Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
„ich fordere dich, weil ich dich achte“ – mit diesen Worten haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD, Ihren Antrag überschrieben. Ein Antrag, der die vor wenigen Tagen veröffentlichten Ergebnisse des IQB-Bildungstrends aufgreift und mit dem vor nicht einmal einem Monat in diesem Hohen Haus vorgestellten Abschlussbericht der Enquetekommission Chancengleichheit in der Bildung verknüpft. Große Worte – eine schöne Verpackung für einen Bildungsantrag. Doch was verbirgt sich dahinter? Machen wir uns doch gemeinsam auf die Spurensuchen.
„Ich fordere dich, weil ich dich achte“. Ein Satz, der mich – meiner christlichen Erziehung sicherlich geschuldet – eher an den sonntäglichen Gottesdienstbesuch und an biblische Zeilen erinnert als an einen Antrag aus den Federn der Sozialdemokratie. So heißt es im Brief an die Hebräer, Kapitel 10, Vers 24: „und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken.“
Anreiz und Achtsamkeit – gegenseitig anspornen zu Liebe und guten Werken, weil wir einander achten. Das christliche Leistungsprinzip im Kontext der Nächstenliebe, niedergeschrieben vor mehr als 2.000 Jahren auf Pergamentrollen. Großartig! Ich wäre begeistert und regelrecht beseelt, wenn ich es bei meinen sonntäglichen Gedanken belassen hätte.
Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, hatten beim Verfassen Ihres Antrags höchstwahrscheinlich weniger die Ursprünge des christlichen Glaubens und damit das Wertefundament meiner Partei und der Christdemokratie im Sinn. Wahrscheinlich hatten sie den sowjetischen Kollektiverzieher Anton Semjonowitsch Makarenko im Sinn, ein in der gleichgeschalteten DDR verehrter und im Westen skeptisch beäugter Pädagoge, der als Wegbereiter für das sozialistisch-humanistische Erziehungsideal gilt. Seiner Meinung nach sollten Einzelne durch das "Kollektiv" erzogen und Jugendliche so wenig direkte Anweisungen wie möglich von Erziehern erhalten. Warum Makarenko vor stalinistischer Repression bewahrt blieb und ob die von ihm gegründete Dserschinski-Kolonie, einer Kaderschmiede der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka, damit zusammenhängen könnte, vermag ich nicht beurteilen – tut hier aber auch nichts zur Sache. Makarenkos Kollektivismus und die Entmündigung der Erzieher behalten wir allerdings an dieser Stelle in unserer gedanklichen Zwischenablage.
Meine Damen und Herren, kommen wir nun zum IQB-Bildungstrend – diesen Themen-Spagat kann ich uns leider in Anbetracht des vorliegenden Antrags nicht ersparen.
Unzweifelhaft und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Die Ergebnisse sind alarmierend:
• Ein Viertel der 9. Klässler, die den mittleren Schulabschluss anstreben, verfehlen in Mathematik und Chemie die Mindeststandards.
• Nur jeder zweite Schüler hat Interesse an Mathematik, Chemie, Biologie und Physik. Zum Mitschreiben: Die Hälfte aller Schüler hat KEIN Interesse an den für unsere Zukunftsfähigkeit so bedeutsamen MINT-Fächern.
• Und den Unterricht finden Schüler als störungsintensiv und wenig strukturiert. Auch hier zum Mitschreiben: Der Unterricht ist nicht attraktiv genug!
Das alles ist kein NRW-Sonderphänomen, sondern ein gesamtdeutsches Problem, das sich über alle 16 Länder zieht – in unterschiedlichem Ausmaß, aber mit derselben negativen Richtung. Das Kompetenzniveau ist bundesweit gesunken; die Trends betreffen die Förderschulen genauso wie die Schulen des gemeinsamen Lernens, die Haupt-, Real- und Gesamtschulen und auch die Gymnasien.
Die IQB-Ergebnisse sind für alle, und da schließe ich ausdrücklich alle hier versammelten Demokraten ein, denen die Zukunft unserer Kinder, die Zukunft unseres Landes und unserer Demokratie am Herzen liegt, ein Auftrag zum Handeln. Und genau dies hat unsere Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, genau dies hat Schulministerin Dorothee Feller durch Wort und Tat bereits mehr als deutlich bewiesen.
Mit der Einführung des Schulkompass 2030 holen wir endlich das nach, was Länder wie Finnland oder auch andere Bundesländer bereits vor über zehn Jahren begonnen haben. Wir kümmern uns um datengestützte Qualitäts- und Unterrichtsentwicklung – transparent, systematisch, mit klaren Zielen. Auch wenn es bei manchem Oppositionspolitiker noch nicht angekommen sein mag: Dies ist die größte Reform unseres Bildungssystem der letzten Jahre. Kein ideologischer Kampf um einzelne Schulformen oder um Konzepte wie G8 oder „Schreiben nach Gehör“, sondern ein echter Paradigmenwechsel, der den Kern des Bildungsverständnis berührt und positive Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in Kollegien genauso wie auf die Rolle der Schulaufsicht haben wird.
Aufbauend auf den Lernstandserhebungen richten wir durch die konsequente Stärkung der Basiskompetenzen beim Lesen, Schreiben und Rechnen den Fokus auf das Erreichen von Mindest- und Optimalstandards. Vielen Dank an Schulministerin Dorothee Feller für diesen wichtigen und dringend erforderlichen Schritt!
Als Mitglied der von Ihnen gelobten Enquetekommission freue ich mich daher ausdrücklich, dass unsere gemeinsame Arbeit der letzten zwei Jahre mit diesem strategischen Vorgehen der Landesregierung eine besondere Aufwertung und Unterstützung erfährt. Denn auch wir haben in eine vergleichbare Richtung gearbeitet und mehr Daten und Evidenz zur Qualitätsentwicklung genauso wie Teamteaching, kollegiale Beratung und die Rolle der Schulaufsicht in den Blick genommen.
Während Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie, mit Ihrem Antrag die Umsetzung ERSTER Handlungsempfehlungen aus dem Enquetebericht fordern, ist Schulministerin Dorothee Feller mit Ihrer Arbeit bereits einen Schritt weiter. Was sage ich, Dorothee Feller ist Ihnen meilenweit voraus. Sie hat analysiert, bewertet und entschieden, und zwar im Sinne unserer Schulen und unserer Kinder in Nordrhein-Westfalen – so geht verantwortungsvolle Politik!
Wir allesamt waren uns in der Enquetekommission einig, dass Chancengerechtigkeit vor dem ersten Schultag beginnt. Denn wenn nur 76 Prozent aller Kinder mit Migrationshintergrund – gegenüber 99 Prozent aller Kinder ohne Migrationshintergrund – in den letzten drei entscheidenden Jahren vor der Einschulung einen Kindergarten besuchen, lassen sich Defizite bei Sprache, Motorik und Sozialverhalten vor dem Schulstart weder richtig diagnostizieren noch beheben.
Der IQB-Bericht weist daher richtigerweise darauf hin, wie stark die Deutschkenntnisse schulische Leistungen in allen Fächern beeinflussen. Deutsch darf nicht erst im Unterricht erworben werden. Dann ist es bereits zu spät; das wäre nicht nur ein Wettbewerbsnachteil für das Kind, es bremst zudem die Weiterentwicklung und das Leistungsniveau der ganzen Klasse.
Wir brauchen daher frühere und verbindlichere Diagnostik für ALLE Kinder und daran anknüpfend verpflichtende Fördermaßnahmen. Die sich aus dem Abschlussbericht der Enquetekommission ableitende Forderung ist daher genauso richtig, wie die im Antrag zitierte Passage aus dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung.
Doch auch hier, liebe SPD, kommt Ihr Fingerzeig auf die NRW-Landesregierung wieder ein Ticken zu spät, denn der erste Schritt dazu ist längst gemacht:
Mit dem im letzten Jahr an 130 Schulen erprobten digitalen Sprachscreening legen wir in Nordrhein-Westfalen bereits den Grundstein, um belastbare Zahlen, Daten und Fakten über den Sprachstand aller Kinder zukünftig im gesamten Land zu erfassen und darauf basierend Unterstützungsmaßnahmen anzupassen. Systematisch und standardisiert - das ist der Kulturwechsel von der Gefühlspolitik zur Wirkungspolitik, so wie wir es im Abschlussbericht der Enquetekommission auch einfordern. Wir ersetzen Kaffeesatzleserei durch Empirie.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich könnte jetzt so weitermachen und aufführen, was alles bei uns in Nordrhein-Westfalen unter der schwarz-grünen Landesregierung angegangen und gemacht wird.
Denn ob das Startchancen-Programm, NRW-Plan, Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung oder die flächendeckende MINT-Förderung durch über 50 zdi-Netzwerke, Schülerlabore und außerschulische Lernorte…
…vieles, was für die Bildung unserer Kinder und für mehr Chancengerechtigkeit in unserem Land richtig und wichtig ist, ist bereits angelegt, beschlossen oder umgesetzt. Und dennoch ist die Strecke, die aufzuholen ist, noch lang.
Ich möchte Ihnen daher einen Vorschlag machen und dafür anknüpfen an den zu Beginn zitierten Bibelvers: „Lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken.“
Spätestens seit der vielbeachteten Meta-Studie des Bildungsforschers John Hattie wissen wir, dass nicht die Fachlichkeit des Lehrers oder schulische Strukturfragen die entscheidenden Faktoren für den Bildungsverlauf sind, sondern die Erwartung der Schüler an den eigenen Lernerfolg und die Glaubwürdigkeit des Lehrers.
Ich frage daher auch mit Blick auf die IQB-Ergebnisse zum Desinteresse an den MINT-Fächern und zur Qualität des Unterrichts, offen Sie alle: Tun wir alles dafür, dass unsere Gesellschaft zu Leistungen motiviert, Unterricht begeistert und unsere Schüler den Wert von Bildung erkennen?
Diese Fragen beantworten sich nicht mit Millionen oder Milliarden von Euro geschweige denn mit Anträgen, die wir in diesem Haus verteidigen oder zerreden. Diese Fragen beantworten sich nur durch Haltung. Was wir brauchen, ist weniger negative Katastrophenrhetorik, sondern mehr positive Machermentalität.
Meine Damen und Herren,
der IQB-Befund ist unbequem – gut so. Er rückt das in den Mittelpunkt, worum es uns allen eigentlich geht und woran wir in der Enquetekommission vertrauensvoll gearbeitet haben: dass jedes Kind nicht nur rechnen, lesen und schreiben kann, sondern basierend auf den individuellen Talenten seinen eigenen Weg selbstbestimmt gehen kann.
Lassen Sie mich zum Abschluss auf einen letzten Aspekt aus Ihrem Antrag eingehen: Ihre Forderung nach mehr Ganztag mit dem Ziel, der – ich zitiere –„Entkopplung von Bildung und Elternhaus“. Eine Bildungspolitik, die – wie Sie schreiben – genau damit Kindern Wertschätzung entgegenbringt.
Als Vater dreier Kinder und als Christdemokrat stellen sich mir bei diesen Sätzen die Nackenhaare hoch, denn genau hier zerfällt die eingangs mit großen Worten so hübsch gewählte Verpackung Ihres Antrags. Hier wird der eigentliche Kern des humanistisch-sozialistischen Erziehungsideals Makarenkos sichtbar und wir beenden unsere Spurensuche.
Wir holen daher Makarenkos „Kollektivismus“ und die „Entmündigung der Erzieher“ aus unserer gedanklichen Zwischenablage heraus (Sie erinnern sich) und halten für einen Augenblick inne.
Als Antwort auf IQB will die SPD die Eltern entmündigen und faktisch aus der Verantwortung für die Erziehung und Bildung ihrer eigenen Kinder entlassen. Ich sage Ihnen – und genau hier läuft die grundsätzliche Trennlinie zwischen Ihrem Bildungsideal und unserem: das Gegenteil sollten wir tun! Wir müssen alles daransetzen, Eltern in ihrer immens wichtigen Rolle zu befähigen und bspw. durch die gute Arbeit in den Familienzentren zu stärken und ja, ich sage auch, sie stärker in die Pflicht nehmen.
Die Aufgabe, vor der wir gemeinsam stehen, ist eine gesamtgesellschaftliche. Der Staat allein kann und wird dies nicht schaffen. Nur gemeinsam, durch harte und gewissenhafte Arbeit wie sie von Dorothee Feller vorgelebt wird, und der ganzen Kraft von Politik und Gesellschaft, und zwar mit und nicht ohne die Eltern, werden wir diesen Weg bewältigen und Chancen sowie Leistungen gleichermaßen erhöhen. Ihr Antrag trägt dazu leider nicht bei, daher bleibt mir an dieser Stelle nichts anderes übrig, als ihn abzulehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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