
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit einer Woche schlagen die Videos von Schauspielerinnen und Schauspielern unter dem Hashtag #allesdichtmachen hohe Wellen. Die Internet-Aktion sei, so sagte es Jan Josef Liefers im WDR - Zitat - "eine satirisch gemeinte, ironische und überspitzte Protestaktion."
Egal, wie jeder einzelne von uns diese Videos bewertet - unbestritten ist:
Die Künstlerinnen und Künstler dürfen das selbstverständlich so machen. Satire darf schonungslos, ketzerisch und sogar geschmacklos sein. Sie sollte die Grenzen des Respekts gegenüber schutzwürdigen Menschen nicht überschreiten - meine Meinung - und für mich ist klar: Satire ist eine Kunstform, und die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind grundlegend für unsere Demokratie.
Meinungsfreiheit und Kritik an der eigenen Meinung auszuhalten, das ist für uns alle manchmal eine Herausforderung, denn zur Meinungsfreiheit gehört auch das Recht auf Provokation, auf Vorurteile und sogar auf Dummheit - solange dadurch keine Gesetze verletzt werden.
Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen in Artikel 5 Absatz 2 unseres Grundgesetzes,
nämlich in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre.
Das Recht auf Meinungsfreiheit ist eben keine ultimative Rechtfertigung dafür, sich mit seiner Ansicht über die Menschenwürde hinwegzusetzen, offenkundig falsche Behauptungen, wilde Verdächtigungen oder üble Beleidigungen zu verbreiten.
Das war bei diesen Satire-Videos nicht der Fall, denn die Stilmittel von Satire sind Übertreibung, Spott und Ironie.
Und das ist vielleicht genau das Problem der Videos: Ironie ist Stilmittel künstlerischer Kommunikation, aber kein politisches Argument. Ironie als Stilmittel meint das Gegenteil des Gesagten und muss immer entschlüsselt werden. Gerade deshalb eignet sich Ironie meiner Ansicht nach eher nicht dazu, eine politische Botschaft unter die Leute zu bringen.
Ich fand es teilweise auch schwierig, die Ironie über Sprechweise, Mimik und Gestik der Schauspieler zu identifizieren.
Und wenn Ironie nicht verstanden wird, wenn der Empfänger nicht erkennen kann, ob es sich um eine Kunstaktion handelt oder um ein politisches Statement, dann wird's halt insgesamt schwierig, richtig verstanden zu werden. Oder - so wie hier - man läuft Gefahr, bewusst missverstanden zu werden.
Ich glaube übrigens nicht, dass irgendeiner der Beteiligten rechtes Gedankengut teilt. Dass die Künstlerinnen und Künstler jetzt ausgerechnet von der AfD in Schutz genommen werden, das haben sie nicht verdient - das wollen sie nicht, und das will ich auch nicht.
Es war aber nun mal abzusehen, dass die Aktion von Verschwörungs-theoretikern, Querdenkern und Rechten gefeiert werden würde.
Und es war auch absehbar, dass die Künstler dann mit diesen Leuten in einen Topf geworfen werden. Aber auch das gehört zur Meinungsfreiheit dazu, und damit müssen sie nun leben.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch im Internet gilt, was in der analogen Welt gilt: Jeder, der etwas veröffentlicht, trägt Verantwortung für seine Worte, für den Inhalt und für die Folgen seiner Veröffentlichung. Das gilt für einen einzelnen Facebook-Post oder eine Insta-Story genauso wie für ein Video, in dem sich ein Künstler auf seine Art und Weise mit der Pandemie und ihren Folgen auseinandersetzt.
Die Verantwortung wächst mit der Reichweite, und Äußerungen von Prominenten haben oft eine besondere Bedeutung für den öffentlichen Diskurs. Dessen müssen sich prominente Schauspielerinnen und Schauspieler bewusst sein und auch akzeptieren, dass sie für ihre Aktion kritisiert werden. Aber dass sie für ihre Haltung jetzt teilweise diffamiert werden, ist für mich nicht zu rechtfertigen, und die Morddrohungen, die sie dafür offenbar erhalten, erst recht nicht.
Ich kann total verstehen, dass bestimmte Corona-Maßnahmen nicht nur auf Zustimmung stoßen, und ich fand es auch berechtigt, dass die Künstler in ihren Videos auch auf die Auswirkungen der Maßnahmen auf unsere Gesellschaft, zum Beispiel für Familien und Kinder, hingewiesen haben. Aber gerade bei der teilweise etwas pauschalen Medienkritik bleibt für mich leider unklar: Was war ironisch gemeint und was ernst?
Fakt ist: Die klassischen Medien liefern professionell geprüfte Informationen, Nachrichten und Hintergrundberichte, sie kommentieren zugespitzt, und sie berichten ganz sicher nicht einseitig und schon gar nicht unkritisch über Corona. Die meisten Zuschauer, Hörer und Leser stellen das übrigens nicht in Frage - im Gegenteil: In der Krise ist bei vielen Menschen das Medienvertrauen sogar noch gestiegen.
Das zeigt die aktuelle Befragungswelle einer Langzeitstudie der Uni Mainz. Medienwissenschaftler Christian Schemer hat dazu am Dienstag im Deutschlandfunk gesagt - und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis:
"Zu Beginn hat die Pandemie ein großes Orientierungs-Bedürfnis erzeugt und damit auch eine vergrößerte Mediennutzung. (…) Die Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie war ein wichtiges Thema und wichtiger Diskussions-Gegenstand, und hier ist es zumindest so, dass die Menschen in Deutschland überwiegend der Medienbericht-erstattung vertrauen." Zitat Ende. - Das ist doch eine gute Nachricht.
Und immerhin hat die Videoaktion dazu beigetragen, dass wir in Deutschland wieder mehr darüber reden, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit sind, welch hohen Stellenwert sie für unsere Demokratie hat, und dass wir in der Pandemie weiterhin darauf achten müssen, wie sich die Corona-Maßnahmen unmittelbar, aber auch langfristig auf unsere Gesellschaft auswirken. Insofern hat die Aktion am Ende dann doch auch etwas Sinnvolles geleistet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hat 2019 gesagt - Zitat: "Die Konfliktfähigkeit einer Gesellschaft beruht auf dem Konsens aller Beteiligten über die Art und Weise, wie man mit unterschiedlichen Auffassungen umgeht. Wenn dieser Konsens verloren geht, ist der innere Zusammenhalt gefährdet." - Zitat Ende.
Um den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu gewährleisten - dafür ist jeder einzelne von uns gefordert. Keinesfalls brauchen wir dazu die AfD als selbsternannten Hüter der Meinungsfreiheit oder als scheinheiligen Medienwächter der Nation.
Und das meine ich ganz ohne Ironie genauso, wie ich es sage.
Vielen Dank!
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