Frank Boss zur aktuellen Stunde "Kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger vor Anfeindungen, Hass und Angriffen schützen"

22.01.2020

Sehr geehrte(r) Herr / Frau Präsident(in),
verehrte Kolleginnen und Kollegen,

allein die Tatsache, dass wir uns heute im Rahmen der Aktuellen Stunde mit dem Thema „Kommunale Amtsträgerinnen und Amtsträger vor Anfeindungen, und Angriffen schützen“ beschäftigen müssen, ist beschämend und zugleich verstörend.
Die Anzahl an körperlichen und verbalen Übergriffen wirft kein gutes Licht auf den Zustand unserer Gesellschaft.

Doch von welcher Opfergruppe, meine sehr geehrten Damen und Herren, reden wir? Wir reden über die Basis, über das Fundament unserer freiheitlich- demokratischen Grundordnung. Es geht um diejenigen Menschen, die sich haupt- und ehrenamtlich für unsere Demokratie und für unsere Sicherheit einsetzen.
Dass Amtsträger persönlich angegriffen, verletzt oder gar getötet werden, dass Angriffe auf Büros von Bundestagskollegen verübt werden, dass Bürgermeister aus Angst ihr Amt abgeben, dass ein Bürgermeister aus meiner niederrheinischen Heimat zunächst sogar einen Waffenschein beantragt hatte, all das sind Warnsignale, die wir ausgesprochen ernst nehmen müssen.

Wichtig ist mir aber an dieser Stelle auch der Hinweis, dass gerade im Hinblick auf den heutigen Artikel in der Rheinischen Post ich eine Lockerung des Waffenrechts nicht für das richtige Mittel halte. Schließlich sind wir ja - in Anlehnung an die Äußerungen des Kollegen Lürbke im genannten Artikel - hier nicht in Nordrhein-WildWest -falen.

Meine Damen und Herren, die Verrohung der Gesellschaft ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen.

Sogenannte Soziale Medien haben ihren Anteil an den Entwicklungen in unserer Gesellschaft und fungieren dabei oft auch als eine Art „Brandbeschleuniger“. Hier lässt sich unter dem Deckmantel der Anonymität leicht herumpöbeln.

Diese Dauerempörten, wie es unser Bundespräsident ausdrückte,  verlassen sich darauf, dass andere – sei es haupt- oder ehrenamtlich – Verantwortung übernehmen.
Aber es ist eben einfach, anonym im Netz zu beleidigen und andere herabzusetzen oder in ihrer Ehre zu verletzten.

Meine Damen und Herren,
schon der Vater der kommunalen Selbstverwaltung, Freiherr vom Stein, hat bereits vor vielen Jahren deutlich gemacht, dass die kommunale Ebene – als unterste staatliche Ebene - die wahrscheinlich wichtigste ist. Denn auf dieser kommunalen Ebene bekommt der Staat ein Gesicht. Hier wird der Staat unmittelbar. Die Bürgermeister, die Ratsmitglieder sind Ansprechpartner, sie sind greifbar.
Gerade diese Nähe ist so wichtig, und gerade diese Nähe darf nicht verloren gehen, meine Damen und Herren.

Dass sich gerade auf dieser Ebene zunehmend Angst breitmacht, darf uns nicht ruhen lassen. Unsere Demokratie ist ohne das Engagement vor Ort schlicht nicht denkbar.
Daher ist es gut, dass wir dieses größer werdende Problem heute auch in der Aktuellen Stunde thematisieren.

Der Staat muss die Menschen, die sich für ihn einsetzen, bei Bedarf aber auch schützen. Dafür brauchen wir u.a. eine starke Polizei. Mit einem deutlichen Stellenaufwuchs zeigt die Landesregierung bereits an dieser Stelle eine klare Haltung. Die von unserem Innenminister Herbert Reul praktizierte Null-Toleranz-Strategie muss auch hinsichtlich der Angriffe auf unsere kommunalen Amtsträgerinnen und Amtsträger gelten.

Aber das alleine, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird das Problem natürlich nicht lösen. Es ist eine große gesellschaftliche Aufgabe, die da vor uns liegt.

Doch die Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Themen – wie zum Bespiel aktuell zum Klimaschutz oder zu Schule und Bildung -  polarisieren. Diskussionen werden viel zu oft mit Häme, mit Vorwürfen und sogar mit persönlichen Attacken geführt. Die Hemmschwelle von verbalen Attacken zum tatsächlichen Drohszenario oder zu einem Anschlag ist dann kleiner, als viele denken. Jeder muss wissen, dass hetzerische Sprache, die Vorhut von Gewalt ist.

Kommunalpolitiker zu sein, und das weiß ich aus eigenem Erleben, hat viel mit Engagement, mit zuhören, mit Diskussion und ja - auch mit Streit zu tun. Für Ziele und Erfolge zu streiten und zu kämpfen ist nichts verwerfliches. Es fragt sich nur, wie ein Streit geführt wird.

Wenn ich im Bekanntenkreis von Anfeindungen in meiner politischen Laufbahn berichte, dann höre ich auch die Reaktion: Hättest ja auch einen anderen Job machen können.
Nein! Verdammt noch mal. Ich mache den Job nicht, um mich verbal und nonverbal „verhauen“ zu lassen, ich mache diesen Job, weil ich Teil dieser Gesellschaft bin und das Ideal verfolge, sie ein kleines bisschen besser machen zu wollen. Aber das heißt nicht, dass es anderen das Recht gibt, mich oder andere Kolleginnen und Kollegen anzufeinden oder zu bedrohen.

Hetze und Gewalt gegen Kommunalpolitiker, Polizisten, Rettungskräfte und Beschäftigte in den Verwaltungen vieler Institutionen scheinen meines Erachtens im Grunde nur die Spitze des Eisbergs zu sein. So fängt es meines Erachtens schon im Ehrenamt insgesamt an. Stichwort „Schiedsrichter“, die jede Woche in den Amateurklassen unterwegs sind!

Doch was ist nun unsere Aufgabe? Da, wo es notwendig ist, muss der rechtliche Rahmen angepasst werden. Ganz klar. Übergriffe jedweder Art müssen schnelle Konsequenzen haben.

Dafür brauchen wir eine starke Justiz. Mit spezialisierten und sensibilisierten Staatsanwaltschaften und Gerichten.

Nur eine schnelle und konsequente Ahndung schafft Vertrauen in unseren Rechtsstaat.
Hierbei sollte aber auch der Rechtsstaat in Form seiner Gerichte auf die Wirkung auf unsere Gesellschaft achten.

So sendet meines Erachtens ein Gericht – wie das Berliner Kammergericht – ein falsches Signal, wenn der Straftatbestand der Beleidigung gegen die Bundestagsabgeordnete Renate Künast im Urteil – bei allem Respekt vor dem Gericht – ad absurdum geführt wird. Auch wenn gestern Teile des ursprünglichen Beschlusses revidiert wurden, so bleibt der schale Nachgeschmack.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir brauchen eine umfassendere Wertschätzung der Arbeit der Kommunalpolitiker. Kommunalpolitik ist der Stoff, aus dem die wahre Demokratie gemacht wird. Sie muss immer wieder neu gelernt, neu erkämpft und neu gelebt werden.
Die Arbeit, die vor Ort oft ehrenamtlich geleistet wird, braucht bestmögliche Unterstützung, und wir brauchen da, wo es nötig ist, einen umfassenden Schutz von gefährdeten Personen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
ohne die Arbeit der Kommunalpolitiker, der Polizisten, der Rettungskräfte und der zahlreichen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter könnte unser Staat nicht funktionieren.
Deshalb haben gerade sie in besonderer Weise unseren Dank, unsere Anerkennung und auch unseren Schutz verdient.

Vielen Dank!