Dr. Günther Bergmann zur aktuellen Stunde: Die Meinungsfreiheit darf kein Corona-Opfer werden

30.04.2021

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren!
Meine verehrte Kollegin Andrea Stullich hat vorhin schon viele Aspekte gerade im Hinblick auf den „WDR“ und die Meinungsfreiheit abgearbeitet. Als Herr Tritschler sprach, musste ich die ganze Zeit an meinen alten Professor Rupp denken, der als Justiziar des ZDF im Medienrecht immer sagte: Seid als Demokraten vorsichtig, wenn sich Leute von ganz links und ganz rechts für die Meinungsfreiheit einsetzen. – Diese Vorsicht müssen wir alle, glaube ich, an den Tag legen; das haben Sie soeben sehr beeindruckend belegt.
Dass gerade Sie von der AfD sich jetzt für Professor Boerne aus Münster einsetzen, wird diesen in der Pathologie wahrscheinlich zum Rotieren bringen. Darauf will ich jetzt aber gar nicht weiter eingehen, sondern ich möchte mich mehr mit den Hintergründen dieses Antrags beschäftigen, die in abgewandelter Form von rechts außen immer wieder mal gerne gespielt werden. So ist es hier und heute auch nicht das erste Mal, dass die AfD das angeblich Hohelied auf die Meinungsfreiheit spielt – freilich am liebsten immer unter dem Blickwinkel, dass man unter Meinungsfreiheit nur Ihre Meinung verstehen darf.
Die AfD versucht, sich als Retterin aufzuspielen. Dann nimmt sie – das hat sie sich bei Trump abgeguckt – die angeblich politische Klasse – Herr Wagner hat das am Mittwoch auch noch einmal gemacht – ins Visier, obgleich sie selber als Mitglieder von Parlamenten mit dazugehört und eigentlich Teil dieser Klasse ist. Mit Ihnen möchte nur niemand spielen; Sie sitzen da so allein. Die Stimmen, die Sie bekommen haben, sind eigentlich verlorene, sogar – das könnte man sagen – weggeworfene Stimmen.
Da nützt auch keine Höcke-Vorfreudegeste à la Adolf Hitler im Thüringer Landtag, die 2020 für jeden deutlich machte, wo Sie stehen und was Sie eigentlich wollen, aber nicht bekommen werden. Dass ausgerechnet Sie sich als vermeintlicher Anwalt der Meinungsfreiheit aufspielen, ist erstens nicht neu und zweitens wegen Ihres Verhaltens völlig unglaubwürdig. Denn Sie haben schon viel zu viele Beispiele dafür geliefert, dass es Ihnen nur darum geht, Ihre teils hanebüchenen Äußerungen unter Schutz gestellt zu bekommen. Aber auch das wird Ihnen nicht gelingen.
Sie stehen in der Tradition rechtsradikaler Parteien, die den Vorwurf einer staatlich gesteuerten Berichterstattung und der angeblichen Lügenpresse erheben. Dabei widersprechen Sie sich auch gerne einmal selber. So sagte Alexander Gauland 2019 quasi als Deutlichmachung Ihrer eigentlichen Einstellung zur Meinungsfreiheit – in der Nachlese: Landtagswahl Thüringen –, ihm ginge die Meinungsfreiheit in manchen Dingen schon zu weit; und das ausgerechnet aus dem Mund von jenem jagenden Gauland, der ein Jahr vorher mit seinem unsäglichen Spruch über Hitler und die Nazis als angeblicher Vogelschiss in der deutschen Geschichte die Meinungsfreiheit geschmacklos und pietätlos ausnutzte und Grenzen deutlich überschritt.
Es geht Ihnen also nicht um Meinungsfreiheit, sondern nur darum, Ihre oft rassistische und antisemitische Propaganda unter den Deckmantel der Meinungsfreiheit selber verbreiten zu können.
Da werden dann sogar linke Künstler, die oft auch noch bei den von Ihnen sonst so abgelehnten Öffentlich-Rechtlichen arbeiten, verteidigt und benutzt, weil es Ihnen gerade einmal in den Kram passt.
In Ihrem Antrag wird klar, wie verkehrt Sie denken. Oder sollte ich vielleicht „verquer“ sagen? Wie muss man drauf sein, wenn man auf Seite 1 des Antrags das Hohelied der Meinungsfreiheit singt, und dann auf Seite 3 eine frei geäußerte Meinung derart beschimpft und eigentlich eine Zensur fordert? Erst fordern Sie die Meinungsfreiheit für alle – primär eigentlich als Freibrief für Sie –, und dann verwehren Sie einem Staatsminister a. D. genau diese. Nur, wer Ihre Meinung äußert, darf das, sonst niemand.
Wenn Sie im Antrag die Meinungsäußerung eines Ex-Landesministers angreifen und ihm – ich zitiere Sie – eine besondere Verachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterstellen, ist das ziemlich grotesk und unverschämt.
Ob die Äußerungen von Garrelt Duin notwendig und clever waren, sei dahingestellt. Ihm aber diesen Vorwurf zu machen, ist lächerlich, falsch und boshaft zugleich, und da stellen wir uns als Demokraten vor ihn.
Lernen Sie als Partei erst einmal, sich auf den Boden des Grundgesetzes zu stellen. Dann können wir noch einmal sprechen.
Hier im Haus ist es bei 92,6 % Konsens, dass Meinungsfreiheit ihre Grenzen bei Verletzungen von Würde, bei Volksverhetzung, bei Verfassungswidrigkeiten und bei der Leugnung des Holocaust hat. Diese Grenzen haben Sie – das sind die restlichen 7,4 % – längst bewusst und immer wieder gerne gerissen.
Die Liste der demokratiefeindlichen und klar über die gerade genannten Grenzen der Meinungsfreiheit hinausgehenden Äußerungen aus der AfD ist lang, und ich werde das auch nur anreißen, damit Sie sich noch einmal daran erinnern, dass Alice Weidel 2018 von Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierten Messermännchen und sonstigen Taugenichtsen sprach. Ihr Ex-AfD-Vorsitzender in Brandenburg sprach beim Kyffäusertreffen 2017 davon – Zitat –:
„‘Und wenn es Teil des AfD-Erfolges sein soll, die 68er Erben und Verwalter auf die politische Sondermülldeponie der Geschichte zu befördern, dann nehme ich diesen Teil unseres politischen Auftrages gerne an. Denn da gehören sie nämlich hin …‘“ Nachher schwadronierte er übrigens noch besonders geschmacklos davon, dass er auf den Gräbern herumtanzen wollte.
Ich könnte diese Liste lange weiterführen, aber ich werde das nicht tun.
Denken Sie auch noch an die teils ekelhaften Äußerungen des AfD-Vertreters Wolfgang Gedeon, der die AfD Baden-Württemberg verlassen hat. Sie haben ihn nicht rausgeschmissen. Er durfte bei Ihnen bleiben.
Er hat Sie dann verlassen, obwohl er einer der größten Antisemiten ist, die wir zurzeit hier haben.
Zu viele Menschen verstehen heute unter Meinungsfreiheit also die Freiheit der eigenen Meinung. Das alte Credo von Voltaire, das vorhin von Ihnen auch erwähnt wurde, haben Sie längst unmöglich gemacht, weil man es mit Ihnen nicht mehr anwenden kann. Wie schade! Leider ist es so, dass es inzwischen auf der extrem rechten und manchmal auch auf der extrem linken Seite immer mehr Menschen gibt, die so vorgehen, und das mit all den Folgen für unsere Demokratie. Ihre Lösung lautet: Besser halbe, sich als Partei aber wünschenswerte Wahrheiten auf den eigenen Kanälen spielen als unbequeme Wahrheiten in den normalen Medien. – So lassen sich die Leute besser bei der Stange und auf Linie halten. Das entspricht in keiner Weise unseren Vorstellungen von Medien und von der Meinungsfreiheit. Sie schaden damit auch unserem Vaterland, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den hier lebenden Menschen.
Nur an einer Stelle Ihres Antrags bin ich völlig bei Ihnen: Sie fordern im vorletzten Absatz, dass – Zitat – entschlossen und unmissverständlich ein Zeichen für Rechtsstaat und Demokratie und gegen ihre Feinde – Zitat Ende – zu setzen sei. Das tun wir heute auch wieder sehr gerne, und wir müssen das wieder einmal gegen Sie tun. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.