Claudia Schlottmann zu TOP 5 "Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung"

22.02.2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin / sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,


Die Zahl der Kinder, jungen Mädchen und Frauen,  die weltweit mit verstümmelten Genitalien leben müssen, wird auf 130 Millionen geschätzt. Tendenz steigend. Auch in Deutschland können wir dieses Thema nicht mehr länger ignorieren: Durch Flucht und Migration sind in den vergangenen Jahren viele Frauen aus Ländern zu uns gekommen, in denen Beschneidungen vorgenommen werden:
A)  Nach Berechnungen der Organisation „Terre des Femmes“ leben in Deutschland mindestens 65.000 Mädchen und Frauen, die aus sogenannten Prävalenzländern stammen, in denen diese Menschenrechtsverletzung noch immer praktiziert wird, und die von FGM/C betroffen sein könnten.
B) Nach einer am 6. Februar 2017 veröffentlichten – ersten - Studie mit Zahlen zur weiblichen Genitalverstümmelung für Deutschland wird die Zahl der von FGM betroffenen Frauen auf mindestens 47.000 geschätzt. Die geschätzte Zahl der von FGM bedrohten Mädchen unter 18 Jahren differiert zwischen 1.560 und 5.690.

Fest steht und da sind wir uns mit den verantwortlichen Fraktionen im Deutschen Bundestag einig: Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Die Konsequenzen weiblicher Genitalverstümmelung sind gravierend: Aus rein medizinischer Sicht kann die Praktik zu schwerwiegenden Blutungen, Wundinfektionen, Schmerzen, Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt sowie zahlreichen weiteren körperlichen Problemen führen. Viele Opfer erleiden ein lebenslanges Trauma oder andere psychische Erkrankungen.
In den meisten Fällen werden die Beschneidungen unter schlechtesten hygienischen Bedingungen vorgenommen. So wird laut WHO sogar davon ausgegangen, dass ca. 10% der betroffenen Mädchen und Frauen an den akuten Konsequenzen der Beschneidung sterben und ca. 25% an den langfristigen Folgen.

Diese medizinischen und psychischen Leiden bis hin zum tödlichen Ausgang sollten Grund genug sein, dieser Praktik endliche den Riegel vorzuschieben. Die weibliche Genitalbeschneidung ist nicht nur eine Kindeswohlgefährdung  gem. § 8a SGB VIII, sondern gilt in Deutschland als Straftatbestand gem. § 226a Strafgesetzbuch und ist damit ein Verbrechen und nicht mehr nur eine Körperverletzung. Doch die alleinige Tatsache der Strafbarkeit kann das Problem nicht ausreichend an der Wurzel packen.

Das Problem liegt leider viel tiefer:
Die Beweggründe der Eltern für eine weibliche Beschneidung sind zahlreich und in vielen Kulturen unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen tief verankert.

Es gibt zahlreiche Gründe, die die Betroffenen zur Begründung heranziehen, diese sind oftmals traditionell und kulturell begründet. Diese positiven Konnotationen führen dazu, dass Mädchen und junge Frauen im schlimmsten Fall die Durchführung der Beschneidung sogar selbst erwünschen.

Wenn wir den betroffenen Mädchen und Frauen wirklich helfen wollen, müssen wir behutsam vorgehen und vor allem umfassend und nachhaltig aufklären.

Aufklären über die folgenschweren medizinischen Gefahren, über die weitreichenden psychischen Gefahren. Wir müssen offen darüber sprechen, dass die weibliche Beschneidung nicht einfach nur ein schmerzhafter Brauch nach alten Traditionen ist, sondern ein Verbrechen an kleinen Mädchen und jungen Frauen. Wir müssen das Selbstwertgefühl bei den jungen Frauen und Mädchen und das Bewusstsein bei den Eltern fördern. Nur so können wir eine Veränderung bewirken und den betroffenen Eltern, die eine Beschneidung des Kindes erwägen, in ihrer Entscheidung dagegen helfen.

Wir müssen durch intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein in der Bevölkerung für das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung schärfen. Die Handlungsbereitschaft in konkreten Gefährdungsfällen kann auf diese Weise erhöht werden.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung fördert seit vielen Jahren  die Präventions- und Sensibilisierungsarbeit des „Runden Tisches NRW gegen Beschneidung von Mädchen“, hier müssen wir noch intensiver arbeiten und das Verzahnen mit der vorhandenen Frauenhilfeinfrastruktur verstärken. Ich habe bei meiner Teilnahme am runden Tisch viel gelernt und viele Informationen mitgenommen. Denn dort diskutieren die Experten und Expertinnen zu diesem Thema, die sich intensiv mit den Frauen und ihren Schicksalen beschäftigen.

Wir benötigen eine Handlungsempfehlung für Fachkräfte im Sozialen Dienst, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, den Gesundheitssektor sowie Polizei und Justiz mit dem Ziel, einen Einblick in die Thematik zu geben, zu sensibilisieren und eine erhöhte Sicherheit im Handeln zum Schutz der bedrohten Mädchen und jungen Frauen zu vermitteln. Dies setzt eine frühzeitige Schulung der Fachleute, ebenso wie ein Einbinden in die aufklärende Familienarbeit von Geburt an, voraus. Ich denke dabei auch an eine Schulung von Hebammen, Erzieherinnen, Ärzten.

Auf diese Weise können wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gehen und – das wünsche ich mir von ganzem Herzen – damit hoffentlich vielen Mädchen und junge Frauen eine selbstbestimmte Zukunft in selbstbestimmtes körperlicher Integrität ermöglichen.


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.