Oliver Krauß zu TOP 8 "Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs: Solidarisches Bürgerticket als lokales Modellprojekt ermöglichen“

27.08.2020

Anrede
Die Landespolitik meint es ernst mit der Mobilitätswende. Das bedeutet beispielsweise mehr Gelder für den Fahrradverkehr, mehr Förderung für alternative Antriebsformen, ein deutlicher Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere im ländlichen Raum. Hier werden sowohl Schnellbuslinien gefördert als auch neue, innovative Konzepte.
Selbst das Ticketangebot haben wir mit der Einführung des AzubiTickets entscheidend verbessert.
Für eine erfolgreiche Mobilitätswende muss der Öffentliche Personennahverkehr allerdings nicht nur attraktiv sein – er muss auch finanziert werden. Und die Finanzierung des ÖPNV stand schon vor der Pandemie vor enormen Herausforderungen.
An dieser Stelle möchte ich all‘ jenen ÖPNV-Kunden danken, die auch während des Lockdowns weiterhin ihre Tickets bezahlt haben, ohne Bus und Bahn zu nutzen. Denn die weggebrochenen Einnahmen haben nicht nur die öffentlichen Verkehrsunternehmen getroffen, sondern vor allem zahlreiche private Busunternehmen, die im Auftrag der öffentlichen Hand Linien- und Schülerverkehre fahren.
Die Verteilung der Einnahmen aus dem Öffentlichen Personennahverkehr führt immer öfter zu Unstimmigkeiten unter den Verkehrsunternehmen. Wir sollten daher die Solidargemeinschaft bei der Verteilung der Einnahmen nicht in Frage stellen. Heute können wir noch nicht abschließend beurteilen, wie sich die Pandemie auf das Arbeits- und Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Wer als ÖPNV-Kunde nun öfter im Home-Office arbeitet, wird entsprechend seltener Bus und Bahn nutzen.
Wir müssen uns also grundsätzlich darauf verständigen, wie wir den ÖPNV in unserem Land künftig finanzieren. Wie die Antragsteller darauf kommen, dass die Fahrgäste zu rund 70 Prozent den ÖPNV finanzieren und der Rest durch die Kommunen getragen wird, konnte ich leider nicht klären. In jedem Fall wird regelmäßig über alternative Finanzierungsmöglichkeiten nachgedacht.
Dankenswerterweise haben in Wuppertal Bürgerinnen und Bürger mit Unterstützung verschiedener Akteure das Modell eines Solidarischen Bürgertickets erarbeitet. Sowohl das Plenum als auch eine Enquetekommission haben sich bereits in der vergangenen Wahlperiode mit diesen Fragestellungen befasst.
Fest steht: Die Menschen sind grundsätzlich bereit, für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel einen Preis zu zahlen. Angebotsqualität, Sicherheit und Sauberkeit müssen aber stimmen.
Auch bei Einführung der ÖPNV-Finanzierung per Nahverkehrsbeitrag bekommen die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf Nutzung der Öffentlichen Verkehrsmittel. Die Kosteneinsparungen wären geringer als erwartet. So bräuchten wir weiterhin eine Vertriebsstruktur für Fahrscheine. Kontrollen können nicht grundsätzlich entfallen. Nicht-Beitragszahler erhalten keine „Freifahrt“. Und die Einkommensverhältnisse müssten auch geprüft werden.
Sie führen weiterhin aus, dass bei einer allgemeinen Umlage genügend finanzieller Spielraum für eine qualitative und quantitative Ausweitung des ÖPNV-Angebots wäre.
Oftmals lässt die Infrastruktur jedoch eine Ausweitung nicht zu: Wir haben z. B. in Nordrhein-Westfalen Eisenbahnstrecken, die als überlastet eingestuft worden sind. Hier fehlen schlicht und ergreifend Gleise.
Darüber hinaus suchen die Verkehrsunternehmen händeringend geeignetes Personal, vor allem zum Führen von Bussen und Bahnen. Ohne Fahrer keine Busse.
Meine Damen und Herren,
das vorgelegte Rechtsgutachten kann die rechtlichen Bedenken gegen die Einführung des lokal begrenzten solidarischen Bürgertickets nicht ausräumen. Hier sei an die Urteile oberster Bundesgerichte erinnert.
Ebenso muss der Personenkreis derjenigen, die die Abgabe zu leisten hätten, rechtssicher bestimmt werden. Wann genau bin ich denn „a u s r e i c h e n d“  an den ÖPNV angebunden?
Aus meiner Sicht ist das KAG auch nicht der richtige Platz für eine solche Regelung.
Unabhängig von den rechtlichen Bedenken einer Zwangsabgabe kann eine Insellösung nur für eine einzige Stadt keine Lösung sein.
Das haben wir jüngst erlebt bei den sogenannten „Lead cities“. Auch die Bundesstadt Bonn war eine Modellstadt zur Reduzierung der Schadstoffwerte in der Luft. Dort wurde nach Wiener Vorbild ein ÖPNV-Ticket für 365 Euro im Jahr eingeführt, das nur im Stadtgebiet Bonn gilt. Diese reine Insellösung war dann auch der Grund, warum die Nachfrage nach diesem Ticket deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Und auch die Wuppertaler Bürgerinitiative liefert keine Antwort für eine Nutzung des solidarischen Bürgertickets über Wuppertal oder gar über die Grenzen des Verkehrsverbundes hinaus.

Sehr geehrter Herr Kollege Klocke,
Ihre Fraktion hat hier in diesem Hause noch am 05.04.2017 erklärt. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Bündnis 90/Die Grünen setzen beim Thema „Mobilität“ auf gute Angebote und Freiwilligkeit – jederzeit, überall, einfach und sozial gerecht, in ganz Nordrhein-Westfalen.“
Freiwillig, meine Damen und Herren, ist ein Bürgerticket aber nicht. Es verpflichtet sogar Menschen zum Bezahlen, die sich schon heute aus Überzeugung umweltfreundlich fortbewegen – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – oder sonst keinerlei Bedarf an einem ÖPNV-Ticket haben. Diesen Menschen nutzt auch nichts, dass Sie eine soziale Staffelung bei der Höhe der Abgabe einbauen wollen.
Lassen Sie uns gemeinsam nicht nur die Finanzierung des ÖPNV sichern, sondern auch das ÖPNV-Angebot verbessern: Mehr Fahrten – auch in den späteren Abendstunden und am Wochenende, Reaktivierung von Eisenbahnstrecken, Erschließung von Wohnvierteln und des ländlichen Raum mit neuem ÖPNV. Dann kann die Mobilitätswende gelingen.
Gerne stimmen wir der Überweisung in die Fachausschüsse zu. In den Beratungen oder womöglich im Rahmen einer Anhörung können wir dann die offenen Fragen diskutieren.
Vielen Dank.

Themen

Autoren