
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
abwasserbasierte Epidemiologie ist wichtig. Das wissen wir nicht erst seit der Bekämpfung der Polio-Viren. Zur Früherkennung von neuen Infektionen und potentiellen Infektionsherden kann die Abwasseranalyse als ein Baustein einer Nachweisstrategie wichtige Erkenntnisse liefern. Denn die im Abwasser festgestellten Virusfragmente könnten anders als bei Covid-19 auch einmal infektiös sein. Dies würde insbesondere dann kritisch, wenn - wie bei Covid-19 – symptomfreie Träger des Virus das Infektionsgeschehen unterstützen.
So haben schon mit Beginn der Coronapandemie Siedlungswasserwirtschaftsexperten, Virologen, Ökotoxikologen und Evolutionsforscher in Aachen, Frankfurt, Darmstadt, Karlsruhe und München in diversen Projekten einzeln und im Verbund ihre Forschungsaktivitäten verstärkt. Ziel ist es, mit Verbundprojekten wie dem BMBF-geförderten „Abwasser Biomarker CoV-2“ aus den unterschiedlichen Ansätzen eine gemeinsame, die beste Vorgehensweise zu ermitteln.
So sind auch die Forderungen der EU-Kommission vom 17. März nach einem nationalen und EU-weiten Abwassermonitoringsystem bis Oktober nachvollziehbar und richtig, weil es zu den verschiedenen Pandemiephasen für unterschiedliche Zwecke – Indikation, Entwicklung, Wirksamkeitsanalyse, Kontrolle – Informationen liefern kann.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die Sensitivität der Methoden ausreichend ist, um als Frühwarnsystem zu fungieren. In Lausanne wurde die britische Variante zwei Wochen früher im Abwasser nachgewiesen als es die klinischen Daten des Schweizer Bundesamt für Gesundheit aufzeigten. Ja, schon bei wenigen Fällen auf mehrere tausend Einwohner ist die Virenlastveränderung nachweisbar.
Die Hoffnung, die Dunkelziffer der Covid-19-infektionen in der Bevölkerung exakt zu bestimmen, womöglich noch hinsichtlich einzelner Mutationen, konnte noch nicht erfüllt werden. Unser Wissen zur individuell ausgeschiedenen Menge von Viruspartikel bei den Infizierten ist noch rudimentär. Die Kanalisation ist sehr unterschiedlich hinsichtlich Trenn- oder Mischsystem, Fremdwasserzustrom, Abwasserzusammensetzung industriell/kommunal und den damit verbundenen Fragen nach Chemismus und Temperatur sowie der Verweildauer im Kanal. Methodische Aspekte der Probennahme und -aufbereitung sowie der Analytik kommen hinzu. Säulenfiltration oder Polyethylenglycolfällung - es fehlt noch an der standardisierten Methode. Selbst bei parallelen Test kann es in unterschiedlichen Laboren zu verschiedenen Ergebnissen kommen, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seinem Infobrief von vor zwei Wochen. Üblicherweise werden die 24-Stunden-Mischproben aus der Vorklärung und aus dem sog. Primärschlamm am dortigen Beckenboden gezogen. In Großstädten mit langen Wegen zur zentralen Kläranlage wären auch mit Blick auf die Aussagekraft in Bezug auf Stadtteile, Flughäfen oder Krankenhäusern etc. eine Entnahme aus dem Kanal zielführend.
So begegnet die Forderung, dass das Abwassermonitoring schon vor Monaten in jeder Gemeinde hätte zur Routine werden müssen, oder – wie im vorliegenden Antrag gefordert – „unverzüglich“ werden soll, neben den bereits aufgeworfenen technischen noch vielen weiteren offenen Fragen. Wie gehen wir mit Pendlern und Touristen um? Wie gelingt die Zuordnung zu administrativen Einheiten bei großen, zentralen Kläranlagen? Wer ist zuständig? Das Umwelt- oder das Gesundheitsministerium? Sind die Schnittstellen zu den Gesundheitsämtern vorhanden?
Wer übernimmt – wie gefordert - die organisatorischen, die Sach- und Personalkosten, die schon bei der zweimal wöchentlichen Beprobung bei ca. 25.000 € je Kläranlage und Jahr liegen. Wir haben deutschlandweit 10.000 Kläranlagen in sehr unterschiedlicher Größe und Trägerschaft. 2.200 Kläranlagen reinigen 90 % des kommunalen Abwassers. 900 Anlagen decken 80 % ab. 100 Kläranlagen – wie in der dritten Projektphase des UFZ, der TU Dresden und der DWA realisiert - immer noch ein Drittel. Seitens der EU sind mindestens alle Städte über 150.000 Einwohner einzubeziehen.
Warum reicht es nicht bei einem Frühwarnsystem aus, nur die größeren Kläranlagen zu beproben? Die EU macht auch da praktikable Vorschläge. Für einen abwasserbeseitigungspflichtigen Verband macht es schon einen Unterschied, ob er 43 oder nur 3 Anlagen beproben muss. Muss ich jede Anlage mit unter 2.000 Einwohnerwerten wirklich von vorneherein einbeziehen? Oder kann ich – je nach Viruslast – das Probenraster flexibel anlegen?
Es ist schade, dass Sie den Antrag hier zur direkten Abstimmung stellen. Hier und heute können wir ihn in der vorliegenden Form nur ablehnen. Das Thema selbst aber ist es wert, dass wir es im Fortgang der Erkenntnisgewinnung im Forschungsprozess zum Gegenstand der Debatte im Fachausschuss machen.
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