Vertuschung selbst beim Katastrophenschutz

24.04.2017

Die Aachener Nachrichten berichteten über unbrauchbare Jodtabletten, die im Falle eines atomaren Unglücks verteilt werden sollen. Die in den Kreisen gelagerten Tabletten zerbröseln, weil die Haltbarkeit abgelaufen ist. Dazu erklären die CDU-Landtagsabgeordnete Ina Scharrenbach und die Aachener CDU-Landtagsabgeordnete, Ulla Thönnissen:

Ina Scharrenbach: „Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, dass die Landesregierung Jodtabletten für einen möglichen Ernstfall kauft, ohne eine Wirkstoffüberprüfung durchzuführen. Der Widerspruch zwischen Wort und Tat bei diesem sensiblen Thema macht fassungslos. NRW-Innenminister Jäger sprach bei dem Kauf der Tabletten sogar vollmundig von der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge als Schutz- und Daseinsfürsorge für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen. Dabei dürfte es sich um 21 Millionen Jodtabletten für gut 770.000 Euro handeln. Der NRW-Innenminister steht in der Pflicht jetzt Aufklärung zu leisten. Noch im Februar 2017 hat sich der Landtag mit der konkreten Verteilung von Jodtabletten im Ernstfall einer Katastrophe der belgischen Pannenmeiler an die Menschen in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Es ist skandalös, dass die Landesregierung kein Wort über die zerbröselnden Jodtabletten verlor, obwohl sie bereits darüber Bescheid wusste. Gerade die Jodblockade dient dem Schutz von Personen bis zum 18. Lebensjahr, Schwangeren und Stillenden. Die Öffentlichkeit und Parlament wurden bewusst über das politische Versagen nicht informiert. Mit der heimlichen Neuausschreibung und der damit verbundenen Ersatzbeschaffung auf Kosten des Landes soll das Ganze auch noch kaschiert werden.“

Ulla Thönnissen: „Das ist kein Bevölkerungsschutz, sondern Bevölkerungsgefährdung von höchster politischer Stelle. Ende März 2017 ließ das NRW-Innenministerium die Behörden sogar noch wissen, dass die Katastrophenschutzbehörden in der Fernzone, also über 100 km hinaus, bisher gar nicht über ausreichend Tabletten zur Durchführung einer Vorverteilung an die Bevölkerung verfügen. Eine Vorverteilung kann dort daher derzeit nicht stattfinden. Überhaupt scheinen sich in der Frage der Vorverteilung von Jodtabletten das Landes-Innenministerium und das Landes-Gesundheitsministerium nicht einig zu sein. Das Landes-Gesundheitsministerium teilt jedenfalls mit, dass an die Vorverteilung von Kaliumiodid-Tabletten hohe rechtliche Anforderungen gestellt werden, die im Einzelfall gut zu begründen sind: Eine generelle Vorverteilung kann durch die NRW-Katastrophenschutzbehörden nicht vorgesehen werden. Bisher gibt es ausschließlich in der grenznahen Region zu Belgien konkrete Konzepte für eine Vorverteilung an die Bevölkerung auf Basis des vorhandenen Rechtsrahmens. Hier weiß offenbar im NRW-Innenministerium die linke Hand wieder nicht, was die rechte Hand tut. Wenn Versäumnisse dieser Art auf Kosten der Bevölkerung bereits am Anfang der Planungen passieren, möchte man sich nicht ausmalen, wie die Handhabung im Ernstfall erfolgreich sein soll“.

Hintergrund: Im Rahmen der Planungen der verschiedenen Katastrophenschutzbehörden erklärte das NRW-Innenministerium noch im Mai 2016, dass Nordrhein-Westfalen als bisher einziges Bundesland sein Kontingent an Jodtabletten aus den Zentrallagern des Bundes abgeholt und dezentral auf die bislang betroffenen Kreise und kreisfreien Städte verteilt hätte. Es dürfte dabei um 21 Millionen Jodtabletten gehen, für die das Land NRW rund 770.000 Euro ausgegeben hat. Im letzten Jahr wurde durch die Landesregierung eine Wirkstoffüberprüfung der Jodtabletten veranlasst, die aus Beständen des Bundes bereits seit Längerem im Land bevorratet werden, da die Wirkstoffgarantie des Herstellers ausgelaufen war. Die Wirkstoffüberprüfung der vorhandenen Jodtabletten hat ergeben, dass lediglich 2 von 16 Chargen alle Spezifikationen des Zulassungsdossiers erfüllen. 14 Chargen weisen zum Teil erhebliche Mängel hinsichtlich der Bruchfestigkeit, Teilbarkeit, Abmessung der Tabletten und Zerbrechlichkeit auf. Das Landes-Gesundheitsministerium NRW hatte daher bereits im Januar 2017 empfohlen, die Tabletten aus dem Bundesbestand auszutauschen.