
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Schön hier – wenn die Gewerbesteuer nicht so hoch wäre!“ Oder: „Schon mal an eine Verlegung des Firmensitzes nachgedacht?“ So stand es 2012 auf Großplakaten, deren Aufdruck ich hier mit Er-laubnis des Präsidenten zitieren darf. Anbringen lassen hatte sie der Bürgermeister der Stadt Monheim am Rhein in seinen Nachbarstäd-ten. Das eine Plakat zeigte im Hintergrund sogar eine Landkarte, auf der neben den Stadtnamen die Gewerbesteuersätze der umlie-genden Kommunen angebracht waren. Diese Plakatmotive präsen-tiert Daniel Zimmermann bis heute stolz auf seiner Homepage.
Als langjähriger Bürgermeister weiß ich, was es bedeutet, mit knap-pen Kassen zu kämpfen. Alles finanziert sich vor allem über die Grund- und Gewerbesteuer vor Ort. Dreht man an der Grundsteu-er, sind alle Eigentümer und Mieter verärgert; erhöht man die Ge-werbesteuer, beschweren sich die Arbeitgeber vor Ort. Nicht selten konfrontieren sie dann die Stadtspitze mit niedrigeren Steuersätzen von Nachbarstädten.
Damit das am Anfang direkt klargestellt ist: Sowohl unsere Koalition als auch ich als ehemaliger Bürgermeister stehen mit voller Über-zeugung zum Wettbewerb unter den Kommunen. So wird der effizi-ente Einsatz der Steuermittel sichergestellt. Und wenn sich die Bür-gerschaft entscheidet, bestimmte teure Angebote in der Stadt vor-zuhalten und dafür dann zum Beispiel mehr Steuern als in den Nachbarstädten zu zahlen, ist das zu jeder Zeit ihr gutes Recht und die Freiheit der kommunalen Selbstverwaltung.
Aber bei alldem gibt es Grenzen. Und diese Grenzen werden in we-nigen Ausnahmefällen überschritten. Um genau diese Grenzüber-schreitungen werden wir uns nun verstärkt kümmern.
Wie oft habe auch ich mir als Bürgermeister den Hinweis anhören dürfen, dass Monheim es ja richtig machen würde. Da würde ja hervorragend gewirtschaftet und deswegen gäbe es dort auch so niedrige Steuersätze.
Aber in den Fällen, die wir hier nun angehen, entspricht das eben nicht der Wahrheit. Ich hätte als Bürgermeister nie den konkreten Effizienzvergleich der Verwaltungen gescheut, habe gerne die Per-sonalkosten pro Einwohner miteinander verglichen und Vieles mehr.
Aber das Erfolgsrezept einer Steueroase ist eben nicht, dass sie gut wirtschaftet und deswegen Bürgern und Firmen niedrige Steuern anbieten kann. Das Modell funktioniert nur, indem man anderen Städten ihre Steuerzahler aggressiv abwirbt und damit seine Ein-nahmegrundlage so außergewöhnlich verbreitert, dass man auch mit Mini-Steuersätzen seinen Finanzbedarf decken kann.
Das kann nicht im Sinne eines geordneten Wettbewerbs unter den Kommunen sein! Das ist vielmehr die strukturelle Aushöhlung unserer kommunalen Finanzordnung!
Wenn bei Anwendung eines Steuersatzes auf die durchschnittliche Einnahmegrundlage einer nordrhein-westfälischen Stadt nicht ein-mal mehr sichergestellt ist, dass abends nach Dienstschluss im Rathaus auch noch der Gang feucht gewischt werden kann – dann ist das kein Ausdruck solider Finanzpolitik, sondern aggressiver Ab-werbungsaktionen von Firmensitzen.
Genau so stand es übrigens ja auch auf dem Plakat: Verlegen Sie „den Sitz“, nicht „das Unternehmen“! Schreibtische lassen sich eben schnell über Stadtgrenzen schieben, Werkhallen und Maschinen nicht.
Und genau deswegen schützt unser Einschreiten auch die Kommu-nen vor sich selbst. In Monheim haben wir es sehen können, „Auf-stieg und Fall einer Steueroase“, titelte die Westdeutsche Zeitung im Januar dieses Jahres: 2012 die radikale Senkung der Steuersät-ze, bis 2013 dann die Turbo-Entschuldung; 2020 plötzlich Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen von 304 Mio. Euro auf 168 Mio. Eu-ro. Der Bund der Steuerzahler listet weiterhin auf, wie binnen kür-zester Zeit ein Schuldenberg in Milliardenhöhe aufgehäuft werden musste, weil man das Finanzruder so schnell gar nicht mehr her-umgerissen bekam.
Folge: Die angebliche Vorzeigekommune ist nach seinen Angaben nun diejenige mit der deutschlandweit höchsten pro-Kopf-Verschuldung.
Interessant: Was macht die Monheimer Ratsmehrheit nun? Sie er-höht die Grundsteuer von 282 auf 1.000 Punkte, streicht Zuschüsse und Kulturprogramm und einiges mehr – aber sie geht nicht an den Hebesatz der Gewerbesteuer. Sie weiß eben sehr genau, wie schnell ihre Steuerzahler dann ganz schnell wieder einpacken und dorthin weiterziehen, wo auch immer es dann günstiger ist. Die Steuersenkung hat in der Breite keine nachhaltige, stabile Wirt-schaftsstruktur geschaffen, sondern man hat nur temporär in einem Biligwettbewerb als Sieger posiert.
Genau aus diesem Grund schützen wir also nicht nur den gesunden Wettbewerb der Kommunalfinanzen, sondern auch einzelne Kom-munen vor der Versuchung. Ein ruinöses Wettrennen nach unten darf es nicht mehr geben.
Daher begrüßen wir sehr, dass auch auf Bundesebene Bewegung in die Sache gekommen ist. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD im Bund sieht eine Anhebung des gesetzli-chen Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer von 200 auf 280 Prozent vor. Ein weiterer wichtiger Schritt – hin zu mehr Steu-ergerechtigkeit und zu einem fairen Wettbewerb zwischen den Kommunen.
Zugleich sollen alle administrativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Scheinverlagerungen in sogenannte Gewerbesteueroa-sen zu unterbinden. Auch das ist richtig. Denn nur wenn alle sich an die Spielregeln halten, bleibt der Wettbewerb gesund und konstruk-tiv.
So wollen wir auch als Land künftig einschreiten, wenn aus lokalem Gestaltungsspielraum eine Wettbewerbsverzerrung wird – zum Schaden der Allgemeinheit. Unser Ziel ist ein verlässlicher Ord-nungsrahmen, der Vielfalt ermöglicht – aber Missbrauch verhin-dert.
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