
Sehr geehrte Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir stehen vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich sind, und das Parlament – niemand sonst – darf hierzu die Exekutive in die Lage versetzen, schnell und effektiv das zu tun, was notwendig ist und den Handlungsrahmen vorgeben.
Dieser Verantwortung stellen wir uns gemeinsam, wie wir das schon beim Rettungspaket vorige Woche oder beim Erlass der Ausgangsbeschränkungen zur Vermeidung sozialer Kontakte getan haben.
Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass schon mit den getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen erhebliche Einschränkungen der Grundrechte eines jeden einzelnen verbunden sind. (Stichworte sind: Versammlungsfreiheit, Schulpflicht, freie Berufsausübung, Religionsausübung). Das ist für einen freiheitlichen Rechtsstaat ein sehr schwieriger Schritt, der sich nur durch die außergewöhnliche Krisensituation rechtfertigen lässt.
Die im Bundestag fraktionsübergreifend beschlossene Anpassung des bestehenden Bundesinfektionsschutzgesetzes soll und muss nun in Landesrecht umgesetzt werden. Der vorliegende Entwurf des Infektionsschutzgesetzes NRW gibt der Landesregierung weitreichende Befugnisse im Kampf gegen das Coronavirus.
Wir stehen wiederum vor verfassungsrechtlichen Fragen, die eine Dimension haben, die wir so bisher nicht debattiert haben. Außerdem ist sicherzustellen, dass die Rechte des Parlaments trotz der gebotenen Eile gewahrt bleiben.
Ich bin davon überzeugt, dass unsere Verfassung sich nicht als hinderlich erweist, das zu tun, was zum Schutz der Bevölkerung zu tun ist. Unser Parlamentarismus auf allen Ebenen, bei allem Streit in der Sache, unsere demokratische Grundordnung, unsere Verfassung, auch wenn Grundrechte wie die Berufsfreiheit und die Gesundheit miteinander konkurrieren oder sogar kollidieren, bieten eine verlässliche Grundlage, auch in einer Krise eine Lösung für die anstehenden Probleme zu finden.
Zweck des Gesetzes ist nicht der Eingriff in die Berufsfreiheit, auch nicht in das Eigentumsrecht oder die Freiheit. Zweck des Gesetzes ist der Schutz der Gesundheit unserer Bevölkerung.
Das Gesetz soll die Administration in die Lage versetzen, die gesundheitliche Versorgung im Interesse und zum Schutz der Allgemeinheit zu steuern und Personal dort einzusetzen, wo es dringend benötigt wird. Das gleiche gilt für die Beschlagnahmung von medizinischen Geräten und die Schaffung von Intensivplätzen und Infektionsbetten und dergleichen.
Dieser Gesetzeszweck hat aber Auswirkungen auf die Berufsfreiheit und das Eigentumsrecht. Es geschieht, gelten aber Ausgleichsregelungen. Es ist klar gesetzlich geregelt, dass die Betroffenen keinen finanziellen Nachteil erleiden sollen. Medizinische Geräte dürfen nur dann beschlagnahmt werden, Personal nur dann anderswo eingesetzt werden, wenn es nicht dort, wo es eingesetzt ist bzw. Dienst tut, benötigt wird.
Es geht um Leben und Tod. Niemand wird bestreiten, dass die Gesundheit der Menschen gemäß unserer Verfassung zu schützen ist. Das hat der Staat zu gewährleisten.
Was ist in diesem Zusammenhang unsere parlamentarische Verantwortung?
1. Verfassungsrechtliche Bedenken müssen geäußert und besprochen werden,
2. sie dürfen aber nicht zur Handlungsunfähigkeit der Exekutive führen, wenn Maßnahmen erforderlich sind.
3. Andererseits darf sich niemand über die verfassungsrechtlichen Grundsätze hinwegsetzen. Es kommt also darauf an und es ist auszutarieren, welche Regelungen verfassungskonform, angemessen und verhältnismäßig sind.
Bei der Einsetzung von dringend benötigtem zusätzlichen ärztlichen Personal in Krankenhäusern geht es zum Beispiel darum, auf die Ärztinnen und Ärzte zurückzugreifen, die zu hunderten in den verschiedensten Gesundheitseinrichtungen arbeiten.
Oder es gibt Arztpraxen, die aus bekannten Gründen schließen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, sogar mit „Null“-Arbeitszeit. Sie erhalten zwar Kurzarbeitergeld, allerdings der Höhe nach beschränkt. Wenn dieses medizinische Personal verpflichtet wird, etwa in einem Krankenhaus auszuhelfen und damit seinen Beruf auszuüben, ist das gerade nicht ein Eingriff in die Berufsfreiheit, allenfalls ein Eingriff in das bestehende Arbeitsverhältnis, zumal dies dazu führt, dass die Betroffenen keinen finanziellen Nachteil haben, den Tariflohn erhalten und Gehaltsdifferenzen erstattet bekommen. Manch eine medizinische Fachkraft wird froh sein, auf diese Art ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und ihre Vergütung weiterbekommen zu können.
Ausdrücklich möchte ich feststellen, dass die beschriebenen Befugnisse, die die Landesregierung auf der Basis des Gesetzes erhalten soll, nur bei einer Epidemie von landesweiter Tragweite gelten sollen. Ob eine solche epidemische Lage vorliegt steht unter Parlamentsvorbehalt.
Alle diese Maßnahmen, die einen einschneidenden Charakter haben, dienen der Stabilisierung des Gesundheitssystems. Dem trägt der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung unserer Meinung nach Rechnung.
In der kommenden Woche werden wir uns in der Anhörung und im Ausschuss sehr intensiv mit den verschiedenen Fragestellungen und den von unterschiedlichen Seiten geäußerten Bedenken befassen. Vielleicht sind auch klarstellende Ergänzungen notwendig.
Es ist uns in dieser Krisensituation sehr wichtig, dass der Landtag zu einer möglichst einvernehmlichen Lösung kommt und der Gesetzentwurf mit einer breiten Mehrheit verabschiedet wird.
Auf die Diskussion in der kommenden Woche freue ich mich und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
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