Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)

06.04.2017
Heiko Hendriks MdL, Sprecher des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses NSU

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her¬ren! Heute legen wir dem Parlament gemeinsam den Abschlussbericht eines ganz besonde¬ren Untersuchungsausschusses vor. Dass wir dies gemeinsam machen, ist meines Erachtens nicht nur ein gutes Zeichen, sondern bei der parlamentarischen Untersuchung rechtsterroris¬tischer Morde auch absolut notwendig. Vorab, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt mein Dank insbesondere den wissen¬schaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der CDU-Fraktion, allen voran Frau Ober¬staatsanwältin a. D. Maria Auer. Sie haben einen tollen Job gemacht. Ich möchte aber auch ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der anderen Fraktionen danken, die ge¬meinsam mit dem Ausschusssekretariat sehr gute Arbeit geleistet und mit uns Obleuten sehr offen und sachorientiert zusammengearbeitet haben. Mein Dank gilt selbstverständlich auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, ins¬besondere dem Vorsitzenden und den Obleuten der anderen Fraktionen. Insbesondere in den letzten Wochen haben wir viele Stunden miteinander verbracht, um einen gemeinsamen Bericht vorzulegen. Wir alle haben wieder einmal gelernt: Wenn Demokraten unterschiedli¬cher politischer Richtung fair miteinander umgehen und auf Augenhöhe miteinander reden, ergibt dies am Ende immer ein gutes Ergebnis. Das ist, meine Damen und Herren, in diesem Fall der hier vorliegende Schlussbericht des sogenannten PUA III. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das NSU-Trio war 5.018 Tage im Untergrund aktiv. Die Ermittlungsbehörden wissen mehr oder weniger, was das Trio an 37 von diesen 5.018 Tagen gemacht hat. Ich glaube, dass diese Zahlen deutlich machen, dass auch heute noch das Wissen über die Aktivitäten des sogenannten NSU alles andere als umfassend ist. Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz gaben im März 2013 bekannt, dass ihre Liste von möglichen Unterstützern des NSU 129 Personen umfasse. Die Liste ent¬hält verschiedene Kategorien: Täter, Beschuldigte, Personen mit nachgewiesenen Kontakten zu den Tätern oder zu Beschuldigten oder auch Personen, bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie in Kontakt zu Tätern oder Beschuldigten gestanden hätten. Mit diesem Wissen sind wir an das Thema herangegangen und haben unter anderem ver¬sucht, herauszufinden, ob das NSU-Trio direkte, also tatbeteiligte Unterstützung oder indi¬rekte, also zuarbeitende Unterstützung aus NRW erhalten hat. Meine Damen und Herren, auch wenn es schwer zu glauben ist, scheint nach Aktenlage das Kerntrio des NSU seine Taten in Nordrhein-Westfalen ohne die Mittäterschaft oder Unterstüt¬zung nordrhein-westfälischer Rechtsextremisten verübt zu haben. Umfangreiche Aktenaus¬wertungen und Zeugenbefragungen haben keinen Anhaltspunkt für nähere Kontakte zum NSU oder gar für ein konspiratives Zusammenwirken von nordrhein-westfälischen Rechtsext¬remisten, insbesondere in den Tatortstädten Köln und Dortmund, mit dem NSU ergeben. Die in den Tatzeiträumen und danach erstellten Quellenberichte des Verfassungsschutzes NRW enthalten nicht einen – ich wiederhole: nicht einen – Hinweis darauf, dass die Taten Gegenstand von Erörterungen in der rechtsextremistischen Szene waren, obwohl die ausge¬setzte Belohnung zur Ergreifung der Täter in Höhe von 300.000 € – also extrem hoch – ein enormer Anreiz für die Mitglieder der rechtsextremistischen Szene gewesen wäre, selbst va¬ges Wissen zu den Tathintergründen oder zu den Tätern an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Dies ist nicht erfolgt. Ein besonderer Fall ist aus unserer Sicht übrigens die Tat in der Probsteigasse. Hier haben nicht nur wir als CDU-Fraktion erhebliche Zweifel an der Täterschaft des NSU-Trios. Denkbar wäre es zum Beispiel auch, dass andere Rechtsextremisten diese Tat ausgeführt haben, viel¬leicht sogar diejenigen, die für die bis heute unaufgeklärten Bombenanschläge in Köln in den Jahren 1992 und 1993 verantwortlich sind. Aber auch dies ist Spekulation. Auch dafür haben wir keinen Beweis. Deshalb ist es mir per¬sönlich wichtig, noch einmal zu betonen, dass die Auswertung der uns zur Verfügung stehen¬den Akten sowie die Zeugenbefragungen gegen eine Unterstützung des NSU-Trios aus NRW sprechen, aber gänzlich ausschließen können auch wir dies nicht. Grundsätzlich müssen wir uns aber auch in Deutschland dem Gedanken nähern, dass es mittlerweile vielleicht auch bei uns möglich ist, dass sich in der rechtsextremen Szene Zellen bilden, die sich irgendwann von der offenen Szene lösen, um in den Untergrund zu gehen und dann relativ isoliert nach ihrer menschenverachtenden ideologischen Gesinnung zu leben und Terroranschläge und Morde – zum Beispiel an politisch Andersdenkenden oder, wie hier geschehen, an Migrantinnen und Migranten – zu verüben. Wenn dem so sein sollte, stellt dies nicht nur die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden vor eine sehr große Herausforderung, sondern auch die gesamte Gesellschaft. Diese durchaus beunruhigende Erkenntnis ist natürlich nicht die einzige Erkenntnis, die wir gewonnen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, hier und da stellten sich die Zeugenbefragungen im Ausschuss als durchaus schwierig dar. Wir haben bei den Zeugenbefragungen oft gehört: „Dies ist mir nicht mehr erinnerlich“, oder: „Ich weiß dies nicht“, und wir hatten, bei allem Verständnis für Erinnerungslücken, mehr als einmal das Gefühl, dass die eine oder andere bzw. der eine oder andere sich auch nicht mehr erinnern will – ganz zu schweigen von einem Oberstaatsanwalt, der zwar für politisch motivierte Straftaten zuständig war, sich selbst aber als „gänzlich unpolitisch und an politischen Sachverhalten nicht interessierter Bürger“ darstellte. Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist – es war nicht einfach –, gemeinsame Handlungsempfehlungen auf den Weg zu bringen. Die Schlüsselworte bei den Handlungs¬empfehlungen sind „Kommunikation“, „Informationsaustausch“, „Grundwissen“ und „Bereit¬schaft, sich auf neue Kriminalitätsphänomene einzulassen“, also schlicht und einfach auch einmal querzudenken. Eine Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen – davon sind wir überzeugt – würde Deutschland in Verbindung mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen ein Stück sicherer machen. Das muss unser aller Ziel sein. Unsere Handlungsempfehlungen bauen auf den nachfolgenden Erkenntnissen aus unserer Ausschussarbeit auf; denn zweifelsohne haben die Untersuchungen des Ausschusses eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten und Fehlern nordrhein-westfälischer Sicherheits- und Justiz¬behörden aufgedeckt. Dies betrifft die Beobachtung und Auswertung der Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene von Beginn der 90er-Jahre an gleichermaßen wie die Ermittlun¬gen zu den mutmaßlich vom NSU-Trio begangenen Straftaten und zu den weiteren im Unter¬suchungszeitraum begangenen Verbrechen, die aus politisch-rechtsextremen Motiven be¬gangen worden sein könnten. Inwieweit die in der Ermittlungsarbeit aufgetretenen Mängel oder die unzureichende Zusam¬menarbeit der Behörden untereinander verhindert haben, dass die dem NSU zuzurechnen¬den Taten in Nordrhein-Westfalen vor dessen Selbstenttarnung aufgeklärt werden konnten, bleibt wiederum Spekulation. Fakt ist allerdings: Trotz fehlender konkreter auf Täter aus dem rechtsextremistischen Milieu hinweisende Spuren hätten die Sicherheitsbehörden an den Tatorten in Köln und Dortmund – wie im Feststellungsteil dieses Berichts dargestellt – allen Grund gehabt, verstärkt auch Ermittlungen in Richtung eines politisch motivierten Delikts durchzuführen. Beispielhaft dafür sei, den Sprengstoffanschlag in der Keupstraße betreffend, noch einmal das Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Verfassungsschutz NRW vom 9. Juli 2004 genannt: der Hinweis von Scotland Yard auf die vergleichbaren Nagelbomben¬anschläge des David Copeland in London. In Dortmund hätten insbesondere die Aussagen einer Zeugin und auch das Ergebnis der zweiten Operativen Fallanalyse die Ermittlungsbe¬hörden dazu veranlassen müssen, ihre Ermittlungen auf die rechtsextremistische Szene in Dortmund auszudehnen. Dieses Erfordernis haben die Ermittler entweder nicht erkannt oder falsch eingeschätzt. Eine wesentliche Ursache für das Unterlassen der gebotenen Ermittlungen dürfte in dem nur rudimentär vorhandenen Kenntnisstand der Strafverfolgungsbehörden des Landes NRW über die rechtsextremistische Szene und deren internationales Netzwerk liegen. Weder die „Turner Diaries“, die dem NSU als eine Art Blaupause für seine Taten gedient haben könnten, noch Combat 18, noch der Name David Copeland waren den Ermittlungskommissionen be¬kannt. Soweit der Verfassungsschutz NRW und in Teilen auch der polizeiliche Staatsschutz die hinter den Publikationen und Maßnahmen stehende Ideologie erkannt haben, haben sie jedenfalls mit den Ermittlungsbehörden vor Ort nicht kommuniziert. Allerdings – das muss fairerweise auch gesagt werden – haben die ermittelnden Polizeibe¬amte und Staatsanwälte größtenteils auch nicht proaktiv beim polizeilichen Staatsschutz oder beim Verfassungsschutz nachgefragt. Entsprechende dahin gehende Informationen wären für die Strafverfolgungsbehörden möglicherweise ein Ermittlungsansatz in Richtung eines rechtsextremistischen Motivs gewesen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Fehlern kann und sollte man lernen. Zukünftig darf es nicht mehr passieren, dass politisch motivierte Straftaten als solche nicht nur mit einem erheblichen Zeitverzug oder gar nicht erkannt werden und deshalb notwendige Ermittlungsmaßnahmen nicht eingeleitet werden. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Begrifflichkeiten aus dem Rechtsextremismus, die rechtsextremistischen Theorien, das Fundament der Ideologie weiter in den Strafverfolgungsbehörden und Ermittlungsbehör¬den verankert werden. Denn – wie gesagt – wir haben festgestellt, dass die Grundkenntnis über diese Thematik eher unterentwickelt ist. In den Sonderabteilungen der Staatsanwaltschaften, ebenso wie in den Staatsschutzabtei-lungen der Polizeidienststellen, herrscht zusätzlich eine hohe Personalfluktuation, sodass er¬worbenes Spezialwissen in diesen Abteilungen langfristig nicht vorgehalten werden kann. Sonderwissen auf dem Gebiet des Rechtsextremismus muss ferner schnell und zuverlässig von ansonsten sachfern tätigen Beamten im Bereitschaftsdienst bei besonderen Vorkomm¬nissen wie etwa Demonstrationen oder Gewalttätigkeiten in Fußballstadien abgerufen werden können. Daraus ergeben sich für meine Fraktion folgende zusätzliche Handlungsempfehlungen: Wir fordern die Einrichtung einer zentralen elektronischen Bibliothek. Die Einrichtung einer zentralen Wissensdatenbank als elektronische Bibliothek, auf die alle mit einer besonderen Zugriffsberechtigung ausgestatteten Ermittler zugreifen können, würde zahlreiche von uns im Ausschuss festgestellte Mängel beseitigen können. Neben juristischen und historischen Schlagworten und Ausarbeitungen zu speziellen Phänomenen sollte sie auch polizeiliche und nachrichtendienstliche Erkenntnisse zur Verfügung halten, ohne das Trennungsgebot zu ver¬letzen. Als zentrale Einrichtung des Landes NRW und Schnittstelle auf höherer Ebene zwischen staatsanwaltlicher, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit dürfte das Landeskrimi¬nalamt NRW unserer Einschätzung nach mit seiner bereits vorhandenen Kommunikations¬technik der kompetente Dienstleister für diese politisch wichtige Aufgabe sein. Zwei Dinge dürfen bei meiner heutigen Rede selbstverständlich nicht fehlen. Zum einen sind wir eine lückenlose Aufklärung nicht nur, aber insbesondere den Opfern und den Angehörigen der Rechtsterroristen schuldig. Ich darf allen Opfern und deren Angehörigen versichern, dass das Schicksal, das ihnen wi¬derfahren ist, unvergessen bleibt und eine nachhaltige Mahnung darstellt. Zum anderen müs¬sen wir alles uns Mögliche möglichst gemeinsam unternehmen, um unseren Rechtsstaat so wehrhaft aufzustellen, dass er auch dem Rechtsterrorismus die Stirn bieten kann. Vielen Dank. Es gilt das gesprochene Wort!

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