Jonathan Grunwald zu TOP 9 "Mehrsprachigkeit an Schulen"

30.01.2025

Sehr geehrte Frau/Herr Präsident(in),
sehr geehrte Damen und Herren,

ohne Zweifel, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Mehrsprachigkeit ist etwas Besonderes und eine Bereicherung nicht nur für den Einzelnen, sondern für unsere gesamte Gesellschaft. Ihr Antrag klingt daher auf den ersten Blick auch vielversprechend: „Mehrsprachigkeit fördern, Bildungsgerechtigkeit schaffen.“ Doch bei genauerem Hinsehen offenbart der Antrag gravierende Schwächen, die ihn weder praktikabel noch umsetzbar machen.

Ihr Antrag suggeriert, es gäbe bei uns in Nordrhein-Westfalen kein Konzept, um Mehrsprachigkeit zu fördern. Doch das Gegenteil ist der Fall: Gerade bei uns in NRW haben wir längst vielfältige Programme zur Förderung von Mehrsprachigkeit etabliert. Wir sind sogar bundesweit Vorreiter bei der Förderung von Mehrsprachigkeit.

Der wichtigste Baustein ist dabei der Herkunftssprachliche Unterricht – kurz HSU. Mit dem HSU, der in über 30 Sprachen von mittlerweile über 1.000 Lehrkräften angeboten wird, sind wir bundesweit absolut spitze. Über 106.000 Schülerinnen und Schüler nehmen jährlich daran teil – Tendenz steigend. Statt diese Erfolge anzuerkennen, stellen Sie Forderungen, die weit über das hinausgehen, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen möglich oder geboten ist. Insbesondere ignorieren Sie völlig die seit Jahren steigenden Defizite in den Basiskompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler.

Denn ob IGLU, IQB oder PISA – die Ergebnisse sind uns ein Alarmsignal. Wir brauchen verbindliche Lesezeiten, Lesepatenschaften und gezielte Förderung der Basiskompetenzen: Lesen, Schreiben und Rechnen. Und genau hier setzt die Landesregierung und allen voran unsere Schulministerin Dorothee Feller an. Und das ist genau richtig!

In Ihrem Antrag fordern Sie den flächendeckenden Ausbau bilingualer Angebote und eine enge Verzahnung des HSU mit dem Regelunterricht – von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II. Doch es bleibt völlig unklar, wie dies umgesetzt werden soll. Wie soll der HSU in ohnehin übervolle Stundenpläne integriert werden? Welche Fächer müssten dafür weichen? Was soll in den Regelunterricht integriert werden – der HSU oder bilingualer Fachunterricht in Herkunftssprachen? Sie bleiben diese Antworten schuldig.

Wir setzen dagegen auf Eigenverantwortung, Freiwilligkeit und den Fleiß der Schüler, auch am Nachmittag den herkunftssprachlichen Unterricht zu besuchen. Vorgaben oder die Verzahnung des herkunftssprachlichen Unterrichts mit dem Regelunterricht können hingegen zur Überfrachtung führen. Der dringend gebotenen Fokussierung auf Basiskompetenzen und der Entlastung der Lehrkräfte leisten Sie damit einen Bärendienst.

Und auch die Umsetzung individueller Nachteilsausgleiche bei zentralen Abschlussprüfungen, falls der Prüfling nicht muttersprachlich Deutsch spricht, ist letztlich eine Absenkung der Qualitätsstandards durch die Hintertür. Im Ergebnis führt dies zu einer mangelnden Vergleichbarkeit der Abschlüsse, wie auch unserer Expertenanhörung ergab. Ich sage Ihnen daher ganz deutlich: Was wir brauchen, ist mehr Qualität und mehr Leistung – und keine Absenkung unserer Standards!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, was in Städten wie Duisburg oder Dortmund sinnvoll sein mag, ist in kleineren Städten nicht abbildbar, weil die Nachfrage schlicht nicht vorhanden ist. Ihr zentralistischer Ansatz ignoriert diese Unterschiede. Die schwarz-grüne Zukunftskoalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, den HSU zu stärken. Allerdings nicht mit der Brechstange, sondern gezielt und effizient. Über gezielte und umsetzbare Maßnahmen zur Optimierung des bereits umfangreichen Förderkatalogs kann man nachdenken, aber nicht mit der Methode „Gießkanne“ übers Land hinwegfegen.

Denn ob das Landesprogramm „Grundschulbildung stärken durch HSU“, der neu eingeführte Studiengang „Deutsch für Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ an der Universität Duisburg-Essen oder das Projekt Mulingula, welches literarisches Lernen, Mehrsprachigkeit und sprachbildenden Unterricht verbindet – in NRW existiert bereits ein breites und durchdachtes Angebot.

Ihr Antrag dagegen verwässert die qualitativen Standards und die Vergleichbarkeit von Abschlüssen, überfrachtet die Schulen, ignoriert die bereits vorhandenen erfolgreichen Angebote und verschiebt den Fokus weg von den Basiskompetenzen. Deshalb folgen wir der Beschlussempfehlung des Ausschusses und lehnen Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.