von geschultem Personal. Möglichst mit dem gleichen kulturellen Hintergrund. Und wenn das nicht hilft?

Wenn es bestimmte Anforderungen an den öffentlichen Raum gibt, kann man ihn durch die Möblierung, durch eindeutige Funktionszuweisungen strukturieren. In der Folge wird das Grillen in einigen Parks verboten, an anderer Stelle werden öffentliche Grillstellen zur freien Nutzung errichtet, angeboten und täglich gesäubert.

Dann müssen aber auch Kontrollen das Einhalten der Regeln unterstützen, Vermüllungsdelikte auf den Fuß und konsequent verfolgt werden. Die meisten Kommunen haben hierzu eine eigene
Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. In ihr werden die verschiedenen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zusammengeführt, um den eigenen Ordnungskräfte das direkte Einschreiten und Handeln zu ermöglichen. Bedienstete des städtischen Ordnungsamtes dürfen nach dem Polizeigesetz Verwarnungsgelder erheben, Bußgeldverfahren einleiten, Menschen befragen, des Platzes verweisen usw.. Das Instrument zu haben, ist das eine. Es konsequent anzuwenden, das andere. 

Verfolge ich die einzelnen Zuwiderhandlungen konsequent, auch auf die Gefahr hin, dass ich bei dem ein oder anderen Verfahren mangels fehlender eindeutiger Beweise nicht obsiege – bestimmten Gruppen, die vor Problemimmobilien immer wieder Müll ablegen, in Parks zu Störern werden für andere, werde ich nur so zum Einlenken bewegen können. Soziale Desintegration, mangelnde soziale Kontrolle und Lust auf Provokation, auf abweichendes Verhalten leben sich im öffentlichen Raum aus, solange ich diesen Raum der Selbstregelung der Nutzer überlasse.

Gerade weil viele Park- und Grünanlagen oftmals dem Leitbild der Multifunktionalität folgend wenig strukturiert und möbliert sind, weil sie damit eine Reihe von Nutzungen zulassen, sind sie ein Ort permanenter gesellschaftlicher Aushandlungen über legitime Präsenzen und Nutzungen. Dies gilt umso mehr, als seit etwa 20 Jahren das Phänomen der „Rückeroberung“ des öffentlichen Grüns zu beobachten ist. Unzureichende Wohnstrukturen, das Durchstylen privater Gärten, ein sich änderndes Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit können als Ursachen vermutet werden. Hier kann ich nur die Studie „Erlebnis Stadtpark“ zur Nutzung und Wahrnehmung urbaner Grünräume der Schweizer Geographin Heidi Kaspar empfehlen. Sie zeigt exemplarisch, wie dominante Gruppen andere Nutzungen und Nutzer verdrängen. 

Aus Gründen der Stadtbildpflege, des Umweltschutzes, der Hygiene und der kommunalem Gesundheitsvorsorge ist vor Ort Handeln geboten. Handlungsmöglichkeiten in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit – Prävention – verstärkte Reinigung – Kontrolle und Strafen bestehen. Die Kommunen nutzen sie auch im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Es ist eine ureigene kommunale Aufgabe und das sollte es auch aus unserer Sicht bleiben.