Drei Mal so viele entflohene Häftlinge im offenen Vollzug wie in allen anderen Bundesländern zusammen – Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger?

15.03.2017
Jens Kamieth MdL, Sprecher des Rechtsausschusses

Sehr geehrte Frau Präsidentin, 270 Häftlinge flohen nach einem Bericht der Rheinischen Post vom 10. März 2016 in Nordrhein-Westfalen aus dem offenen Strafvollzug. In den übrigen Bundesländern lag diese Zahl 2016 insgesamt bei nur 93. Nordrhein-Westfalen zählt also dreimal so viele Entweichungen wie alle anderen Bundesländer zusammen. Eine traurige Spitzenposition! Diese alarmierende Situation ordnet sich ein in eine ganze Reihe von Vorkommnissen, Alarmmeldungen und Skandalen des Justizvollzugs in NRW. Juni 2016 – Tod eines Häftlings nach einer Auseinandersetzung in der JVA Duisburg. Mai 2016 - gewaltsamer Tod eines Jugendlichen in der JVA Wuppertal Ronsdorf. April 2016 – Verlust von 1.000 Schuss Munition in der JVA Wuppertal Ronsdorf. April 2015 – Flucht eines verurteilten Mörder aus der JVA Rheinbach. Mai 2014 – spektakuläre Flucht aus der JVA Herford. März 2012 – Ausbruchserie in der JVA Bochum Dazu kommen die strukturellen Probleme des Vollzugs: Die Warnung im Dezember 2016: Gewalt gegen JVA-Bedienstete nimmt zu. Das ungelöste Problem mit Inhaftierten aus dem Maghreb. 180 offene Stellen im NRW-Strafvollzug: Planstellen müssen besetzt werden, das Schaffen neuer Stellen allein bringt nichts. Fehlende Haftraumkapazitäten in den Justizvollzugsanstalten: Auslastungsquote von mehr als 105% der Bruttobelegung z.B. in Gelsenkirchen, Dortmund, Hamm und Kleve. Hin-und-Her bei der JVA-Planung: drei geschlossene Anstalten (Coesfeld, Krefeld, Mönchengladbach), die teilweise seit der Räumung der JVA Münster wieder genutzt werden. Trotz Einschaltens des Ministers konnte nach jahrelanger Suche noch kein Standort für die JVA in Münster gefunden werden. Justizvollzugsmodernisierungsprogramm in Höhe von 750 Millionen Euro – doch in Luftschlössern kann man keine Gefangenen unterbringen! Mängel im Strafvollzugsgesetz: der Vorrang des geschlossenen Vollzugs hätte normiert werden müssen, um die oben erläuterten Fälle zu verhindern, genauso wie ein konsequenter Prüfungsmaßstab für Vollzugslockerungen. Suizide im Strafvollzug: 18 Suizide im Jahr 2016 im NRW-Strafvollzug. Schutzpflicht des Staates wurde vernachlässigt. Und nun: 126 Personen, die aus dem offenen und geschlossenen Vollzug flüchtig sind. Hier werden eklatante Mängel und fehlende Konsequenz des Justizministers offenkundig. Sein Glück ist eigentlich nur – dass diese Verfehlungen unter dem Radar der Öffentlichkeit laufen, weil mit seinem Ministerkollegen Jäger ein noch größerer „Pannenminister“ auf der Regierungsbank sitzt. Aber die Versäumnisse bei der Innenpolitik dürfen die Versäumnisse des Justizministers nicht verdecken: Die Schwächen des Justizvollzugs – die die Bediensteten ausbaden müssen – sind hausgemacht. Wir als CDU fragen uns, wie es zu dieser Besorgnis erregenden Entwicklung kommen konnte. Wie will der Justizminister bis Mai den Schutz der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen vor entflohenen Straftätern wieder sicherstellen? Gegenüber der "Rheinischen Post" teilte das Justizministerium nicht nur mit, dass es 270 Entweichungen von Inhaftierten des offenen Vollzugs im Jahr 2016 gab, sondern auch, dass sich derzeit 125 Insassen aus nordrhein-westfälischen Gefängnissen auf der Flucht befinden. Bei den Flüchtigen soll es sich um Häftlinge aus dem offenen Vollzug handeln, die abends nicht mehr zurück in das Gefängnis zurückkehrten. Es wird nicht in jedem der 126 Fälle eine Gefahr für die Sicherheit der Bürger bestehen, in vielen Fällen wird es „nur“ um Kleinkriminelle gehen. Ich möchte dennoch an die Flucht eines Häftlings aus dem offenen Vollzug aus der JVA Euskirchen im Juni 2016 erinnern. Da floh ein zu lebenslanger Haftstrafe verurteilter Mörder aus dem offenen Vollzug. Wer will da bestreiten, dass es eine Gefährdungslage gab? Schutz und Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger erreichen wir, indem wir die Taten von vornherein verhindern. Dies wird einerseits durch eine reaktionsfähige und gut ausgestattete Polizei sichergestellt; andererseits durch einen behandlungsorientierten und sicheren Strafvollzug. Doch dazu müsste der Strafvollzug organisatorisch, baulich und personell in der Lage sein. Aber die Realität sieht anders aus – die Probleme im Vollzug häufen sich! Die aktuellen Zahlen geben Anlass zu Sorge und zeigen: Der Justizminister hat den Strafvollzug nicht im Griff! Darüber können auch die verbindlichen und netten Worte des Justizministers nicht hinwegtäuschen. Zu viele Häftlinge, denen Lockerungen gewährt wurden, begehen Straftaten oder kehren nie wieder zurück. Es ist dringend eine konsequente Ahndung aller Lockerungsverstöße notwendig! Klarstellen möchte ich, dass es hier nicht um eine grundsätzliche Kritik an der Form des offenen Vollzugs geht. Resozialisierung dient der Vermeidung hoher Rückfallquoten. Qualifizierte Täterarbeit ist der beste Opferschutz. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, dass mit jeder Vollzugslockerung naturgemäß ein Risiko der Entweichung aus der Haft und eines Missbrauchs verbunden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob dieses Risiko unvertretbar erscheint. Denn es besteht der gesetzliche Auftrag eben nicht nur in der individuellen Resozialisierung, sondern auch in dem sicherzustellenden Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Der Vergleich mit anderen Bundesländern macht deutlich, dass es der politische Wille dieses Justizministers ist, dass in Nordrhein-Westfalen der Vollzug deutlich schneller gelockert wird. Sind denn in NRW mehr Gefangene für den offenen Vollzug geeignet? Klar ist jedenfalls: Es darf nicht dazu kommen, dass Gefangene in den Offenen Vollzug gelangen, um Versäumnisse im geschlossenen Vollzug auszubügeln. Unzureichende Haftraumkapazitäten in Nordrhein-Westfalens Strafvollzug dürfen niemals dazu führen, dass ungeeignete Personen in den offenen Vollzug kommen. Wenn Personen ihre Strafe im offenen Vollzug absitzen, dann erwarten wir, dass dagegen vorgegangen wird, wenn sie die Regeln des Vollzugs nicht einhalten. Eine Strafe muss auch vollzogen werden! Warum klappt das in NRW nicht? Der Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen muss nachhaltig gestärkt werden. Nur dann können Instrumente wie der offene Vollzug verantwortungsvoll eingesetzt werden. Hoffen wir, dass die Versäumnisse der rot-grünen Landesregierung bis Mai nicht noch schlimme Folgen haben!

 

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