Dr. Ralf Nolten zu TOP 6 „Psychotherapeutische Versorgung in den Flutgebieten langfristig gewährleisten – Keine Alibi-Lösung für die Betroffenen“

20.09.2023

Die verheerende Flut im Juli 2021traf auf gesetzliche Grundlagen und Strukturen, die auch nach der Novelle des BHKG 2016 auf Punkt- und nicht auf Flächenereignisse mit tausen-den Betroffenen eingestellt waren.

Das war insbesondere bei der Psychosozialen Notfallversorgung für Betroffene – kurz: PSNV-B – erkennbar. Schon zwei Wochen nach der Flut war mit Ende der Akutphase und dem weitgehenden Verschwinden der „lila Westen“ zur Psychosozialen Unterstützung von Opfern und Einsatzkräfte klar: es braucht über das Regelsystem hinaus Überbrückungs-strukturen zur Regelversorgung hin.

Denn Reaktionen bei den Betroffenen können erst spät auftreten – nach dem Aufräumen, der Renovierung, dem Neubau -  , sie können sich verstärken, wiederkommen. Sie sind bei Naturkatastrophen statistisch gesehen weniger Traumata auslösend als bei andere Ereignis-se.

So sind vor Ort Kommunen und Hilfsorganisation in die Organisation von Überbrückungs-strukturen eingestiegen, unterstützt durch finanzielle Leistungen von verschiedensten Mini-sterien, vom IM, dem MAGS und dem MHKBD.

Sie betraten Neuland – denn das Ausmaß der psychischen Verletzungen und Schäden, die Anzahl der Betroffenen war anders als bei Brücken oder Straßen nicht erkennbar. Vorlie-gende Studien konnten allenfalls Orientierungsgrößen liefern.

Anfang August 21 beschloss die Stadt Schleiden die befristete Einrichtung der Beratungs- und Koordinierungsstelle „Schleidener Tal“ zu Fragen der Soforthilfe, der Wiederaufbau-hilfe, aber auch als niedrigschwelliges psychologisches Beratungsangebot. In Einzelfällen gab es die Weiterleitung an psychologische Berater, Fachpsychologen, die Traumaambulanz oder an die psychotherapeutische Regelversorgung. Nach einem halben Jahr und etwa 2.500 Gesprächen und Gesprächskontakte erfolgte im Dezember 2021 die Überführung in das „Hilfszentrum Schleidener Tal“. Es ist für zwei Jahre mit einer Option auf ein drittes Jahr projektiert.

Kommunen, Caritas, AWO, Diakonie, die Kirchen eröffneten unter Federführung der Mal-teser vor kurzem mit der sog. Interkommunalen psycho-sozialen Unterstützung (IPSU) in einem multiprofessionellen Team aus Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialpädagogen mit Zusatzausbildung, Kreativpsychologen und Notfallseelsorgern ein Angebot, dass im Sinne eines niederschwelligen psychischen Beratung oder einer stabilisierenden Psychothe-rapie häufig nur eine wenige Sitzungen umfassen muß.

 


Einigkeit besteht auch darin, dass Hausbesuche gemacht und kontinuierliche psychosoziale Lagebilder erstellt werden müssen.

Das Innenministerium ist in der Erstellung seines Landeskonzepts PSNV-E schon weit vo-rangeschritten. Das MAGs hat übermorgen zu einem Expertensymposium eingeladen. Mit entsprechenden Gesetzesinitiativen kann vielleicht noch in diesem Jahr gerechnet werden.  Es mag als spät erscheinen -  es ist aber wichtig und richtig, die in den letzten beiden Jahren gemachten Erfahrungen zu berücksichtigen. Gerade evaluiert Prof. Karutz von der Medical School Hamburg das psychologische Krisenmanagement im Schleidener Tal mit Blick auf die Übertragbarkeit und das Optimierungspotenzial.

Denn anders als es der SPD-Antrag vermittelt, kommt es nicht nur auf die Regelversor-gung, also die Langzeitpsychotherapie mit ihren über 12 Sitzungen an. Vielmehr zeigt sich, dass die im Mai 2022 erteilte zusätzliche Ermächtigung von zunächst – das ist zu betonen! - , auf zwei Jahre befristeten 8 KV-Sitzen nicht auf eine übermäßige Nachfrage trifft, auch wenn vereinzelt Wartelisten bestehen. Entscheidend ist die Kommunikation der Akteure untereinander vor Ort.   

Viele Fragen stehen dennoch im Raum: Macht eine PSNV- Landeszentralstelle Sinn? Wie sehen
die Strukturen und ggfs. Planungen auf regionaler und kommunaler Ebene aus?

Wo ist sie angesiedelt? Beim IM oder beim MAGS? Wenn es Verbindungspersonen in den Krisenstäben und SAEs gibt: jeweils für PSNV-E und für -B? Wenn nur PSNV-E – wie erfolgt die Alarmierung und der Aufwuchs bei PSNV-B? Gelten für beide Linien die auf Bundesebene verabschiedeten Mindeststandards in der Psychologischen Akuthilfe?

Was regelt das zu überarbeitende BHKG? Ehrenamtliche PSNV-Kräfte haben derzeit kei-ne Freistellungsregelungen. Wie erfolgt ihre Anforderung und ihr Einsatz? Ist dies besser im Rettungsgesetz oder in einem sondergesetzlichen Rahmen zu verankern? Freiwillige Helfer: sind sie Einsatzkräfte oder Betroffene?
 
Der Antrag greift in vielen Punkten zu kurz, blendet eine Reihe wichtiger Aspekte aus und bringt keine neuen Ideen in die laufende Debatte. Das weiß der Antragsteller auch und hat diesen absolut entbehrlichen Antrag nicht zur Beratung in den Fachausschuss verwiesen, sondern zur direkten Abstimmung hier und heute gestellt.

Wir lehnen ihn entsprechend ab.