Rüdiger Scholz MdL zu TOP 14

20.09.2018
Leistungen deutschstämmiger Zugewanderter, der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler wertschätzen - unsere und ihre Gesschichte lebendig halten

Anrede

Es ist erst wenige Tage her, dass sich der 1. September 1939 gejährt hat, der Tag, an dem von deutschem Boden der schrecklichste Krieg der Geschichte ausging. An dessen Ende hatten rund 50 Millionen Menschen ihr Leben verloren und 6 Millionen jüdische Bürger waren Opfer systematischer Ermordung geworden.

Am Ende dieses Krieges schlug das Grauen auf Deutschland zurück. Besonders hart traf es dabei die Bevölkerung in den damaligen deutschen Ostgebieten. 12 Millionen Menschen mussten zwangsweise ihre angestammte Heimat verlassen. Viele von ihnen wurden Opfer von Plünderungen, Vergewaltigungen und anderen Gewalttaten. Über zwei Millionen Menschen fanden dabei den Tod.

Und wenn die Überlebenden nach einer langen Odyssee dann den Westen erreichten, mussten sie feststellen, dass sie nicht immer willkommen waren. Trotzdem packten sie an, schufen sich ein neues Zuhause und beteiligten sich am Wiederaufbau Deutschlands. Flüchtlinge und Vertriebene haben einen wesentlichen Beitrag zum Wirtschaftswunder auch in Nordrhein-Westfalen geleistet.

Dafür gebührt ihnen noch heute unser Dank.

Ebenfalls vor wenigen Tagen jährte sich zum 70. Mal der Tag, an dem in Bonn der Parlamentarische Rat seine Arbeit aufgenommen hat. Schon bereits damals haben sich herausragende Persönlichkeiten aus dem Vertriebenenbereich an der Schaffung der Grundlage für ein demokratisches Deutschland beteiligt.

Ich erinnere beispielhaft an den Sozialdemokraten Willibald Mücke aus Buchenhöh in Oberschlesien. Auf ihn geht die in Artikel 3 Absatz III des Grundgesetzes enthaltene Wendung zurück, dass niemand "wegen seiner Heimat und Herkunft" benachteiligt werden darf. Sein oberschlesischer Landsmann und späterer Vizekanzler Hans-Christoph Seebohm aus Emanuelssegen entwickelte schon damals gedanklich, aufbauend auf der Idee des Föderalismus, den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Errichtung eines europäischen Staatenbundes. Nicht Grenzverschiebung sah er als Ziel, sondern deren Aufhebung.

Sie, sowie Paul Löbe, Gerhard Kroll und andere haben ihren Beitrag für ein demokratisches Deutschland geleistet.

Trotz oder gerade wegen der Greul und Schrecken der Flucht und Vertreibung waren es die Vertriebenen, die mit ihrer Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 die Grundlage für Verständigung und Versöhnung der Völker in Europa gelegt haben, indem sie auf Rache und Vergeltung verzichtet und erklärt haben, am Aufbau eines friedlichen und geeinten Europa mitzuwirken.

Nach dem Zusammenbruch der Systeme im Osten Europas kamen viele deutsche Aussiedler und Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und den Staaten Mittelosteuropas in die Heimat ihrer Vorfahren. Sie sind heute überdurchschnittlich gut integriert.

Sehr geehrte Damen und Herren,
dass das Thema Flucht und Vertreibung immer noch gegenwärtig ist, zeigt die von der Großen Koalition 2015 beschlossene Entschädigung für zivile deutsche Zwangsarbeiter. War man anfangs von weniger als 20.000 noch lebenden betroffenen Personen ausgegangen, haben bis Ende vergangenen Jahres rund 45.000 Betroffene einen Antrag auf Entschädigung gestellt. Für Hunderttausende kam diese symbolische Anerkennung in Höhe von 2.500 Euro für ihr erlittenes Leid zu spät, weil es leider 70 Jahre gedauert hat, bis man sich zu dieser Entschädigung durchgerungen hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich die besondere Verantwortung der Politik gegenüber den heimatvertriebenen aber auch heimatverbliebenen Deutschen hervorgehoben. Der Auftrag gemäß § 96 BVFG bleibt daher weiterhin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im Koalitionsvertrag der NRW-Koalition wird deshalb der Beitrag, den die deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler für den Aufbau unseres Landes geleistet haben, besonders gewürdigt. Daraus ergeben sich folgende Aufgaben:
Erstens: Wir brauchen eine angemessene und lebendige Erinnerungskultur

In einer Zeit, da die Erlebnisgeneration abtritt, muss das Wissen über Flucht, Vertreibung und das kulturelle Erbe der ehemaligen deutschen Siedlungsgebiete auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Immerhin hat das Wirken der Menschen aus dem ehemaligen deutschen Osten über Jahrhunderte auch Spuren in Nordrhein-Westfalen hinterlassen. Das wohl bekannteste Werk ist die Fertigstellung des Kölner Doms nach den Plänen des oberschlesischen Architekten Ernst Friedrich Zwirner.

Erinnerungskultur kann aber nur durch eine stärkere Behandlung der Thematik in der Schule und der außerschulischen Bildungsarbeit gelingen. Dazu müssen Flucht und Vertreibung in der Lehrerfortbildung und den Unterrichtsmaterialien eine entsprechende Berücksichtigung finden. Auch können, so lange sie noch leben, Zeitzeugen von dem damaligen Geschehen berichten. Verbunden werden kann dies mit Fahrten zu Gedenkstätten, zum Beispiel zu ehemaligen NKWD-Lagern, in denen viele Zwangsarbeiter ihr Leben verloren haben.

Zweitens: Wir müssen Vertriebene und Aussiedler als Brücken nach Europa stärker nutzen

Heimatvertriebene, Heimatverbliebene und Aussiedler sind durch ihre weitgehende Zweisprachigkeit sprachliche und menschliche Brücken zu unseren Nachbarn in Ost- und Südosteuropa. Daher sollte auch der Kontakt zu den Heimatverbliebenen unter Einbindung der Heimatvertriebenen, der Aussiedler und Spätaussiedler gestärkt werden. Bei Besuchen der Landesregierung in den Herkunftsländern sollten folgerichtig auch Vertreter unserer Patenlandsmannschaften der Oberschlesier und der Siebenbürger Sachsen als Experten für ihre Herkunftsgebiete eingebunden werden.

Drittens: Wir müssen die Eingliederung der Spätaussiedler weiter fördern und soziale Problemlagen abwenden

Wichtigster Punkt hierbei ist, dass wir Möglichkeiten zur Anerkennung für die im Ausland erworbenen Schul- und Berufsabschlüsse weiter verbessern. Die Zahl der Menschen, die unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten, ist zu hoch. Dadurch entsteht Frustration.

Schließlich müssen wir uns um das Thema Altersarmut kümmern. Auch wenn wir als Land hier keine Gesetzgebungskompetenz haben, sollten wir uns dafür stark machen, dass die deutlichen Nachteile für Spätaussiedler in der Rentenversicherung abgebaut werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Thematik der Vertriebenen und Aussiedler ist nach Jahrzehnten der Vernachlässigung wieder in der Mitte der Politik angekommen. Mit Heiko Hendriks hat am 1. Februar der Beauftragte für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen, Spätaussiedlern und Aussiedlern der Landesregierung seine Tätigkeit aufgenommen. Mit ihm haben die Landsmannschaften, Verbände und Vereine einen zentralen Ansprechpartner und eine starke Stimme.

Die NRW-Koalition nimmt sich nun auch der Themen der Zukunft an.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

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