Dr. Jörg Geerlings MdL zu TOP 9

11.07.2018
Gesetz zur Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes – Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn wir als Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen heute dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP folgen und eine Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof einführen, dann – ich glaube, das darf man sagen, ohne übertreiben zu wollen – schreiben wir ein Stück weit Rechtsgeschichte.

Bislang kann niemand den Verfassungsgerichtshof des Landes mit der Behauptung anrufen, durch die öffentliche Gewalt des Landes, das heißt
- durch Handeln oder Unterlassen einer Behörde des Landes,
- durch eine gerichtliche Entscheidung  oder
- unmittelbar oder mittelbar durch ein Gesetz
in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Grundrechte verletzt zu sein.

Ein wirkungsvoller Individualrechtsschutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die öffentliche Gewalt des Landes ist bislang nicht gegeben. Das wollen wir mit der Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof ändern.

Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt den Menschen in unserem Land eine Vielzahl von Grundrechten: zum einen sind das die über Art. 4 Absatz 1 inkorporierten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte des Grundgesetzes, zum anderen aber auch der eigene Grundrechtskatalog in der Landesverfassung.

Doch bislang fehlt es an einem prozessualen Spiegelbild für diese Grundrechte. Der Bedarf ist gerade da am größten, wo die Landesverfassung grundrechtliche Gewährleistungen enthält, die über diejenigen des Grundgesetzes hinausgehen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern muss man festhalten: der Rechtsschutz hierzulande hinkte bislang hinterher.

Das wollen wir mit der Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde ändern! Sie aktiviert die grundrechtliche Substanz der Landesverfassung, sie steigert ihre praktische Relevanz und rückt sie stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung. Sie ist deshalb auch ein Instrument zur Teilhabe der Bürger am Staat. Das klare Bild der spannenden Anhörung hat ergeben: Wir machen einen wichtigen Schritt für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen.

Der Verfassungsgerichtshof, der bislang eher ein Staatsgerichtshof ist und sich in der Praxis im Wesentlichen mit Normenkontrollverfahren, Organstreitigkeiten und Kommunalverfassungsbeschwerden beschäftigt, also Streitigkeiten zwischen Landesorganen, wird zu einem Bürgergericht, das dem einzelnen Bürger, also den Menschen in unserem Land, zur Wahrung ihrer Rechte verhilft.

In den vergangenen dreieinhalb Monaten haben wir uns im Rechtsausschuss intensiv mit dem Gesetzentwurf befasst. Lassen Sie mich heute drei Fragen noch einmal aufgreifen:

1.) Soll die Individual-Verfassungsbeschwerde in der Landesverfassung geregelt werden? Viele Experten haben sich dafür ausgesprochen und auch wir sind diesem Anliegen gegenüber nicht abgeneigt. Der Verfassungsgerichtshof ist ein Verfassungsorgan und – ja – dessen Zuständigkeit sollte sich direkt aus der Landesverfassung ergeben.
Das ist für uns jedoch kein Grund, das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern. Im Gegenteil: es muss jetzt losgehen! Wir schlagen deshalb vor, die Individualverfassungsbeschwerde zunächst hier und heute einfachgesetzlich zu regeln. In einem weiteren Schritt, einem neuem – verfassungändernden – Gesetzgebungsverfahren, kann dann die Verankerung in der Landesverfassung erfolgen. So verlief es, ohne dass das ein Präjudiz ist, auch auf Bundesebene; denn im Grundgesetz wurde Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a ebenfalls später ergänzt.

2.) Braucht der Verfassungsgerichtshof eine erhöhte Personalausstattung, um die zusätzlichen Verfahren bewältigen zu können? Wer diese Frage beantwortet, wirft einen Blick in die sprichwörtliche Glaskugel. Stand heute wissen wir nicht, wie sich die Zahl der Verfahren und der Arbeitsaufwand beim Gerichtshof entwickeln werden. Wir begrüßen die Idee, Kammern zu bilden und dadurch die Arbeit zu strukturieren. Die Personalsituation werden wir aufmerksam im Blick behalten; wenn es nötig ist, werden wir schnell handeln. Denkbar ist beispielsweise auch, dies nicht direkt in den Spruchkörpern, sondern bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern zu tun, um die volle Arbeitsfähigkeit des Gerichtes zu erhalten.

3.) Soll den Kammern ermöglicht werden, offensichtlich begründeten Verfassungsbeschwerden alleine – also ohne Beratung im Plenum der Richterschaft – stattzugeben? Für den Start halten wir das nicht für notwendig. Wir wollen erst die ersten Erfahrungen abwarten. Die Kammern können und sollen unzulässige oder offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerden zurückweisen. Schon die mögliche Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde indiziert für uns aber eine so hohe Bedeutung, dass die Befassung des Verfassungsgerichtshofes in voller Besetzung angezeigt ist. So ist es beispielsweise auch in Baden-Württemberg und Thüringen geregelt.

Anrede,

CDU und FDP beantragen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch die Einführung diverser Vorschriften zur Einführung und verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Individualverfassungsbeschwerde und außerdem die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs beim Verfassungsgerichtshof sowie die Anpassung der Aufwandsentschädigung für dessen Mitglieder.

Darüber hinaus haben wir uns interfraktionell darauf verständig, auch die Gewährung einer Strukturzulage für Amtsanwälte mit diesem Gesetz auf den Weg zu bringen.

Bitte stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und lassen Sie uns damit einen Meilenstein in der Geschichte des Verfassungsgerichtshofes setzen! Lassen Sie uns den Grundrechtsschutz in unserem Land zu neuer und besserer Wirkung verhelfen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!