Klaus Voussem zu TOP 12 „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen“

24.01.2024

Sehr geehrte Frau Präsidentin / sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit Erlaubnis des Präsidenten/der Präsidentin möchte ich gerne den Ausschwitz-Überlebenden und ehemaligen Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees Noach Flug (1925-2011) zitieren:

„Die Erinnerung ist wie das Wasser:
Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in
neue Räume und zu anderen Menschen.
Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und
Orte, Gerüche und Geräusche.
Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für
bearbeitet oder für beendet zu erklären.
Auch deshalb wollen wir als Opfer und sollen wir als Opfer
nicht vergessen werden.
Auch die heutige und die zukünftige Welt müssen wissen wie das Unrecht,
die Sklaverei der Zwangsarbeit und der Massenmord organisiert wurden und wer die Verantwortlichen dafür waren.
Dies soll immer wieder dokumentiert und den jungen Menschen
erklärt werden: Zur Erinnerung an uns und unsere ermordeten Angehörigen und zu ihrem Schutz in ihrer Zukunft. […].“

 

Meine Damen und Herren,

Israel und jüdische Menschen sind auch rund 80 Jahre nach dem Holocaust Zielscheibe unerbittlichen und unversöhnlichen Hasses.

Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland auch heute noch Angst um ihre Sicherheit haben,
dass sie ihren Glauben nicht immer offen zeigen können, ohne Sorge vor Anfeindungen und Angriffen zu haben.

Die Gespenster der Vergangenheit lassen sich nicht einfach verscheuchen,
denn sie nähren sich aus Angst und Hass und zeigen sich immer häufiger – und selbstverständlicher.

Zu den Opfern zu gehören ist grauenvoll –
aber noch schlimmer ist es, stillschweigend zu verharren oder
zu den Tätern zu zählen.
„Nie wieder!“ ist heute – ohne Wenn und Aber.
Wir alle müssen an die Vernunft der Menschen appellieren,
denn nur gemeinsam können wir diese grausamen Gespenster vertreiben.
Nie wieder steht auch für eine Einigkeit aus gestern, heute und morgen. Die Erinnerung an den Holocaust muss weiterhin eine Grundkonstante in unserer Gesellschaft und ein Staatsauftrag sein.
Wir dürfen und werden nicht akzeptieren,
dass mehr als 75 Jahre nach der Befreiung von dem nationalsozialistischen, menschenverachtenden Terror-Regime
Hass und Menschenfeindlichkeit immer noch in Teilen unserer Gesellschaft
Anklang, Zustimmung und neuen Nährboden finden.
Es ist ein Weckruf, dass seit dem 07. Oktober 2023 allein in Nordrhein-Westfalen 260 antisemitische Straftaten erfasst wurden.
Solche Erkenntnisse müssen uns alarmieren und
sind Anlass, noch entschiedener gegen Antisemitismus vorzugehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und in allen gesellschaftlichen Milieus zu finden.
Diesem können wir nur gemeinsam entgegentreten,
denn er geht uns alle an.
Der Schutz jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen hat höchste Priorität.
Antisemitische Straftaten müssen mit den Mitteln des Rechtsstaats konsequent geahndet werden!
Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen muss auch zukünftig durch geeignete Maßnahmen nicht nur gefördert,
sondern auch weiter gesichert werden.
Niemals darf sich wiederholen,
was in diesen zwölf Jahren unserer Geschichte geschehen ist, was Deutsche getan haben –
was sie haben geschehen lassen und wozu sie geschwiegen haben.
Diese Lehre bleibt fundamental für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verfassungsordnung.
Diese Verantwortung muss auch von den nächsten Generationen übernommen und weitergetragen werden.
Die Erinnerung an die Shoah, den Holocaust, muss mit vereinten Kräften aufrechterhalten werden.
Die Arbeit der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und Museen brauchen auch zukünftig unsere Unterstützung, um sich weiterentwickeln zu können.
Die Erinnerungen an das schreckliche Geschehen müssen in uns lebendig bleiben. Dies sind wir den Opfern schuldig.
Die Antisemitismusbeauftragte braucht auch zukünftig unsere volle Unterstützung und muss in ihrer Arbeit weiter gestärkt werden.
Im Bereich der Justiz, Sicherheitsbehörden, im Bildungsbereich und der öffentlichen Verwaltung muss die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit in Aus-, Weiter- und Fortbildung weiter gefördert werden.
Unsere Erinnerung muss uns als Leitlinie auf dem Weg in die Zukunft dienen.
Sie sichert Werte und gibt diese weiter.
Im Bereich der politischen Bildung muss deshalb auch zukünftig weiterhin ein Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus gelegt werden.
Gerade die jüngere Generation braucht einen zeitgemäßen Zugang zu der Thematik, um in Zukunft verantwortungsvoll handeln zu können.
In dieser Debatte darf man aber auch andere Formen der Menschenfeindlichkeit bzw. Diskriminierung
oder auch Verschwörungsmythen als Nährboden
nicht außen vorlassen.
Ein besonderer Fokus muss neben den Juden auch auf Sinti und Roma gesetzt werden,
der in der historischen Betrachtung oft ein wenig zu kurz kommt.
Die sogenannten „Zigeuner“ wurden von den Nationalsozialisten wie die Juden ausgegrenzt, entrechtet und verfolgt.
Wir haben die historische Verantwortung für den Schutz und die Förderung jüdischen Lebens und des Lebens von Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen.
Sie stellt unseren Kompass für das Wirken und Handeln der nordrhein-westfälischen Landespolitik.
Nur so können wir unserem Anspruch auch wirklich gerecht werden:
Nie wieder ist jetzt!

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