
Verehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der Süddeutschen Zeitung vom 8. November schreibt Matthias Dobrinski, dass die Gesellschaft die Kunst zivilisierter Auseinandersetzung wieder erlernen müsse. In Deutschland sei nicht Meinungsfreiheit das Problem – jeder könne frei sagen, was er wolle; das Problem sei vielmehr, dass es einigen sehr schwer falle, die Meinung anderer auszuhalten. Der Journalist konstatiert eine Unfähigkeit zum Streit, eine Unfähigkeit zu einer guten Gegnerschaft. Wer nicht in der Lage sei, fremde Gedanken auszuhalten, wer immer nur bestimmen will, ob jemand mitreden dürfe oder den Mund zu halten habe, befinde sich in einer harmoniesüchtigen Blase der Selbstbestätigung. Ein konstruktiver Streit ist so nicht möglich. Und dann fragt Dobrinski, ob man das nicht üben könne, Gegnerschaft und sogar Feindschaft auszuhalten, ohne den anderen moralisch oder physisch vernichten zu wollen. Die Feindesliebe, die beispielsweise Jesus predigte, bedeute nicht, Gegnerschaften zu negieren, sondern vielmehr zu akzeptieren, dass Feindschaften manchmal unausweichlich werden. Menschenverachtung sei z.B. alle Feindschaft wert. Feindesliebe nötigt eben dazu, den Feind als Menschen in seiner Würde zu achten, vom Ross einer höheren Moral herabzusteigen auf die Augenhöhe des Gegners und sich dem Streitgegenstand inhaltlich zuzuwenden.
Ich füge dem hinzu, dass für alle, die sich einem wie auch immer gedachten christlichen Abendland verschreiben, diese Semantik der Feindesliebe eigentlich geläufig sein müsste.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zum vorliegenden Antrag möchte ich nur folgende drei Bemerkungen machen:
1) Es ist selbstverständlich nicht hinnehmbar, dass öffentliche Veranstaltungen, Lesungen oder Vorlesungen durch Protestaktionen gesprengt und verunmöglicht werden. Das gilt für linke wie für rechte Proteste gleichermaßen. Die demokratische Debatte, die die Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaft ist, lebt vom Austausch von Argumenten. Das weiß jeder, bestreitet hoffentlich keiner hier im Haus und ist auch eine normale Selbstverständlichkeit an unseren nordrhein-westfälischen Hochschulen.
2) Es gibt zwei unterschiedliche Formen von Politikern. Die Fachpolitiker, vertiefen sich in die Probleme der Bürger, sie suchen Lösungen und verhandeln Kompromisse, um letztendlich Konflikte zu befrieden. Sie sind die Brückenbauer, die unsere Gesellschaft nach vorne bringen. Die Erregungspolitiker dagegen schüren die Konflikte. Sie reiten begierig jede ihnen entgegenkommende Welle in der Hoffnung auf die Hoheit über den Stammtischen. Es geht ihnen nicht um die Menschen, sondern nur um sich und ihre Macht: sie hören sich einfach gerne selbst reden.
3) Mir ist neu, dass Hamburg, Göttingen und Berlin in Nordrhein-Westfalen liegen, dass bei uns die akademische Freiheit irgendwo eingeschränkt sei. Der Gegenstand dieses Antrags ist konstruiert – man könnte sagen, an den Haaren herbei (an den Rhein) gezogen. Ich debattiere nicht über T-Shirts, ich finde es so peinlich wie demagogisch, die aktuelle Studierendengeneration zu diffamieren und ich weise unsere autonomen Hochschulen, mit denen wir auf Augenhöhe reden wollen, nicht auf Selbstverständlichkeiten hin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sollten besonnen und gelassen bleiben. Meine Eltern hatten früher einen erziehungsratgeberischen Aufkleber in der Küche hängen: „Toben sie nicht, wenn ihre Kinder toben!“ Das ist auch ein guter politischer Rat. Natürlich lehnt die CDU-Fraktion den Antrag ab.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
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