
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
in der Antragsbegründung des vorliegenden FDP-Antrags ist vom „Potenzial des solidarischen Miteinanders zwischen Ost und West“ die Rede. NRW könne Brückenbauer werden, zwischen den Überkapazitäten in Teilen Ostdeutschlands und dem Fachkräftebedarf bei uns. Diese Verbindung sei -Zitat- „keine Einbahnstraße, sondern Ausdruck einer gesamtdeutschen Verantwortungsgemeinschaft“.
Welche Vorteile Teile Ostdeutschlands von diesem solidarischen Miteinander und der Verantwortungsgemeinschaft haben, in dessen Zuge wir insbesondere die jungen pädagogischen Fachkräfte abwerben sollen, bleibt mir jedoch schleierhaft. Unbestritten würde es dem einzelnen jungen Menschen villeicht helfen, bei uns schneller eine Anstellung zu finden. Was die FDP aber überhaupt nicht berücksichtigt, sind die familiären und gesellschaftlichen Auswirkungen ihres Vorhabens. Was ist mit dem Partner oder der Partnerin, die vielleicht in einem anderen Berufsfeld tätig ist, dem Osten dann fehlt und hier vielleicht weniger Chancen hat. Was ist mit den Eltern, die in ihrer Heimat bleiben und im Alter nicht durch Angehörige gepflegt werden können.
Wenn wir den ostdeutschen Bundesländern gezielt die jungen Menschen abwerben, wie sie es in ihrem sechsten Forderungspunkt anregen, treiben wir den demografischen Wandel dort nur umso schneller voran.
Aber auch die Datenbasis, auf der der FDP-Antrag beruht, ist unvollständig. In der Antragsbegründung wird von „Teilen Ostdeutschlands“ gesprochen, im Forderungsteil von der Gewinnung von Fachkräften aus anderen Bundesländern oder von der gezielten Ansprache von jungen Menschen aus strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Mit welchen „betroffenen Regionen“ die Landesregierung in den Austausch treten soll und wo die geforderte Öffentlichkeitskampagne sichtbar sein soll, bleibt daher fraglich. So ergab der Bericht der Landesregierung zur letzten Ausschusssitzung, dass die berufspezifische Arbeitslosenquote in der Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt mit 2,2% nur knapp über der NRW-Quote von 1,9% liegt. Während bei diesen Werten von Vollbeschäftigung ausgegangen wird, liegt Hamburg mit 3,6% darunter und Bremen mit 3% genau auf der Grenze. Ausgehend vom FDP Antrag müssten wir also eher im Norden abwerben, denn im Osten.
Der Bericht der Landesregierung weist zudem zurecht darauf hin, dass mit Blick auf den OGS-Anspruch ab 2026 und den ausbaufähigen Fachkraft-Kindschlüssel in ostdeutschen Bundesländern, eine Fachkräfteüberschuss nicht zwingend angenommen werden kann. Eine Bertelsmann-Studie aus November 2023 kam zu dem selben Schluss. Danach bestünde -ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten- „bis 2030 (…) für die ostdeutschen Bundesländer aufgrund der zurückgehenden Kinderzahlen die Chance, die Personalschlüssel an das Westniveau anzugleichen und die Elternbedarfe zu erfüllen.“ Für alle Ost-Bundesländer gelte daher, dass das aktuell beschäftigte Kita-Personal nicht entlassen werden dürfe und sogar zusätzlich neue Fachkräfte gewonnen werden müssten.
Genau das hat beispielsweise Tühringen im Rahmen der Novellierung seines Kindergartengesetzes getan. Im Bereich der U3-Kinder wurde der Fachkraft-Kindschlüssel ab 2025 von 1:8 auf 1:6 verbessert und im Bereich der Ü3-Kinder der Schlüssel unabhängig des Alters auf 1:12 festgelegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, statt also den ostdeutschen Bundesländern die Fachkräfte und insbesondere die jungen Menschen abzuwerben und dabei auch noch von einem solidarischen Miteinander zu sprechen, sollte man genauer hinschauen und die eigenen Hausaufgaben machen.
Mit der Kampagne #WTFuture tun wir genau das. Wir informieren über die unterschiedlichen Berufsfelder, gewinnen neue Fachkräfte für die soziale Infrastruktur und erhöhen die Wertschätzung für die in diesem Bereich beschäftigten Personen. Darüber hinaus haben wir mehrfach die Personalverordnung überarbeitet und neue Möglichkeiten geschaffen. Hierzu zählt der leichtere Zugang für Menschen mit pädagogischen Studienabschlüssen, die Einführung nicht-pädagogischer Fachkräfte, sofern sie in das spezifische Konzept der Kita passen und das Modellprojekt „Querseinstieg in die Kinderpflege“.
„Bürokratische Hürden für die Einstellung von pädagogischem Personal, das in anderen Bundesländern lebt bzw. ausgebildet wurde, bestehen (…) [laut der Landesregierung] nicht.“ Wer als pädagogische Fachkraft also in unseren Kitas arbeiten möchte ist herzlich willkommen. Aktiv abwerben werden wir in anderen Bundesländern jedoch niemanden.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss, der Überweisung stimmen wir zu.
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