
Anrede,
im November hat die Landesregierung den heute zur Abstimmung stehenden Glückspielstaatsvertrag im Landtag eingebracht. Schon damals war uns bewusst, dass darin nicht alle Fragen beantwortet werden können, die sich im Zusammenhang mit dem Glücksspiel heute und in Zukunft stellen. Da die Veränderung die einzig verlässliche Konstante gesellschaftlichen Lebens ist, bedarf es der regelmäßigen Weiterentwicklung. Das gilt auch für die Regulierung der Glückspiele
Es ist das Wesen dynamischer technischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Entwicklungen, dass wir immer wieder alles auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls die Rahmensetzungen neu justieren müssen. Das ist dann die Aufgabe einer guten Gesetzgebung. Panta rhei – alles fließt. Das wussten schon die alten Griechen.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: hätte Carl Benz nicht 1885 das erste praxistaugliche Automobil entwickelt, dann wäre kein ausgefeiltes und immer wieder zu ergänzendes Straßenverkehrsrecht nötig.
Wir brauchen ein ausgewogenes Haftungsrecht bei Schäden, wir regeln das Verhältnis zu anderen Verkehrsteilnehmern, wir schaffen Anreizsysteme für alternative Antriebe, steuerliche Regelungen und vieles mehr. Wenn das autonome Fahren Wirklichkeit geworden ist, dann stellen sich uns ganz neue Fragen, die von uns beantwortet werden müssen. Für die Pferdekutschen der früheren Zeit hätte man das jedenfalls nicht gebraucht. Und trotzdem möchten die wenigsten von uns zurück in das Zeitalter der Pferdekutschen.
Auch die dynamische Weiterentwicklung des Glücksspielrechts ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie wir mit den Veränderungen, die wir Menschen selbst schaffen, umgehen – und umgehen müssen.
Da hilft es nicht weiter, wenn wir uns bei einem Staatsvertrag nur mit denjenigen Themen beschäftigen, die wir immer schon geregelt haben, neue Fragen jedoch ausklammern. Deshalb ist es richtig, dass wir den drastisch gewachsenen Markt im Internet erstmals in diesem Staatsvertrag berücksichtigen.
Das betrifft sowohl den Bereich des Online-Casinos als auch den der Online-Wetten, Online-Lotterien und vieles mehr. Man mag bedauern, dass es immer mehr Menschen gibt, die solche Angebote attraktiv finden und nutzen. Aber wenn es denn schon so ist, dann müssen wir uns auch um angemessene Regeln für den Umgang mit dem Glücksspiel im Internet bemühen.
Anders ausgedrückt: das Problem der weltweit drastisch wachsenden, in Deutschland nicht legalen Angebote im Onlinemarkt wird genauso wenig verschwinden, wie das Automobil Anfang des letzten Jahrhunderts.
Schon in „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt sagt Möbius: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht zurückgenommen werden.“
Die sogenannten terrestrischen Angebote aus Spielcasinos, Spielhallen, Wettannahmestellen und Lotterieannahmestellen werden sich immer mehr ins Internet verlagern. Auch dann – oder besser gesagt: gerade dann, wenn wir einfach wegschauen.
Wegschauen ist keine Lösung. Hinschauen, sinnvoll regeln, ordentlich beaufsichtigen und Qualitätsstandards einfordern, das ist die Aufgabe des Staates in der Sozialen Marktwirtschaft.
Die 16 Bundesländer bemühen sich bei der Erarbeitung von Staatsverträgen im besten föderalen Sinne um einheitliche Rahmensetzungen für ein wichtiges Thema der Landespolitik. Das ist in einem langen, einem anstrengenden Prozess unter Führung der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Berlin gelungen. Es ist an dieser Stelle der geeignete Ort, dem Chef der Staatskanzlei, Herrn Staatssekretär Liminiski und seinen Fachleuten sehr herzlich dafür zu danken, dass ein wichtiger und großer Schritt in die Zukunft gelungen ist. Viele haben es vor drei Jahren nicht für denkbar gehalten, dass dies gelingen könnte.
Wir gehören heute zu den beiden letzten Ländern, die noch ihre Zustimmung zu diesem Staatsvertrag geben müssen. Alle anderen Landesparlamente haben inzwischen zugestimmt. Der Rechts¬rahmen für die noch weiter zu beratenden Landesgesetze ist damit gegeben. Und er ist auch europarechtlich abgesichert. Genau das hat mehr als ein Jahrzehnt gefehlt, um wirksame Schritte gegen illegale Anbieter von Sportwetten, Onlineangeboten und vielem mehr unternehmen zu können. Deshalb ist die Zustimmung zu diesem Vertrag richtig und notwendig.
Im Rahmen des Beratungsverfahrens im Hauptausschuss sind eine Reihe von Fragen vertieft beraten worden, die alle berechtigt sind. Ich möchte allerdings an dieser Stelle alle diejenigen Fragen ausdrücklich ausklammern, die Gegenstand der weiteren Ausführungsgesetze des Landes sein werden. Denn diese stehen heute nicht zur Abstimmung.
Das Thema der Glücksspielaufsicht hat den Hauptausschuss in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Wir haben uns dazu – vor Corona und der Verabschiedung des Staatsvertragsentwurfes durch die Ministerpräsidentenkonferenz – bei einem sehr intensiven Arbeitsbesuch in Kopenhagen kundig gemacht. In Dänemark gibt es eine gut auf einander abgestimmte Regulierung durch Gesetzgebung, Staatsaufsicht und Selbstverpflichtungen der Anbieter. Im Gegenzug sind viele Angebote, für die wir erst in den nächsten Monaten in Deutschland den rechtlichen Rahmen haben, seit Jahren legal – vom Online-Casino bis zu Sportwetten.
Es kommt aus meiner Sicht bei der Umsetzung des neuen Staatsvertrages in Deutschland darauf an, auch in der Praxis dieses Zusammenspiel herzustellen. Denn wir wollen die grundlegenden Ziele des Staatsvertrages auch praktisch umsetzen.
Dazu gehört auch die Kanalisierung des Glücksspiels und damit zugleich den Schutz der Spieler vor illegalen, ausbeuterischen, Sucht verstärkenden Anbietern und Angeboten. Dabei ist zweierlei festzuhalten. Zum einen: es gibt beim Online-Glücksspiel nicht das, was wir uns alle zurückwünschen würden: eine „Stunde Null“. Ob wir es wollen oder nicht: der in Deutschland nicht legale Markt wächst fast täglich, und zwar in rasantem Tempo. Und das seit einigen Jahren. Zum anderen: die Länder müssen die Regulierungsinstrumente aufgrund des Staatsvertrages möglichst zügig schaffen und ausbauen. Aber vor Inkrafttreten des Vertrages fehlt dazu die rechtliche Grundlage. Dieses Dilemma werden wir als Gesetzgeber ertragen müssen, auch wenn es uns nicht glücklich macht.
Ein weiteres Thema möchte ich an dieser Stelle mit Blick auf die Zukunft ausdrücklich ansprechen: Es gibt aus den letzten Jahren zahlreiche Hinweise, dass viele in anderen Staaten der EU und weltweit aufgebauten Online-Angebote nicht nur nach unseren deutschen Maßstäben formell illegal waren und sind. Vielmehr dienen solche Angebote im Zusammenspiel mit anderen Finanztransaktionen weltweit auch der Verschleierung von illegalen Geldströmen. Ohne es zu wollen, werden die Online-Spieler damit zu Helfern bei der Organisation globaler Geldwäsche. Es ist auch deshalb richtig, in Deutschland sehr schnell legale Angebote zu schaffen. Denn das macht es leichter, konsequent gegen illegale Machenschaften mit Wirkungen auf Deutschland vorzugehen.
Das wird – neben einer wirksamen Glücksspielaufsicht – eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben von Bund und Ländern sein. Dazu braucht es enge Vernetzung von Behörden sowie einen genauen Blick auf die dahinter liegenden Strukturen krimineller Netzwerke.
Sofern dazu auch eine Verstärkung der personellen und organisatorischen Strukturen der neuen Glücksspielaufsicht der Länder erforderlich ist, muss dies auch aus den absehbar erhöhten Einnahmen der Länder durch die neue Glücksspiel¬regulierung finanziert werden.
Die vielfältigen Möglichkeiten, im Internet Spiele auch ohne Altersbeschränkung zu spielen, bereitet uns allen Sorgen. Ein wirksamer Jugendschutz setzt voraus, dass es trotz aller praktischen Kontrollprobleme ein Mindestmaß an Rechtsklarheit darüber gibt, wie Kinder und Jugendliche vor Angeboten geschützt werden, die ihrem Lebensalter und ihrer Entwicklung nicht angemessen und zuträglich sind. Hier spielt das Problem der „Lootboxen“ eine zunehmende Rolle. Ein erster Schritt der Regulierung ist kürzlich durch den Bund im Jugendmedienschutzgesetz erfolgt. Ob das auf Dauer ausreichen wird, kann man durchaus bezweifeln. Wir können jedenfalls festhalten: in der Abgrenzung der Frage, was Glücksspiel ist und was nicht, sind viele Länder in Europa derzeit auf der Suche nach der richtigen Antwort. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir in Deutschland eine gute, umsetzbare und sinnvolle Lösung finden.
Ich bin überzeugt, dass die Arbeit an einer neuen Glücksspielregulierung sinnvoll ist. Wir müssen uns mit der Erkenntnis abfinden, dass nichts auf Erden endgültig ist. Dann dürfen wir mit dem erreichten Zwischenschritt auch einmal für kurze Zeit zufrieden sein, ohne uns auf dem Ergebnis auszuruhen.
Die CDU-Fraktion wird daher dem vorliegenden Staatsvertrag zustimmen.
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