Ralf Nolten zu TOP 4 "Wasser in NRW nachhaltig nutzen und schützen“

13.02.2020

Der personenbezogene Wasserverbrauch sinkt, die öffentliche Wasserabgabe liegt mit gut 1 Mrd. m³ um 1/4 niedriger als noch vor einer Generation. Die Qualität des Wassers aus der öffentlichen Leitung ist so gut wie nie, die Gewässerreinigung und -renaturierung schreiten weiter voran. Die im Sommer voraussichtlich verabschiedete Trinkwasserrichtlinie der EU enthält Vorgaben, wie sie heute durchaus schon erfüllt sind. Alles gut?

Nicht ganz. Es gibt noch Handlungsbedarf. Das war schon vor der Großen Anfrage bekannt. Gleichwohl bin ich für sie dankbar. So werden verschiedenen Themen der Wasserpolitik, die sehr unterschiedlich im öffentlichen Interesse stehen, in der Breite angesprochen.

Zentral ist sicherlich die Wasserwirtschaft. Haben wir gesichert die Mengen, die wir für unseren Lebensstandard und Wohlstand brauchen? Niederschlagsmengen und -verteilung verändern sich durch den Klimawandel. Die Frühsommerdürre der letzten beiden Jahre könnte zum Regelfall werden. Wir haben neben dem Trinkwasserbedarf der Haushalte die Anforderungen von Industrie und zunehmend der Landwirtschaft. Freizeitnutzung, Energieerzeugung, Hochwasserschutz und Artenschutz müssen berücksichtigt werden.
1/3 des Wassers gewinnen wir aus Tiefbrunnen, 1/6 aus Talsperren oder der fließenden Welle und knapp die Hälfte aus Brunnen, die Uferfiltrat und angereichertes Grundwasser fördern. Neben wenigen Großen wie Gelsenwasser gibt es eine große Zahl mittlerer und kleinerer, zumeist kommunaler Versorger und über 50.000 private Hausbrunnen. Das hat Vorzüge im Bereich des Zugriffs auf die wichtigste Ressource, aber u. U. auch Nachteile beim Zustand des Verteilnetzes und den Aufbereitungsmöglichkeiten.

Örtlich bedeutsam sind auch die Brauch- und Kühlwasserentnahmen. 1.800 Betriebe ziehen über 3,5 Mrd. ³ aus eigenen Gewinnungsanlagen, hiervon 2/3 aus Oberflächengewässern. Will NRW Industrieland bleiben, so ist – bei feststellbaren und erfolgreichen  Optimierungsbemühungen der Nutzer – ein Inanspruchnahme auch zukünftig zu gewährleisten.

Bei einem knappen Wasserdargebot bin ich skeptisch, ob Verhaltensempfehlungen und Verbote z. B. des Rasensprengens ausreichen. Neben Notverbundleitungen, die einen überregionalen Ausgleich herbeiführen können, bedarf es einer besseren Wasserernte: in privaten Regenwasserzisternen, in Stauräumen im Wurzelbereich der Straßenbäume. Hochwasserschutz mittels Flutmulden, Rückhaltebecken, Abschlägen und Notwasserwegen könnte mit Bevorratung verbunden werden.

Im LEP sind acht weitere Talsperrenstandorte als Ziel der Raumplanung gesichert. Ein Neubau wird seit vielen Jahren nicht mehr betrieben und stellt auch einen erheblicher Eingriff in Natur und Landschaft dar. Ein Vorhalten macht aber nur Sinn, wenn ich zum Ziehen der Option bereit bin. Ein rascher Klimawandel könnte hierzu Anlass geben. Kapitel VII verweist auf die sich seit 30 Jahren deutlich nach unten bewegende Kurve der Grundwasserneubildungshöhe und auf die historischen Tiefststände an einem Fünftel der Grundwassermessstellen im Herbst 2018. Über die seit 2016 erforderlichen kommunalen Wasserversorgungskonzepte werden Problembewusstsein wie auch tatsächliche Problemlagen schneller erkannt werden. Das Abteufen neuer Brunnen, die Erschließung neuer Gewinnungsgebiete sind auch nicht ohne Risiken.

Auf die Konsequenzen eines fehlenden Verdünnungseffektes nitratbelasteter Grundwasservorkommen bei ausbleibenden Niederschlägen hebt der Fragensteller in Kapitel VII selbst ab. Landwirte vor Ort werden ihm beipflichten. Hier könnte ein Ansatzpunkt zur Entwicklung neuartiger Bewässerungssystem in technischer wie auch organisatorischer Hinsicht für die Landwirtschaft auf besten Böden in Regenschattengebieten gegeben sein. 

Vorsichtig bin ich bei dem von den Grünen vorgetragenen Kausalzusammenhang zwischen der Steigerung des Trinkwasserpreises und der Nitratbelastung der Wässer. Die Preissteigerungen waren über Jahre hinweg unterdurchschnittlich, liegen erst in den letzten Jahren leicht darüber.

Zur Bedeutung des herausgestellten Zusammenhangs: Die Antwort auf die Große Anfrage geht dezidiert auf Entwicklung und Umfang der Gewässerkooperationen und ihre Erfolgsgeschichte ein. Sie verweist auf Messstellen in 67 Kooperationsgebieten, bei denen der Nitrat-Schwellenwert früher über- und heute unterschritten wird. Insgesamt liegt bei 12 % der Messstellen in Kooperationsgebieten aktuelle Nitratwerte von mehr als 50 mg je Liter vor. Landesweit gilt dies für 14 % der Messstellen.
Zur Stilllegung von Brunnen kommt es aus den verschiedensten Gründen – die Nitratbelastung ist aber eher nachrangig als Ursache. Nur 0,9 % der Maßnahmen zur Nitratreduktion sind kostenrelevante Trinkwasser-Aufbereitungsmaßnahmen.

Die NRW-Koalition hat hierauf reagiert. Wir haben zum Haushalt 2019 Mittel für die Anschaffung von N-Sensoren und Gülledurchflussmessgeräten zur Verfügung gestellt. Im Haushalt 2020 findet sich erstmalig ein Titel mit fast 1,5 Mio. € im Ansatz für die Organisation von Kooperationen außerhalb von Wasserschutzgebieten. Die Kammerberatung der Betriebe hinsichtlich der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlichtlinie wurde ebenfalls auf fast 6 Mio. € verstärkt. Eine stärkere Kontrolle importierter Wirtschaftsdünger, Überlegungen zur Förderung der bedarfsgerechten überregionalen Gülleverteilung innerhalb von Nordrhein-Westfalen ergänzen diese Bemühungen.

Nun aber zu einem echten „Preistreiber“: Der in der Praxis oftmals kommunizierte Referenzwert für Netzerneuerungsraten liegt bei 1,5 % des Leitungsnetzes. Damit wird eine Nutzungsdauer von 70 Jahren unterstellt. In der Praxis liegt beim Benchmarking Wasser der Mittelwert bei WVU’s mit bis zu 3 Mio m³  Jahresförderung derzeit bei 0,8 %. Es wird von WVU’s berichtet, bei denen noch 10 % der Leitungen aus Gußeisen bzw. Asbestzement bestehen. Alte Leitungen bedeuten Leitungsbrüche und Wasserverluste. Eine Wasserverlustrate von 0,1 Kubikmeter Wasser je km Leitungslänge und Stunde bedeutet im ländlichen Bereich die Schwelle zu hohen Wasserverlusten, bei  Großstädten liegt dieser Wert doppelt so hoch. Der kaufmännische Verlust liegt bei der Verlustrate von 0,1 bei fast 10 %. Viele WVU’s nutzen die derzeit günstigen Refinanzierungskosten für die dringend nötige und lange fast sträflich vernachlässigte Netzerneuerung, die selbstverständlich nicht kostenneutral für den Endkunden ist. Belegt wird diese Sicht der Dinge durch die Ausführungen zum Investitionsstau in Kapitel VIII. Die neue EU-Trinkwasserrichtlinie wird diese Verluste, die deutschlandweit bei 12 % und im EU-Durchschnitt bei 25 % liegen, im Sinne der Nachhaltigkeit zu reduzieren suchen.

Sie wird auch Grenzwerte für Blei halbieren, für Bisphenol-A einen Höchstwert festlegen und beim Mikroplastikgehalt eine Überwachung einführen. Erst nach der Entwicklung zuverlässiger Messverfahren und valider Grenzwerte sollen Höchstwerte seitens der EU vorgegeben werden. Zu diesem Thema wie auch zu Mikroschadstoffen, multiresistenten Keimen haben wir hier in den vergangenen zwei Jahren schon Diskussionen geführt, die wir gerne im Ausschuss wieder aufnehmen können.

Generell unterstützen wir dabei den Ansatz der Landesregierung, von einer generellen Verpflichtung zum Bau einer sogenannten vierten Reinigungsstufe abzusehen. Vielmehr sollen einzelfallbezogen und risikoangepasst Anlagenerweiterungen im Rahmen der üblichen Ertüchtigung und auf der Grundlage abgesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu deren Wirksamkeit erfolgen. Die unterschiedlichen Konzepte von den Membranbioreaktoren, über die Aktivkohlefiltration bis hin zur Ozonung, zu Retentionsbodenfilter und UV-Bestrahlung werden im Bericht angeführt.

Zuzustimmen ist der Feststellung, dass die Trennung der Abwassergebühren in Anteile für Schmutzwasser und Niederschlagswasser Anreize geschaffen hat, das Niederschlagswasser in Gewässer abzuschlagen oder zu versickern. Folgerichtig haben wir im vergangenen Jahr dem Gesetz zur Anpassung der Abgabefreiheit bei der Einleitung von verschmutztem Niederschlagswasser unsere Zustimmung erteilt. Ob die finanziell sehr ungleich verteilten Lasten der Abwasseraufbereitung, die mit den Durchschnittwerten der Kreise und kreisfreien Städte in der Anlage I.8 bewusst oder unbewusst nicht annähernd abgebildet werden, vertretbar sind, bleibt eine in der kommunalen Familie latente und letztlich im GFG zu klärende Frage. Während in 2015 in der Stadt Schleiden 5,38 Euro für die Reinigung eines Kubikmeters Abwasser berechnet wurden, waren es in Köln nur 1,58 € – mehr als zwei Drittel weniger. Der Musterhaushalt in Schleiden zahlte 1.200 Euro, während der Kölner noch nicht einmal 500 zahlen musste. Die Abwassergebührenhilfe macht dabei zur Zeit weniger als ein halbes Promille des GFG-Volumens aus.

Kommen wir noch kurz auf die Konsequenzen des Abbaus von energetischen und nicht-energetischen Rohstoffen auf unsere Wasserressourcen zu sprechen. Mit großem Interesse werden auch wir die abschließende Bewertung des Pilotversuchs mit einer PCB-Elimination aus dem gehobenen Grubenwasser an den Standorten Haus Aden und Ibbenbüren verfolgen wollen und regen eine Befassung in unserem Fachausschuss an. Mit möglichen Änderungen beim Abbauverbot oberflächennaher Kiese und Sande in Wasserschutzgebieten  werden wir uns intensiv bei der Novelle des Landeswassergesetzes beschäftigen. An Vorabspekulationen und Bewertungen möchte ich mich heute nicht beteiligen.

Abschließend noch zur Gewässerentwicklung. Auf Probleme und Lösungsansätze haben wir im November mit unserem Antrag zum Wanderfischprogramm hingewiesen. Flächenverfügbarkeit, Finanzierung und Zeitplanung sind die kritischen Punkte. Dies wird auch bei der vorliegenden Drucksache deutlich. Ob allerdings die Mediations-, Flurbereinigungs- und Genehmigungsverfahren wirklich unvorhersehbar die Umsetzung verzögern, lasse ich offen. Wir brauchen eine stärkere Beteiligung der Grundeigentümer, der Landbewirtschafter vor Ort. Wir müssen stärker über die Verbindung des Eingriffsausgleichs mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie nachdenken.

Fazit: die Antwort auf die Große Anfrage gibt Raum für zahlreiche interessante und nachmittagsfüllende Diskussionen.